Chanukka

Von Evelyn Bartolmai |
Chanukka ist das Fest der Wunder, wie es auf den kleinen Kreiseln steht, mit denen die Kinder an den acht Tagen von Chanukka spielen: "nes gadol haja scham - ein großes Wunder geschah dort!" Die Juden unter Führung der Makkabäer haben das Joch der griechischen Fremdherrschaft abgeschüttelt - in der Tat ein Wunder angesichts der militärischen Übermacht der Besatzer! Das zweite Wunder war, dass nach der Wiedereinweihung des durch die Griechen geschändeten Tempels der Leuchter ganze acht Tage erstrahlte, obwohl eigentlich nur noch Öl für einen Tag da war.
Dass Wunder keineswegs eine Angelegenheit sind, die irgendwann in grauer Vorzeit stattfanden, kann man in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem erfahren. Im neu gestalteten Museum gibt es unter anderem ein im deutsch-jüdischen Stil der Zahre eingerichtetes Zimmer, in dessen Fenster eine Chanukkia, der achtarmige Leuchter, steht. Das Fenster selbst ist zwar nur eine Attrappe, aber das Bild, das man dort auf einer beleuchteten Folie sieht, ist echt. Es wurde am achten Tag von Chanukka im jüdischen Jahr 5692, das war im Dezember 1931, von Rosi Posner in Kiel aufgenommen, wie ihre heute im israelischen Beit Shemesh lebenden Enkel Jehuda Mansbach und Nava Gilo erzählen:

"Der jüdische Brauch sagt, dass man die Chanukkia ins Fenster stellen muss, damit man sie von außen sehen kann. In dieser Zeit haben viele Juden das noch so gemacht, aber doch die Gardinen zugezogen, weil sie Angst hatten. Unsere Großeltern hatten keine Angst, und man sieht auf dem Bild zwar die Vorhänge, aber sie sind nicht zugezogen, so dass man die Chanukkia gut von außen sehen konnte."

Jeder wusste auch, wer die Leute waren, die den Mut hatten, ihre Chanukkia so offen ins Fenster zu stellen: Der Großvater, Baruch Akiva Posner, war der letzte Rabbiner der Jüdischen Gemeinde in Kiel vor dem Machtantritt der Nazis. Und eine ganz besondere Dimension erhielt die Szenerie durch die Tatsache, dass man durch das Fenster der Rabbinerwohnung auch auf die Straße schauen konnte.

"Und so sehen wir gegenüber ein Gebäude, das damals das Parteihaus der Nazis war und das mit einer großen Hakenkreuzfahne dekoriert ist."

Das war noch vor dem Machtantritt der Nazis, doch die braunen Horden zogen schon durch die Straßen und grölten ihre antijüdischen Lieder. Von einem dieser Lieder hat die Großmutter eine Zeile genommen und einen kleinen Vers auf die Rückseite des Fotos geschrieben: ‚Juda verrecke! – die Fahne spricht; Juda lebt ewig! – erwidert das Licht.’ - prägnanter konnte man wohl kaum die Lage der Juden am Vorabend der Naziherrschaft, aber zugleich auch ihre Zuversicht beschreiben, dass dies nicht das letzte Wort der Geschichte sein würde.

War es auch nicht - zumindest nicht für die Familie von Rabbiner Posner, die 1933 Deutschland verließ und in Erez Israel eine neue Heimat fand. Zum Reisegepäck gehörten auch das Foto und die Chanukkia - allein über das Foto, das heute in aller Welt bekannt ist, ließe sich eine lange Geschichte erzählen, aber bleiben wir bei dem Chanukka-Leuchter, der heute dank einer besonderen Vereinbarung in Yad Vashem steht:

"Genau! Diese Vereinbarung besagt, dass der Leuchter zwar in der Tat ein historisches Objekt ist und im Kontext des Museums ja auch eine sehr symbolträchtige Geschichte erzählt, aber dennoch auch ein heiliges und lebendiges Objekt bleibt, das jedes Jahr wieder benutzt wird. Und so holt mein Bruder Jehuda jedes Jahr zu Chanukka den Leuchter unserer Großeltern wieder zu uns nach Hause, und Akiva, sein Sohn, entzündet sie inmitten der vielen anderen Leuchter unserer großen Familie."

Nach dem Fest kehrt die Chanukkia wieder ins Museum zurück, wo sie nicht einfach nur die Geschichte des Überlebens von Oma und Opa Posner aus Kiel, sondern eigentlich die Geschichte des jüdischen Volkes erzählt:

"So wie es unsere Großmutter auf das Bild geschrieben hat: Das Licht siegt, das jüdische Volk bleibt am Leben, das gibt heute auch unseren Kindern Kraft. Das ist doch wie das Wunder von Chanukka, dass die Großeltern aus dem Dunkel in Europa nach Erez Israel ins Licht gekommen sind und hier eine große Familie aufgebaut haben.

Und das ist auch die Botschaft unserer Chanukkiot in jedem Jahr, eine Botschaft der Hoffnung und des Überlebens des jüdischen Volkes. Genau wie damals die Makkabäer unsere Feinde bezwungen haben. Die Kerzen bedeuten Licht und Hoffnung, und das verbindet auch die beiden Geschichten, die große des jüdischen Volkes, und die kleine unserer Familie."