Chaos bei den Freiwilligendiensten?
Der jugendpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Kai Gehring, fordert die drei zuständigen Minister auf, ein Konzept für die Freiwilligendienste zu entwickeln. Nur so könne aus dem geplanten Wehrpflicht- und Zivildienstausstieg eine echte Chance werden und mindestens eine "Verdoppelung der Freiwilligendienstplätze" erreicht werden.
Frank Meyer: 37.000 junge Frauen und Männer leisten in diesem Jahr einen Freiwilligendienst. Um solche Freiwilligendienste kümmern sich gleich drei Bundesministerien, und die Bundesländer sind da auch noch zuständig. Das ist ein schönes Chaos, und wenn im nächsten Jahr nach der Aussetzung der Wehrpflicht noch mehr junge Menschen in die Freiwilligendienste gehen, dann wird dieses Chaos vielleicht noch größer werden. Außerdem gehen zu viele Freiwillige zu schlecht vorbereitet zum Beispiel zu Auslandseinsätzen – das kritisieren Entwicklungshelfer.
Der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring ist der jugendpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, er hat sich mit der Lage der Freiwilligendienste in Deutschland befasst und ist jetzt hier im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Kai Gehring: Ja, guten Tag!
Meyer: Herr Gehring, bleiben wir gleich mal im Ausland. Was sagen Sie denn zu der Kritik an Freiwilligendiensten im Ausland, da würde Abenteuerurlaub auf Staatskosten gemacht?
Gehring: Also man sieht gerade, dass bei den Diensten im Ausland es eine steigende Zahl an Plätzen gibt, in den letzten Jahren durch das Programm "weltwärts", auch durch »kulturweit«, zwei Programme von zwei Ministerien. Und ich würde jetzt nicht per se sagen, das ist jetzt Abenteuerurlaub auf Staatskosten, aber man muss sehr, sehr genau hingucken, was findet da statt. Also genau hingucken, auf die Qualität muss geachtet werden, und die jungen Menschen, die ins Ausland gehen, die müssen perfekt vorbereitet sein, die müssen begleitet werden vor Ort, und es muss auch eine gute Nachbereitung geben. Dann kann es ein Beitrag auch zum globalen und interkulturellen Lernen sein.
Meyer: Wo haben Sie denn genau hingeschaut? Es gibt so Berichte, dass zum Beispiel da junge Menschen ins Ausland kamen, und quasi aus dem Stand ohne Vorbereitung zum Beispiel mit Vergewaltigungsopfern da umgehen sollten. Haben Sie von solchen Fällen erfahren?
Gehring: Also mir sind sowohl sehr schlechte als auch sehr gute Fälle bekannt. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Auslandsfreiwilligendienste intensiv evaluiert werden und auch unabhängig evaluiert werden. Man muss da jedem Hinweis nachgehen, damit es eben keine Gefährdung ist für die jungen Leute, damit sie vor allem nicht überfordert werden. Man darf sie genauso wenig unterfordern. Also das Angebot muss stimmen, und es muss vor allem auch in den Entwicklungsländern und Schwellenländern wirklich auch ein positiver Beitrag sein, den die jungen Deutschen dann dort leisten können.
Meyer: Also diese Kritik ist mehr als Polemik von Entwicklungshilfeorganisationen, die ja vielleicht auch ein Interesse haben, da die Konkurrenz wegzubeißen?
Gehring: Also mir ist sehr wichtig, dass wir Auslandsfreiwilligendienste haben, auch durchaus entwicklungspolitische, weil das nämlich für viele dann auch ein Einstieg sein kann, entweder in eine engagierte Biografie oder dass die sagen, es hat mir so gut gefallen, da habe ich so viel gelernt, das mache ich zu meinem eigenen Beruf. Und die Persönlichkeitsentwicklung gewinnt sowieso.
Aber diese Kritik ist sehr ernst zu nehmen, und die Bundesregierung hat viel zu schnell viel zu viele Plätze in diesem Bereich geschaffen. Und was wir jetzt gerade bei der Wehrpflichtaussetzung und Zivildienstausstieg sehen, ist, dass wir jetzt im Inland deutlich mehr Plätze schaffen müssen, und auch hier muss die Qualität stimmen.
Meyer: Ja, wie sieht denn die Qualität im Inland aus, ist da zum Teil die Vorbereitung ähnlich schlecht wie bei den Auslandsdiensten?
