Scharfsinniges Buch erscheint posthum
Wenige Tage vor seinem gewaltsamen Tod vollendete der "Charlie Hebdo"-Chefredakteur Stéphane Charbonnier sein Buch "Brief an die Heuchler". Es gilt als Vermächtnis des Satire-Magazins und ist nun auf Deutsch erschienen.
Wenige Tage vor dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" in Paris hatte er sein letztes Buch vollendet: Stéphane Charbonnier, der sich selbst Charb nannte, wehrte sich in dem Manuskript gegen die Vorwürfe, sein Satire-Magazin sei islamfeindlich und rassistisch. Er wendet sich in seiner Streitschrift etwa auch gegen die Behauptung, Muslime hätten keinen Sinn für Humor und schon gar nicht für Ironie.
Am 7. Januar wurde Charb zusammen mit mehreren seiner Kollegen während der Redaktionssitzung von radikalen Islamisten erschossen. Sein Buch, das man als eine Art Testament eines Kämpfers für Meinungs- und Kunstfreiheit lesen kann, erscheint nun auf Deutsch.
Das Gespräch zwischen Dirk Fuhrig und Jörg Magenau:
Was wollte er damit?
Es ist ein Manifest für die Meinungsfreiheit. Ein pointenreiches, scharfsinniges Pamphlet. Verteidigung gegen die Anwürfe, sein Heft beleidige die Muslime. "Nein", sagt er: "Wir machen Religionskritik, das gehört zu unserem Geschäft. Wir sagen, dass es gewalttätige Muslime gibt, aber auf keinen Fall, dass ALLE Muslime gewalttätig sind." Und die Kritik geht auch gegen das Christentum, gegen religiöse Eiferer aller Couleur. Und: an die großen Mainstream-Medien, die das Thema gepusht haben: „Steht für das Fernsehen fest, dass es eine Provokation ist, dann gibt es immer ein paar Idioten, die sich provoziert fühlen" .
Und letztlich: Der "Brief an die Heuchler" ist auch und vor allem ein Manifest für den Atheismus. Gegen geschlossene System wie Religionen im Allgemeinen.
Zwei Tage davor, war er so angegriffen? Spürt man darin etwas von seiner Angst?
Überhaupt keine Angst - ist ein Dokument der Entschlossenheit. Sich nicht unterkriegen lassen. Und das, obwohl die Zeitschrift ja seit Jahren geschützt werden musste. Er beschreibt auch das Attentat auf "Charlie Hebdo" bereits 2011; damals waren die Redaktionsräume verwüstet worden, nachts durch einen Molotowcocktail, Menschen kamen nicht zu Schaden; aber Todesdrohungen. Alles vor dem Hintergrund der Mohammed-Karikaturen (2005) in der dänischen Zeitung, die "Charlie Hebdo" nachgedruckt hatte. Erst nach den dänischen Mohammed-Karikaturen kam auch "Charlie Hebdo" in den Fokus. Vorher gab es nur selten Beschwerden, schreibt Charb.
Aus dem Text spricht der Wille, immer weiter die härteste Satire zu machen – Charb lässt ja das englische "sharp" anklingen. Er hatte ja gesagt. "Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto" - und er würde "lieber aufrecht sterben, als auf Knien zu leben". Diese Haltung findet man in dem "Brief".
Es heißt "Brief an die Heuchler". Untertitel: "Und wie sie den Rassisten in die Hände spielen." Wen meint Charb mit den Heuchlern?
"Lettre ouverte aux escrocs de l'islamophobie qui font le jeu des raciste" heißt das Original. Also gegen die, die den Vorwurf der Islamophobie benutzen, um sich selbst in Position zu bringen. Die - aus seiner Sicht - selbst ernannten Vertretern der französischen Muslime, die gegen Charlie Hebdo immer wieder geklagt hatten ...windige Geschäftemacher, Winkeladvokaten ... so qualifiziert er die ab.
