Charakterlos erfolgreich
Mit britisch bösem Humor persifliert Dennis Kelly die Mechanismen der Medien, die sich natürlich auf die Bekenntnisse eines Topunternehmers begeistert stürzen. Doch im Kern ist "Die Opferung von Gorge Mastromas" ein Lehrstück über den Neoliberalismus - zu sehen bei den Ruhrfestspielen.
Unsere Gesellschaft liefert keine moralischen Maßstäbe mehr. Menschen auf der Suche nach Orientierung stehen im Mittelpunkt von zwei Uraufführungen bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Nico Helmingers verrätselt-poetelndes Stück "Zu schwankender Zeit am schwankenden Ort" wird schnell vergessen werden. Doch "Die Opferung des Gorge Mastromas" von Dennis Kelly ist einer der besten neuen Theatertexte der Saison.
Im bühnenbreiten Spiegel sieht sich das Publikum. In einem 30-minütigen Monolog erzählt ein Schauspieler das Leben eines reichen Mannes. Zwischendurch begrüßt er Leute, die zu spät kommen, und spielt immer wieder Besucher an, als wären sie Figuren seiner Geschichte. Im Spiegel erscheint die unbewegliche Gestalt eines alten Mannes, wie ein Gespenst. Mit komödiantischer Leichtigkeit legt Dennis Kelly in "Die Opferung des Gorge Mastromas" eine Schlinge um den Hals des Zuschauers und zieht langsam zu. Bis man kaum noch Luft kriegt.
Der Held entscheidet zunächst immer nach ethischen Gesichtspunkten und gegen sein Gefühl. Er würde am liebsten Ballast abwerfen, einen heruntergekommenen Freund zurückstoßen, eine erkaltete Beziehung beenden, eine geschwängerte Abspritzbekanntschaft zur Abtreibung drängen. Aber Gorge tut es nicht. Als er jeden Gedanken an Verantwortung und Wahrheit fort wirft, beginnt sein Aufstieg. Gorge wird zu einem der mächtigsten Unternehmer des Landes.
Lange, sehr lange bleibt alles Erzählung vor der Spiegelwand. Sie gelingt dem gedankenklaren, stets das Publikum direkt ansprechenden Schauspieler Torben Kessler so überzeugend, dass man ihm auch allein zwei Stunden zuhören würde. Immer wieder fragt er, warum sich Gorge für die Moral entscheidet: "Güte oder Feigheit?" In Moment des Paradigmenwechsels wird das Stück dialogisch, wobei der Erzähler immer wieder kommentierend eingreift. Hinter dem Spiegel verwirft Gorge seine mittelmäßige Existenz. Er wird zum Lügner aus Prinzip, gibt jeden Ansatz eines Charakters auf, wird hundertprozentig flexibel. Um an eine traumatisierte Frau ranzukommen, erfindet er sogar eine Vergangenheit als missbrauchtes Kind. Und hat so einen Spaß an dieser neuen Identität, dass er sogar eine Autobiographie schreibt. Praktischerweise sind seine Eltern erst nach Australien ausgewandert und dort verstorben.
Mit britisch bösem Humor persifliert Dennis Kelly die Mechanismen der Medien, die sich natürlich auf die Bekenntnisse eines Topunternehmers begeistert stürzen. Doch im Kern ist "Die Opferung von Gorge Mastromas" ein Lehrstück über den Neoliberalismus. Der Mann ohne Ich, der völlig den Anforderungen des Augenblicks entsprechen kann, rein situativ handelt und keine Angst kennt, ist das Erfolgsmodell schlechthin. Regisseur Christoph Mehler hat für Kellys präzise Parabel die perfekte Theaterform gefunden. Die Distanz durch Spiegelwand und Mikroports, das leicht überhöhte Spiel des richtig guten Frankfurter Ensembles verhindern, dass die Dialoge im puren Realismus versacken. Der Erzähler entpuppt sich am Ende als Gorges Enkel, der ihn aufspürt, um ihn umzubringen. So bekommen die Monologe szenischen Sinn, und Dennis Kelly zeigt sich wieder einmal als Meister der dramatischen Konstruktion. "Die Opferung von Gorge Mastromas" ist eins der besten Stücke des Jahres. Dessen Uraufführung durch das Schauspiel Frankfurt im Rahmen der Ruhrfestspiele grandios gelungen ist.
Das Gegenteil gilt für "Zu schwankender Zeit am schwankenden Ort". Das Stück beginnt mit einem Mann, der seinen Namen vergessen hat. Eine alte Frau wartet im Pflegeheim auf ihren hektisch durch die Welt eilenden Sohn. Es gibt noch viele weitere Geschichten, die lose miteinander verbunden sind. Nico Helminger gelingen ein paar subtile Formulierungen, doch die Figuren wirken kraftlos, die Sprache gestelzt. Eine Kunstübung, die Regisseurin Anne Simon noch weiter verkünstelt, indem sie jeden Schauspieler zwei Rollen spielen lässt und dabei jede Dramaturgie aus dem Auge verliert. So fliegen dem Publikum nur zusammenhanglose Momentaufnahmen um die Ohren.