Gehring: Also wir haben eine Vielzahl von Freiwilligendienstprogrammen im Inland, durchaus bewährte, mit dem freiwilligen sozialen Jahr, dem ökologischen Jahr im Bereich, auch Kultur und Sport. Und da sieht man schon, dass hier wirklich Erfahrungen fürs Leben gesammelt werden und viel "learning by doing", aber natürlich auch Vorbereitung stattfindet. Und da ist ja eher das Problem, dass wir eben keinen Mangel an Engagement bei jungen Leuten haben und Engagementbereitschaft, sondern wir haben einen eklatanten Mangel an Plätzen und an Angeboten.
Es ist so, dass immer noch auf einen Freiwilligendienstplatz im Inland drei Interessierte kommen, das heißt zwei potenzielle Engagierte, die kriegen eine Absage, und das muss sich dringend ändern. Und deshalb muss jetzt die Chance des Wehrpflicht- und Zivildienstausstieges auch dringend genutzt werden, um mindestens zu einer Verdoppelung der Freiwilligendienstplätze zu kommen, um möglichst vielen jungen Menschen ein Angebot zu machen.
Meyer: Da liegt ja ein Vorschlag auf dem Tisch von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, ein bundesweiter freiwilliger Zivildienst, eben zusätzlich zum freiwilligen sozialen Jahr und zum freiwilligen ökologischen Jahr. Was halten Sie denn von diesem zusätzlichen Bundesfreiwilligendienst?
Gehring: Na ja, also dieser bundesweite zusätzliche Freiwilligendienst, das ist erst mal eine Doppelstruktur, die da gebildet wird, wo es sicherlich auch Frau Schröder darum geht, das Bundesamt für den Zivildienst zu erhalten. Und wir müssen doch gucken, wie schaffen wir es mit den Trägern, mit den Einrichtungen, die jetzt schon Freiwilligendienstplätze in großem Umfang anbieten, wie schaffen wir da Ausbaustrategien. Wie kriegen wir das hin, in den nächsten Jahren zu einer Verdoppelung der Plätze zu kommen.
Und da finde ich es wichtig, dass man endlich Schluss macht mit dieser Zersplitterung der Zuständigkeiten, mit diesem Kompetenzwirrwarr – es braucht endlich eine bundesweite Gesamtstrategie, die zwischen Bund und Ländern abgestimmt ist, wie man Freiwilligendienstplätze ausbauen kann. Qualität, Attraktivität und Quantität, die müssen gesteigert werden. Deshalb fordern wir als Grüne ein Freiwilligendienste-Statusgesetz, um hier den rechtlichen Rahmen auch klarzuzurren.
Meyer: Aber da müsste ja gerade für Sie der Vorschlag von der politischen Konkurrenz, eben von der Bundesfamilienministerin, Charme haben, denn sie sagt ja, sie will eigentlich am Ende dieses Weges alle Freiwilligendienste zusammenführen eben in einen bundesweiten Dienst, in Bundeszuständigkeit, womit dieses ganze Kompetenzwirrwarr, das wir heute haben, dann aufhören würde. Also sind Sie da an der Seite von Frau Schröder?
Gehring: Nein, also im Moment hat das überhaupt gar keinen Charme, sondern Herr Guttenberg marschiert vorneweg als möglicher Macher eines Wehrpflichtausstiegs, Frau Schröder, die stolpert hinterher, und Frau Schavan wacht so langsam auf, ja, weil man nämlich sieht, dass jetzt im nächsten Jahr wahrscheinlich 150- bis 170.000 junge Männer eben dann nicht Wehrpflicht und nicht Zivildienst leisten werden.
Meyer: Aber das geht jetzt an der Sache vorbei. Die Frage war ja ein zentraler Freiwilligendienst, für den Sie auch gerade plädiert haben, was spricht denn dagegen, das endlich mal zu bündeln und an einer Stelle zusammenzuführen und da vielleicht auch die Vorbereitung besser zu organisieren?
Gehring: Also ich plädiere dafür, dass es für alle Freiwilligendienste in Deutschland klare Qualitätsstandards gibt. Ich möchte das sozusagen nicht allein in Bundeshand haben, sondern ich möchte, dass wir das Trägerprinzip weiter stärken, das heißt, dass die Verbände, die es bisher prima hingekriegt haben, die das auch mit eigenen Seminarangeboten, mit Erfahrungsaustausch und so weiter für die jungen Menschen organisieren, die sollen auch weiter das in ihrer Regie machen können, aber mit klaren Qualitätsstandards.
