Chöre sind Aerosol-Schleudern
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Derzeit geht Chorsingen wenn, dann nur draußen. Eine Charité-Studie bestätigt nun, dass beim Singen weit mehr Aerosole gebildet werden als beim Sprechen. Sie weist aber auch Wege, wie gerade kleinere Chöre wieder zum Singen kommen können.
Wegen der Corona-Pandemie hat der Berliner Senat entschieden, das Singen in geschlossenen Räumen bis mindestens Ende Juli zu verbieten. Ein folgenschwerer Entschluss für professionelle Chöre wie den Rundfunkchor Berlin und den RIAS-Kammerchor, deren Hauptgesellschafter Deutschlandfunk Kultur ist.
Dirk Mürbe ist selbst ausgebildeter Sänger und leitet die Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité Berlin. Seit Beginn der Pandemie untersucht er, wie gefährlich Singen für die Ansteckung mit dem Coronavirus ist. Jetzt hat er eine Studie veröffentlicht, die die Aerosolbildung beim professionellen Singen untersucht.
"Beim Singen ist der Atemweg Teil des Instrumentes", erklärt Mürbe, "und da liegt es nahe, dass die Flüssigkeitspartikel, die beim Singen entstehen, die größeren in Tröpfchenform und die sehr kleinen als Aerosol, beim Singen in besonderer Weise verbreitet werden." Dazu gebe es klinische Erfahrungen. "Zum Beispiel Chorproben zu Beginn der Pandemie, die dann tatsächlich mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergegangen sind."
"Wir brauchten reelle Zahlen"
Laut Mürbe gibt es in Berlin an der Technischen Universität mit dem Hermann-Rietschel-Institut eine Institution, die sich seit vielen Jahren mit Lüftungs- und Raumkonzepten beschäftigt. Dort gibt es einen "Reinraum", einen von feinsten Partikeln gereinigten Raum. Der sei geeignet gewesen, die Anzahl der Tröpfchen, also die Quellstärke, die beim Singen entsteht, zu untersuchen.
"Wir konnten erstmals bestimmen, in welchem Umfang Aerosole überhaupt entstehen", berichtet der Mediziner. Dass es mehr sind als beim Sprechen und Atmen, sei anzunehmen gewesen. "Aber um vernünftige Risikomanagementstrukturen aufzustellen und letztendlich den Raum auszuschöpfen, um das Singen zu ermöglichen, braucht man reelle Zahlen."
Das sei nun möglich gewesen. Das Team habe die Quellstärken für professionelle Sänger gemessen, Sopranistinnen, Altistinnen, Tenöre, Bariton. Mürbe beschreibt die Versuchsanordnung: "Sie haben eine gewisse Zeit geatmet, einen standardisierten Text gesprochen und sie haben Mendelssohns 'Abschied vom Walde' jeweils in der Chorstimme gesungen. Sodass wir drei Werte hatten, die wir miteinander vergleichen konnten."
Kein einfaches Daumen hoch
Auf ein einfaches Daumen rauf oder runter lässt sich Mürbe nicht ein: "Es bestätigte sich, dass die Aerosole beim Singen in weit stärkerer Anzahl gebildet werden als beim Sprechen. In unserer Untersuchungsgruppe war das ungefähr Faktor 30. Und es zeigte sich, was wir auch von anderen Konstellationen kennen: Dass die Sängerinnen und Sänger sich in ihrer Aerosolemissionsstärke sehr stark unterscheiden."
Nun könne analysiert werden, wie in großen Räumen mit den Ergebnissen umgegangen werden kann. Denn Ziel sei ja, im Konzertsaal, im Chorprobenraum, beim Gesangsunterricht eine Konstellation herzustellen, die das Singen möglich mache.
Jetzt könnten Ingenieure Lüftungskonzepte entwickeln und dabei berücksichtigen, wie viele Menschen singen, mit welchem Abstand auf der Bühne, wie lange sie singen, wie groß die Räume sind, welche Lüftungsmöglichkeiten es gibt. "Mit diesen Parametern kann ein Konzept entwickelt werden, was das geringstmögliche Risiko für den jeweiligen Chor beinhalten soll", sagt Mürbe. "Jetzt kann man sich von einem Pauschalverbot lösen und die Situation individuell beurteilen. Für die Entscheidungsträger ist das aufwändig."
Individuelle Hygienekonzepte
Jede künstlerische Institution muss den Gesundheitsbehörden ein Hygienekonzept vorlegen. Vor einigen Wochen wurde das Singen überwiegend im Freien empfohlen. "Jetzt aber können wir gerade in großen Räumen, in Räumen mit maschineller Belüftung, einzelne Chorsituationen wieder ermöglichen. Sicher nicht die Choroper auf engem Raum, aber kleinere Ensembles könnten wieder mit dem Arbeiten beginnen."