Chaotisches Klima
Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce ist kein Prophet. Auch er kann nicht vorhersagen, wie "Das Wetter von morgen" aussehen wird. Doch Pearce trägt beunruhigende Fakten zusammen und zeigt, dass sich unterschiedliche Klimaphänomene gegenseitig verstärken und zu einem regelrechten Klimachaos führen könnten.
Niemand kennt das Wetter von morgen, auch Fred Pearce nicht. Doch der angesehene britische Wissenschaftsjournalist glaubt, dass es unvorhersagbarer denn je wird, und häuft in seinem Buch "Das Wetter von morgen" eine überwältigende Fülle von Erklärungen angesehener Wissenschaftler zum Klimawandel auf. Nach der Lektüre wechselt man die Glühbirnen gegen Energiesparlampen aus und überdenkt den nächsten Fernflug.
In atemberaubend kurzer Zeit ist der globale Klimawandel von einer Expertenmeinung zur breit akzeptierten Gewissheit geworden. Jeder durchschnittlich aufmerksame Zeitgenosse kann heute mitreden, wenn es um die Erwärmung der Erdatmosphäre geht. Allerdings glaubt der durchschnittlich aufmerksame Zeitgenosse, für die Zunahme von Kohlendioxid sei allein der Mensch verantwortlich. Pearce zeigt, dass diese Auffassung möglicherweise falsch ist. Leider, denn es macht Gegenmaßnahmen nicht einfacher. Und: Anstelle einer globalen Erwärmung könnte es auch zu regionalen Abkühlungen kommen. Sie wären allerdings nicht weniger dramatisch: Europa gliche Sibirien.
Fred Pearce beginnt mit dem Bekannten: der zunehmenden Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, den steigenden Temperaturen, den schmelzenden Gletschern in der Arktis, dem wegbrechenden Schelfeis in der Antarktis, den auftauenden und das Superatmosphärengift Methan freisetzenden Permafrostböden in Sibirien und Alaska, den Bränden im Amazonas-Urwald, die durch Kohlendioxidaufnahme sauer werdenden Weltmeere. So weit, so bekannt und schlecht.
Dann weitet Pearce den Blick. Er begibt sich in die Geschichte unseres Planeten und stellt fest, dass unsere stabile Klimalage die Ausnahme war. Er sieht sich weniger offensichtliche Faktoren an, die die Erderwärmung beeinflussen: etwa die Wolkenbildung, die Sonnenaktivität, die Veränderung der Erdneigung, die Aerosole Rauch, Ruß, Staub, Schwefel. Er beschreibt die Entstehung und möglicherweise das Ausbleiben von El Niños, außerdem das "marine Förderband", zu dem der warme Golfstrom vor den Küsten Europas gehört, und die Veränderungen in der Stratosphäre. Pearce liefert keine Prognose, sondern "eine Liste von Sorgenfällen".
Anders als seine Konkurrenten auf dem Buchmarkt vermittelt Pearce sie auf hohem Niveau, jedoch ohne Wissenschaftssprache und mit jener großen Anschaulichkeit, die noch immer ein britisches Privileg zu sein scheint. Seine beunruhigenden Zahlen, Theorien und Erklärungsversuche verbindet eine Grundannahme: Dass die Faktoren miteinander und aufeinander reagieren und positive, also verstärkende Rückkoppelungen auslösen. Die Gefahr chaotischer, also nicht linearer, vorhersehbarer Reaktionen steige, meint Pearce. Dabei wirkt er wie ein Warner, nicht wie ein Alarmist. Wenn von erwachenden Klima-"Monstern" die Rede ist, dann wählt nicht Pearce das Wort, sondern anerkannte Experten. Wir haben, sagt der Autor jedoch, möglicherweise schon den Schalter zu neuen Klimazuständen umgelegt, indem wir den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre in den letzten 200 Jahren von 600 Milliarden Tonnen auf 800 Milliarden Tonnen gesteigert haben.
So steht am Ende eines ernsten Buches voller divergierender und sich nicht selten heftig befehdender wissenschaftlicher Erklärungsversuche gelinde Ratlosigkeit, wie das Wetter von morgen aussehen wird. Genau das erweist sich als das stärkste Argument, endlich strikte Maßnahmen gegen die Zunahme von Methan und Kohlendioxid in der Atmosphäre zu ergreifen.