Und wir haben jetzt die Chance, wenn der Zivildienst eben auch fällt, dass 600 Millionen freiwerdende Mittel im Bundeshaushalt da sind, die jetzt auch zum Großteil genutzt werden müssen, um entsprechend für den Ausbau der Freiwilligendienste zur Verfügung zu stehen. Deshalb braucht man da klare Strukturen, und diese Doppelstrukturen, die sind nichts Halbes und nichts Ganzes, und das ist der selbst gemachte Zeitdruck dieser Bundesregierung, weil man sich ja auch mehr Zeit lassen könnte, jetzt das beste und klügste Konzept für diese Ausbaustrategie gemeinsam zu formulieren.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, Kai Gehring ist bei uns, der jugendpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, und wir reden über die Lage bei den Freiwilligendiensten. Wenn wir mal auf die andere Seite schauen – Sie haben ja vorhin schon gesagt, es gibt drei Bewerber im Prinzip für jeden Platz bei Freiwilligendiensten, wie erklären Sie sich eigentlich diesen Ansturm auf diese Plätze?
Gehring: Na ja, also das bricht halt mit dem Vorurteil gegenüber Jugendlichen. Die Jugendlichen sind nämlich viel engagementbereiter, als man denkt. Das sieht man auch gerade wieder an der Shell-Jugendstudie. Es ist so, dass auch das politische Interesse bei den jungen Menschen wieder steigt, und da ist es eben wichtig, tatsächlich auch entsprechend mehr Plätze zur Verfügung zu stellen, damit diese Engagementbereitschaft nicht vergeudet wird.
Meyer: Wie wird das dann im nächsten Jahr aussehen, wenn diese 90.000 Zivildienstplätze tatsächlich wegfallen und auch die Wehrdienstplätze sozusagen wegfallen, wie stellen Sie sich das Szenario vor, wo gehen diese jungen Menschen alle hin?
Gehring: Na, bisher sieht es noch nach Chaos aus, deshalb drängen wir auch so auf eine Gesamtstrategie und ein Konzept dieser Bundesregierung, wo sich Guttenberg, Schröder und Schavan, die drei zuständigen Minister, dann auch zusammensetzen. Denn es sind ja nicht nur 90.000 Zivi-Plätze, sondern auch 68.000 junge Männer, die dann eben nicht zum Wehrdienst einberufen wurden wie im vergangenen Jahr.
Und die jungen Männer, die drängen jetzt natürlich auch in Ausbildung und Studium, und da wird ein großer Umfang an Ausbildungs- und Studienplätzen fehlen. Allein 50.000 zusätzliche Studienplätze müssen jetzt geschaffen werden, darauf sind die Universitäten überhaupt nicht vorbereitet. Und Frau Schavan merkt das erst jetzt so langsam. Deshalb muss man diesen Stichtag, 01.07.2011 als Aussetzung für die Wehrpflicht und Zivildienst, darüber sollte man noch mal diskutieren.
Meyer: Also das vielleicht noch ein Jahr verschieben, Ihrer Meinung nach?
Gehring: Also man muss jetzt klarmachen, wir wollen raus, wir steigen aus aus der Wehrpflicht, aber es muss sozusagen nicht alles zum 01.07. nächsten Jahres in einer Hoppladihopp-Strategie und in großem Kompetenzwirrwarr jetzt durchgepeitscht werden.
Meyer: Und erklären Sie uns das dann zum Schluss noch mal, Ihr Ideal. Also wir haben ja derzeit die Lage, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Ökologisches Jahr werden im Prinzip von den Ländern, den Bundesländern zum größten Teil finanziert und dann über Träger organisiert, wir haben drei Bundesministerien, die für Auslandsfreiwilligendienste zuständig sind – wie stellen Sie sich eine sinnvolle Aufteilung dieser ganzen Freiwilligendienste in Zukunft vor?
Gehring: Also wir als Grüne stellen uns vor, dass es ein Freiwilligendienste-Statusgesetz gibt auf Bundesebene, was mit den Ländern gemeinsam erarbeitet wird, um Qualitätsstandards und klare rechtliche Rahmenbedingungen für die Freiwilligendienste bundesweit zu schaffen. Wo aber ganz klar ist, dass man das immer nur zusammen machen kann mit der Zivilgesellschaft, mit den Trägern, mit den Verbänden, die es bisher anbieten, um dann auch zu einem Ausbau von Quantität, Qualität und Attraktivität dieser Freiwilligendienste zu kommen, damit eben nicht mehr zwei junge Menschen von drei interessierten künftig eine Absage bekommen, wenn sie einen Freiwilligendienst im In- oder Ausland machen wollen.