Gerade Leute, die andere Menschen diskriminieren (wegen Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung) werfen "Charlie Hebdo" oft Rassismus vor - verwechseln bewusst Kritik an der Religion mit Kritik an Menschen. Gerade also der Front National und andere rechte Kreise.
Charlie Hebdo ist ja ein linkes Magazin, "eine Zeitung, die für das Wahlrecht der Einwanderer eintritt, die für eine Legalisierung der Situation von Ausländern ohne Aufenthaltspapiere kämpft und für antirassistische Gesetze". Charlie Hebdo ist "eine antirassistische und linke Zeitung". Also: Gegen "echten" Rassismus, für ätzende Religionskritik!
Kann man diese Haltung teilen?
Natürlich: Religionskritik, das gehört zum Grundinstrumentarium einer freien Gesellschaft, würde ich sagen. Aber: Die Debatte hat ja gerade seit den Anschlägen auch in Deutschland stattgefunden. Sollte man nicht vorsichtiger sein? Wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit, der Satire? Haben Gläubige nicht das Recht, sich verletzt zu fühlen? Aber wer urteilt darüber, da Gläubige ja selbst bestimmen, ab wann sie sich "verletzt" fühlen.
Es gab ja die große Solidaritätsbekundung nach den Anschlägen: "Je suis Charlie". Wie hat sich die Haltung seit den Anschlägen verändert?
Einerseits gibt es nach wie vor ein "Je suis Charlie"- Gefühl in Frankreich. Aber: Wenn Sie an die Debatte um die PEN-Gala Anfang Mai in New York denken, als "Charlie Hebdo" mit dem Preis für Meinungsfreiheit ausgezeichnet werden sollte. Etliche, auch namhafte Schriftsteller hatten dagegen protestiert - weil sie "Charlie Hebdos" Satire ehrverletzend bzw. anti-islamisch fanden. Salman Rushdie hat damals scharf auf die Kritiker reagiert.
Und gerade jetzt diese Woche der französischen Zeitschrift L'Express) ein langes Interview dazu gegeben; Titelgeschichte. Darin verurteilt er die Haltung seiner Kollegen, seiner "Freunde", wie er sagt, von denen er immer noch schockiert sei. Die Sache hat "die literarische Welt nachhaltig beeinflusst". Michael Ondaatje, Peter Carey, Michael Cunningham - und vor allem Teju Cole (nigerianischer Schriftsteller). Rushdie betont noch einmal ganz stark. Bei dem Attentat auf Charlie Hebdo ging es um das vermeintliche "Rächen" von Blasphemie, also um genau das, was den Satanischen Versen vorgeworfen wurde - und weswegen er mit der Fatwa verfolgt wird.
Übrigens: Auch der deutsche PEN war sich nicht so sicher in seiner Haltung: Josef Haslinger, PEN-Vorsitzender, hatte anlässlich des Streits um den Preis damals in unserem Programm gesagt, er hätte in Deutschland niemals eine Auszeichnung seines Verbands für "Charlie Hebdo" befürwortet. Diese Haltung ist, so hört man, aber auch im deutschen PEN umstritten. Der Schriftsteller-Verband will sich auf seiner nächsten Jahrestagung explizit mit der Frage: Was ist Blasphemie? beschäftigen. Und der PEN sagt auch: Meinungsfreiheit bedeutet, ein dickes Fell zu haben.
Wie geht es Charlie Hebdo eigentlich heute?
200.000 Abonnenten und 100.000 am Kiosk, vorher hatte es ein Zehntel der Auflage.
Die Solidarität mit dem Magazin ist also noch da. Zwischendurch gab es Streit um die Millionen an Spenden bzw. durch die extrem hohen Auflagen der ersten Hefte nach dem Anschlag. "Charlie Hebdo" zieht demnächst um, von der Libération in ein gesichertes Gebäude, das die Stadt Paris zur Verfügung stellt. Man kann jetzt regelmäßig spenden für das Blatt und es von der Steuer absetzen. Die Existenz scheint gesichert.