Rezensiert von Jörg Plath
Fred Pearce: Das Wetter von morgen. Wenn das Klima zur Bedrohung wird
Aus dem Englischen von Barbara Steckhan und Gabriele Gockel
Kollektiv Druck-Reif. Verlag Antje Kunstmann. München 2007
322 Seiten, 19,90 Euro
In atemberaubend kurzer Zeit ist der globale Klimawandel von einer Expertenmeinung zur breit akzeptierten Gewissheit geworden. Jeder durchschnittlich aufmerksame Zeitgenosse kann heute mitreden, wenn es um die Erwärmung der Erdatmosphäre geht. Allerdings glaubt der durchschnittlich aufmerksame Zeitgenosse, für die Zunahme von Kohlendioxid sei allein der Mensch verantwortlich. Pearce zeigt, dass diese Auffassung möglicherweise falsch ist. Leider, denn es macht Gegenmaßnahmen nicht einfacher. Und: Anstelle einer globalen Erwärmung könnte es auch zu regionalen Abkühlungen kommen. Sie wären allerdings nicht weniger dramatisch: Europa gliche Sibirien.
Fred Pearce beginnt mit dem Bekannten: der zunehmenden Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, den steigenden Temperaturen, den schmelzenden Gletschern in der Arktis, dem wegbrechenden Schelfeis in der Antarktis, den auftauenden und das Superatmosphärengift Methan freisetzenden Permafrostböden in Sibirien und Alaska, den Bränden im Amazonas-Urwald, die durch Kohlendioxidaufnahme sauer werdenden Weltmeere. So weit, so bekannt und schlecht.
Dann weitet Pearce den Blick. Er begibt sich in die Geschichte unseres Planeten und stellt fest, dass unsere stabile Klimalage die Ausnahme war. Er sieht sich weniger offensichtliche Faktoren an, die die Erderwärmung beeinflussen: etwa die Wolkenbildung, die Sonnenaktivität, die Veränderung der Erdneigung, die Aerosole Rauch, Ruß, Staub, Schwefel. Er beschreibt die Entstehung und möglicherweise das Ausbleiben von El Niños, außerdem das "marine Förderband", zu dem der warme Golfstrom vor den Küsten Europas gehört, und die Veränderungen in der Stratosphäre. Pearce liefert keine Prognose, sondern "eine Liste von Sorgenfällen".
Anders als seine Konkurrenten auf dem Buchmarkt vermittelt Pearce sie auf hohem Niveau, jedoch ohne Wissenschaftssprache und mit jener großen Anschaulichkeit, die noch immer ein britisches Privileg zu sein scheint. Seine beunruhigenden Zahlen, Theorien und Erklärungsversuche verbindet eine Grundannahme: Dass die Faktoren miteinander und aufeinander reagieren und positive, also verstärkende Rückkoppelungen auslösen. Die Gefahr chaotischer, also nicht linearer, vorhersehbarer Reaktionen steige, meint Pearce. Dabei wirkt er wie ein Warner, nicht wie ein Alarmist. Wenn von erwachenden Klima-"Monstern" die Rede ist, dann wählt nicht Pearce das Wort, sondern anerkannte Experten. Wir haben, sagt der Autor jedoch, möglicherweise schon den Schalter zu neuen Klimazuständen umgelegt, indem wir den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre in den letzten 200 Jahren von 600 Milliarden Tonnen auf 800 Milliarden Tonnen gesteigert haben.
So steht am Ende eines ernsten Buches voller divergierender und sich nicht selten heftig befehdender wissenschaftlicher Erklärungsversuche gelinde Ratlosigkeit, wie das Wetter von morgen aussehen wird. Genau das erweist sich als das stärkste Argument, endlich strikte Maßnahmen gegen die Zunahme von Methan und Kohlendioxid in der Atmosphäre zu ergreifen.
Rezensiert von Jörg Plath
Fred Pearce: Das Wetter von morgen. Wenn das Klima zur Bedrohung wird
Aus dem Englischen von Barbara Steckhan und Gabriele Gockel
Kollektiv Druck-Reif. Verlag Antje Kunstmann. München 2007
322 Seiten, 19,90 Euro