Meyer: Der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring war bei uns, jugendpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen. Wir haben über die Lage bei den Freiwilligendiensten zurzeit und im wahrscheinlich sehr kompliziert werdenden nächsten Jahr gesprochen. Herzlichen Dank!
Gehring: Ja, ich danke Ihnen!
Der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring ist der jugendpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, er hat sich mit der Lage der Freiwilligendienste in Deutschland befasst und ist jetzt hier im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Kai Gehring: Ja, guten Tag!
Meyer: Herr Gehring, bleiben wir gleich mal im Ausland. Was sagen Sie denn zu der Kritik an Freiwilligendiensten im Ausland, da würde Abenteuerurlaub auf Staatskosten gemacht?
Gehring: Also man sieht gerade, dass bei den Diensten im Ausland es eine steigende Zahl an Plätzen gibt, in den letzten Jahren durch das Programm "weltwärts", auch durch »kulturweit«, zwei Programme von zwei Ministerien. Und ich würde jetzt nicht per se sagen, das ist jetzt Abenteuerurlaub auf Staatskosten, aber man muss sehr, sehr genau hingucken, was findet da statt. Also genau hingucken, auf die Qualität muss geachtet werden, und die jungen Menschen, die ins Ausland gehen, die müssen perfekt vorbereitet sein, die müssen begleitet werden vor Ort, und es muss auch eine gute Nachbereitung geben. Dann kann es ein Beitrag auch zum globalen und interkulturellen Lernen sein.
Meyer: Wo haben Sie denn genau hingeschaut? Es gibt so Berichte, dass zum Beispiel da junge Menschen ins Ausland kamen, und quasi aus dem Stand ohne Vorbereitung zum Beispiel mit Vergewaltigungsopfern da umgehen sollten. Haben Sie von solchen Fällen erfahren?
Gehring: Also mir sind sowohl sehr schlechte als auch sehr gute Fälle bekannt. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Auslandsfreiwilligendienste intensiv evaluiert werden und auch unabhängig evaluiert werden. Man muss da jedem Hinweis nachgehen, damit es eben keine Gefährdung ist für die jungen Leute, damit sie vor allem nicht überfordert werden. Man darf sie genauso wenig unterfordern. Also das Angebot muss stimmen, und es muss vor allem auch in den Entwicklungsländern und Schwellenländern wirklich auch ein positiver Beitrag sein, den die jungen Deutschen dann dort leisten können.
Meyer: Also diese Kritik ist mehr als Polemik von Entwicklungshilfeorganisationen, die ja vielleicht auch ein Interesse haben, da die Konkurrenz wegzubeißen?
Gehring: Also mir ist sehr wichtig, dass wir Auslandsfreiwilligendienste haben, auch durchaus entwicklungspolitische, weil das nämlich für viele dann auch ein Einstieg sein kann, entweder in eine engagierte Biografie oder dass die sagen, es hat mir so gut gefallen, da habe ich so viel gelernt, das mache ich zu meinem eigenen Beruf. Und die Persönlichkeitsentwicklung gewinnt sowieso.
Aber diese Kritik ist sehr ernst zu nehmen, und die Bundesregierung hat viel zu schnell viel zu viele Plätze in diesem Bereich geschaffen. Und was wir jetzt gerade bei der Wehrpflichtaussetzung und Zivildienstausstieg sehen, ist, dass wir jetzt im Inland deutlich mehr Plätze schaffen müssen, und auch hier muss die Qualität stimmen.
Meyer: Ja, wie sieht denn die Qualität im Inland aus, ist da zum Teil die Vorbereitung ähnlich schlecht wie bei den Auslandsdiensten?
Gehring: Also wir haben eine Vielzahl von Freiwilligendienstprogrammen im Inland, durchaus bewährte, mit dem freiwilligen sozialen Jahr, dem ökologischen Jahr im Bereich, auch Kultur und Sport. Und da sieht man schon, dass hier wirklich Erfahrungen fürs Leben gesammelt werden und viel "learning by doing", aber natürlich auch Vorbereitung stattfindet. Und da ist ja eher das Problem, dass wir eben keinen Mangel an Engagement bei jungen Leuten haben und Engagementbereitschaft, sondern wir haben einen eklatanten Mangel an Plätzen und an Angeboten.