Informationen der Ruhrfestspiele
"Die Opferung des Gorge Mastromas" läuft ab 16. September im Schauspiel Frankfurt.
Im bühnenbreiten Spiegel sieht sich das Publikum. In einem 30-minütigen Monolog erzählt ein Schauspieler das Leben eines reichen Mannes. Zwischendurch begrüßt er Leute, die zu spät kommen, und spielt immer wieder Besucher an, als wären sie Figuren seiner Geschichte. Im Spiegel erscheint die unbewegliche Gestalt eines alten Mannes, wie ein Gespenst. Mit komödiantischer Leichtigkeit legt Dennis Kelly in "Die Opferung des Gorge Mastromas" eine Schlinge um den Hals des Zuschauers und zieht langsam zu. Bis man kaum noch Luft kriegt.
Der Held entscheidet zunächst immer nach ethischen Gesichtspunkten und gegen sein Gefühl. Er würde am liebsten Ballast abwerfen, einen heruntergekommenen Freund zurückstoßen, eine erkaltete Beziehung beenden, eine geschwängerte Abspritzbekanntschaft zur Abtreibung drängen. Aber Gorge tut es nicht. Als er jeden Gedanken an Verantwortung und Wahrheit fort wirft, beginnt sein Aufstieg. Gorge wird zu einem der mächtigsten Unternehmer des Landes.
Lange, sehr lange bleibt alles Erzählung vor der Spiegelwand. Sie gelingt dem gedankenklaren, stets das Publikum direkt ansprechenden Schauspieler Torben Kessler so überzeugend, dass man ihm auch allein zwei Stunden zuhören würde. Immer wieder fragt er, warum sich Gorge für die Moral entscheidet: "Güte oder Feigheit?" In Moment des Paradigmenwechsels wird das Stück dialogisch, wobei der Erzähler immer wieder kommentierend eingreift. Hinter dem Spiegel verwirft Gorge seine mittelmäßige Existenz. Er wird zum Lügner aus Prinzip, gibt jeden Ansatz eines Charakters auf, wird hundertprozentig flexibel. Um an eine traumatisierte Frau ranzukommen, erfindet er sogar eine Vergangenheit als missbrauchtes Kind. Und hat so einen Spaß an dieser neuen Identität, dass er sogar eine Autobiographie schreibt. Praktischerweise sind seine Eltern erst nach Australien ausgewandert und dort verstorben.
Mit britisch bösem Humor persifliert Dennis Kelly die Mechanismen der Medien, die sich natürlich auf die Bekenntnisse eines Topunternehmers begeistert stürzen. Doch im Kern ist "Die Opferung von Gorge Mastromas" ein Lehrstück über den Neoliberalismus. Der Mann ohne Ich, der völlig den Anforderungen des Augenblicks entsprechen kann, rein situativ handelt und keine Angst kennt, ist das Erfolgsmodell schlechthin. Regisseur Christoph Mehler hat für Kellys präzise Parabel die perfekte Theaterform gefunden. Die Distanz durch Spiegelwand und Mikroports, das leicht überhöhte Spiel des richtig guten Frankfurter Ensembles verhindern, dass die Dialoge im puren Realismus versacken. Der Erzähler entpuppt sich am Ende als Gorges Enkel, der ihn aufspürt, um ihn umzubringen. So bekommen die Monologe szenischen Sinn, und Dennis Kelly zeigt sich wieder einmal als Meister der dramatischen Konstruktion. "Die Opferung von Gorge Mastromas" ist eins der besten Stücke des Jahres. Dessen Uraufführung durch das Schauspiel Frankfurt im Rahmen der Ruhrfestspiele grandios gelungen ist.
Das Gegenteil gilt für "Zu schwankender Zeit am schwankenden Ort". Das Stück beginnt mit einem Mann, der seinen Namen vergessen hat. Eine alte Frau wartet im Pflegeheim auf ihren hektisch durch die Welt eilenden Sohn. Es gibt noch viele weitere Geschichten, die lose miteinander verbunden sind. Nico Helminger gelingen ein paar subtile Formulierungen, doch die Figuren wirken kraftlos, die Sprache gestelzt. Eine Kunstübung, die Regisseurin Anne Simon noch weiter verkünstelt, indem sie jeden Schauspieler zwei Rollen spielen lässt und dabei jede Dramaturgie aus dem Auge verliert. So fliegen dem Publikum nur zusammenhanglose Momentaufnahmen um die Ohren.
Informationen der Ruhrfestspiele
"Die Opferung des Gorge Mastromas" läuft ab 16. September im Schauspiel Frankfurt.