Chaoten für eine bessere Welt

Der Drehbuchautor Robert Löhr macht die umstrittene Newcomer-Partei der letzten Jahre zum Romangegenstand: die Piraten: Seine Story – halb Krimi, halb Farce – ist voller unterhaltsamer Verwicklungen und sprachlich im Facebook- und Twitterzeitalter angekommen.
Wer den Berliner Politbetrieb schon immer als Farce einstufte, wird hier auf sehr unterhaltsame Weise bestätigt: Robert Löhr, Journalist und Drehbuchautor, hat sich die vielleicht umstrittenste Partei der letzten Jahre vorgeknöpft – die Piraten.

Mobbing, Obstruktion, Inkompetenz, die Fixierung aufs Internet bei gleichzeitiger Abstinenz von anderen relevanten Themen – erst einmal kommen sie nicht gut weg, die selbst ernannten Radikaldemokraten. Löhr präsentiert die Piraten als Chaotentruppe, der Gehässigkeiten auf Twitter wichtiger sind als seriöse Debatten.

Konkret ist das Volker, ein Piratenabgeordneter mit Faible für Computerrollenspiele und nervigen Jugendsprech. Ein Mann, der mit 40 noch "alles Klärchen!" sagt. So einer hat eine zünftige Nemesis verdient: Friederike, Gymnasiallehrerin, alleinerziehende Mutter, Mitglied der Grünen. Weil Volker ihr angeblich eine Idee für einen Werbespot zur Wählergewinnung geklaut hat, schleicht sie sich bei den Piraten ein und versucht, quasi als Maulwurf der seriösen Opposition, den Hackernerds eins auszuwischen.

Löhr ist ein exzellenter Kenner der politischen Szene und beherrscht außerdem die Dramaturgien von sowohl Komödie als auch Kriminalroman. So schillert die Geschichte zwischen ulkiger Romanze und Politthriller, zumal sich die grüne Jeanne d’Arc ausgerechnet in den politischen Konkurrenten verknallt, der wiederum Opfer einer parteiinternen Intrige wird.

Die Piraten verhielten sich bislang wie Affen im Zoo, denen vor den Besuchern hinter der Glasscheibe nichts peinlich sei, schrieb Markus Feldenkirchen im "Spiegel". Das realpolitische Affentheater hat nun auch eine literarische Bühne. Hierfür speist der Autor souverän die digitalen Textsorten ins Romangeschehen ein: Facebook-Updates, Twitter-Feeds, Wikipedia-Einträge. Löhr ist kein kulturkritischer Besserwisser, der seine Figuren von oben dirigiert – er erzählt die Geschichte seiner Helden aus der Logik jener Medien, die ihre (und unsere) Existenz bestimmen.

Die grundsätzliche, im Zusammenhang mit der Piratenpartei immer wieder gestellte Frage, wie viel Transparenz die Politik vertrage, kann man auch auf den Roman anwenden: Wie durchlässig und offen muss er sein für neue Kommunikationsformen, für die Diskurse des Internet? "Erika Mustermann" beweist, dass gerade aus jener Verflachung, die wir mit dem Sprechen im World Wide Web verbinden, eine spannende aktuelle Erzählästhetik werden kann. Endlich ein Buch, das sich der Rhetorik der Netzwerke stellt und nicht vor ihnen kapituliert.

Am Ende ist dies auch eine Hommage an Deutschlands kontroverseste Partei. Löhr zeigt das Piratenmilieu als Szene mit utopischem Anspruch und Potential. Als kauzige Welt, in der jedoch wichtige Fragen zur Sprache kommen: Wie sieht eine Demokratie aus, deren größtes Meinungsforum das Internet geworden ist? Und wie wirkt dies zurück auf die Arbeit der politischen Akteure? Spätestens seit der Causa Snowden und dem Abhörskandal der Geheimdienste ist das Netz ein politisches Weltthema. Der Roman kommt also auch in dieser Hinsicht zur rechten Zeit.

Besprochen von Daniel Haas

Robert Löhr: Erika Mustermann
Piper Verlag, München 2013
272 Seiten, 16,99 Euro