Es ist so, dass immer noch auf einen Freiwilligendienstplatz im Inland drei Interessierte kommen, das heißt zwei potenzielle Engagierte, die kriegen eine Absage, und das muss sich dringend ändern. Und deshalb muss jetzt die Chance des Wehrpflicht- und Zivildienstausstieges auch dringend genutzt werden, um mindestens zu einer Verdoppelung der Freiwilligendienstplätze zu kommen, um möglichst vielen jungen Menschen ein Angebot zu machen.
Meyer: Da liegt ja ein Vorschlag auf dem Tisch von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, ein bundesweiter freiwilliger Zivildienst, eben zusätzlich zum freiwilligen sozialen Jahr und zum freiwilligen ökologischen Jahr. Was halten Sie denn von diesem zusätzlichen Bundesfreiwilligendienst?
Gehring: Na ja, also dieser bundesweite zusätzliche Freiwilligendienst, das ist erst mal eine Doppelstruktur, die da gebildet wird, wo es sicherlich auch Frau Schröder darum geht, das Bundesamt für den Zivildienst zu erhalten. Und wir müssen doch gucken, wie schaffen wir es mit den Trägern, mit den Einrichtungen, die jetzt schon Freiwilligendienstplätze in großem Umfang anbieten, wie schaffen wir da Ausbaustrategien. Wie kriegen wir das hin, in den nächsten Jahren zu einer Verdoppelung der Plätze zu kommen.
Und da finde ich es wichtig, dass man endlich Schluss macht mit dieser Zersplitterung der Zuständigkeiten, mit diesem Kompetenzwirrwarr – es braucht endlich eine bundesweite Gesamtstrategie, die zwischen Bund und Ländern abgestimmt ist, wie man Freiwilligendienstplätze ausbauen kann. Qualität, Attraktivität und Quantität, die müssen gesteigert werden. Deshalb fordern wir als Grüne ein Freiwilligendienste-Statusgesetz, um hier den rechtlichen Rahmen auch klarzuzurren.
Meyer: Aber da müsste ja gerade für Sie der Vorschlag von der politischen Konkurrenz, eben von der Bundesfamilienministerin, Charme haben, denn sie sagt ja, sie will eigentlich am Ende dieses Weges alle Freiwilligendienste zusammenführen eben in einen bundesweiten Dienst, in Bundeszuständigkeit, womit dieses ganze Kompetenzwirrwarr, das wir heute haben, dann aufhören würde. Also sind Sie da an der Seite von Frau Schröder?
Gehring: Nein, also im Moment hat das überhaupt gar keinen Charme, sondern Herr Guttenberg marschiert vorneweg als möglicher Macher eines Wehrpflichtausstiegs, Frau Schröder, die stolpert hinterher, und Frau Schavan wacht so langsam auf, ja, weil man nämlich sieht, dass jetzt im nächsten Jahr wahrscheinlich 150- bis 170.000 junge Männer eben dann nicht Wehrpflicht und nicht Zivildienst leisten werden.
Meyer: Aber das geht jetzt an der Sache vorbei. Die Frage war ja ein zentraler Freiwilligendienst, für den Sie auch gerade plädiert haben, was spricht denn dagegen, das endlich mal zu bündeln und an einer Stelle zusammenzuführen und da vielleicht auch die Vorbereitung besser zu organisieren?
Gehring: Also ich plädiere dafür, dass es für alle Freiwilligendienste in Deutschland klare Qualitätsstandards gibt. Ich möchte das sozusagen nicht allein in Bundeshand haben, sondern ich möchte, dass wir das Trägerprinzip weiter stärken, das heißt, dass die Verbände, die es bisher prima hingekriegt haben, die das auch mit eigenen Seminarangeboten, mit Erfahrungsaustausch und so weiter für die jungen Menschen organisieren, die sollen auch weiter das in ihrer Regie machen können, aber mit klaren Qualitätsstandards.
Und wir haben jetzt die Chance, wenn der Zivildienst eben auch fällt, dass 600 Millionen freiwerdende Mittel im Bundeshaushalt da sind, die jetzt auch zum Großteil genutzt werden müssen, um entsprechend für den Ausbau der Freiwilligendienste zur Verfügung zu stehen. Deshalb braucht man da klare Strukturen, und diese Doppelstrukturen, die sind nichts Halbes und nichts Ganzes, und das ist der selbst gemachte Zeitdruck dieser Bundesregierung, weil man sich ja auch mehr Zeit lassen könnte, jetzt das beste und klügste Konzept für diese Ausbaustrategie gemeinsam zu formulieren.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, Kai Gehring ist bei uns, der jugendpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, und wir reden über die Lage bei den Freiwilligendiensten. Wenn wir mal auf die andere Seite schauen – Sie haben ja vorhin schon gesagt, es gibt drei Bewerber im Prinzip für jeden Platz bei Freiwilligendiensten, wie erklären Sie sich eigentlich diesen Ansturm auf diese Plätze?
Gehring: Na ja, also das bricht halt mit dem Vorurteil gegenüber Jugendlichen. Die Jugendlichen sind nämlich viel engagementbereiter, als man denkt. Das sieht man auch gerade wieder an der Shell-Jugendstudie. Es ist so, dass auch das politische Interesse bei den jungen Menschen wieder steigt, und da ist es eben wichtig, tatsächlich auch entsprechend mehr Plätze zur Verfügung zu stellen, damit diese Engagementbereitschaft nicht vergeudet wird.
Meyer: Wie wird das dann im nächsten Jahr aussehen, wenn diese 90.000 Zivildienstplätze tatsächlich wegfallen und auch die Wehrdienstplätze sozusagen wegfallen, wie stellen Sie sich das Szenario vor, wo gehen diese jungen Menschen alle hin?
Gehring: Na, bisher sieht es noch nach Chaos aus, deshalb drängen wir auch so auf eine Gesamtstrategie und ein Konzept dieser Bundesregierung, wo sich Guttenberg, Schröder und Schavan, die drei zuständigen Minister, dann auch zusammensetzen. Denn es sind ja nicht nur 90.000 Zivi-Plätze, sondern auch 68.000 junge Männer, die dann eben nicht zum Wehrdienst einberufen wurden wie im vergangenen Jahr.
Und die jungen Männer, die drängen jetzt natürlich auch in Ausbildung und Studium, und da wird ein großer Umfang an Ausbildungs- und Studienplätzen fehlen. Allein 50.000 zusätzliche Studienplätze müssen jetzt geschaffen werden, darauf sind die Universitäten überhaupt nicht vorbereitet. Und Frau Schavan merkt das erst jetzt so langsam. Deshalb muss man diesen Stichtag, 01.07.2011 als Aussetzung für die Wehrpflicht und Zivildienst, darüber sollte man noch mal diskutieren.
Meyer: Also das vielleicht noch ein Jahr verschieben, Ihrer Meinung nach?
Gehring: Also man muss jetzt klarmachen, wir wollen raus, wir steigen aus aus der Wehrpflicht, aber es muss sozusagen nicht alles zum 01.07. nächsten Jahres in einer Hoppladihopp-Strategie und in großem Kompetenzwirrwarr jetzt durchgepeitscht werden.
Meyer: Und erklären Sie uns das dann zum Schluss noch mal, Ihr Ideal. Also wir haben ja derzeit die Lage, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Ökologisches Jahr werden im Prinzip von den Ländern, den Bundesländern zum größten Teil finanziert und dann über Träger organisiert, wir haben drei Bundesministerien, die für Auslandsfreiwilligendienste zuständig sind – wie stellen Sie sich eine sinnvolle Aufteilung dieser ganzen Freiwilligendienste in Zukunft vor?
Gehring: Also wir als Grüne stellen uns vor, dass es ein Freiwilligendienste-Statusgesetz gibt auf Bundesebene, was mit den Ländern gemeinsam erarbeitet wird, um Qualitätsstandards und klare rechtliche Rahmenbedingungen für die Freiwilligendienste bundesweit zu schaffen. Wo aber ganz klar ist, dass man das immer nur zusammen machen kann mit der Zivilgesellschaft, mit den Trägern, mit den Verbänden, die es bisher anbieten, um dann auch zu einem Ausbau von Quantität, Qualität und Attraktivität dieser Freiwilligendienste zu kommen, damit eben nicht mehr zwei junge Menschen von drei interessierten künftig eine Absage bekommen, wenn sie einen Freiwilligendienst im In- oder Ausland machen wollen.
Meyer: Der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring war bei uns, jugendpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen. Wir haben über die Lage bei den Freiwilligendiensten zurzeit und im wahrscheinlich sehr kompliziert werdenden nächsten Jahr gesprochen. Herzlichen Dank!
Gehring: Ja, ich danke Ihnen!