Charles Regnier

Ein souveräner Selbstzweifler

Der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Charles Regnier (aufgenommen im November 1995).
Der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Charles Regnier (aufgenommen im November 1995). © picture-alliance / dpa - Stephanie Pilick
Von Cornelie Ueding |
Das schauspielerische Repertoire von Charles Regnier reichte von Heinar Kipphardts "Oppenheimer" bis zum verdächtigen Professor im "Kommissar", von den Münchner Kammerspielen bis zum Boulevardtheater. Er selbst war in den meisten Rollen unverwechselbar zwielichtig, etwas süffisant und scheinbar überlegen.
"Ich wäre auch sehr gerne ein Schriftsteller geworden. Aber das kann ich nicht. Ich wäre gerne ein produktiver Künstler geworden. Aber ich glaube, das war mir nicht gegeben. Aber so an der Grenze des Reproduktiven: Ich übersetze ja auch sehr viele Theaterstücke ... Aber ich glaube nicht, dass ich ein eigenes Stück schreiben könnte."
Grenzgänger, doppelsinnig, zwielichtig, vielseitig, virtuos – die Liste der Attribute, mit denen man den am 22. Juli 1914 in Freiburg geborenen Schauspieler Charles Regnier zu beschreiben versucht, ist lang – und etwas hilflos. Immer wieder ist von seiner unterkühlten Eleganz die Rede und von seiner intellektuell grundierten Ausstrahlung. Auch seine bi-kulturelle Herkunft, die französischen Großeltern und die Jugendjahre im Schweizer Luftkurort Davos, spielen eine - ambivalente - Rolle.
"Ich war in Davos in der Schule und habe dieses Lied immer gesungen, wenn ich auf Skiern in die Schule gehen musste. Das war'n so alte Bindung, große Skischuhe, schwere Skis - und man ist gelaufen. Man musste nur auf Skiern gehen, denn anders wäre man gar nicht vorwärts gekommen. Was ich gehasst habe, und deswegen bin ich nie wieder Ski gelaufen. Man saß dann in der Schule, in dem Klassenzimmer und hatte nur mit seinen Frostbeulen zu tun. Man musste sich ununterbrochen kratzen, an den Füßen, das juckte entsetzlich, tat weh. Es war eine furchtbare Jugend, was das betrifft."
Kein Kind der Berge. Stattdessen zog es ihn früh in die Welt der Künstlichkeit, der Literatur, des Dramas. Intuitiv lernte Regnier zwischen naiver Verbildlichung und unangestrengter Verfremdung zu unterscheiden. In Erinnerung an eine schauspielerische Aufführung im Wohnzimmer Klabunds bemerkte er:
"Als Schauspieler hatte ich seither nie wieder Gelegenheit als Dame aufzutreten, oft aber zu zeigen, wie man als Dame auftritt."
Gründgens Abfuhr entmutigte ihn nicht
Diese instinktive Fähigkeit des Sprechens auf zwei Ebenen sollte seine weitere Arbeit prägen. Entmutigen ließ er sich weder durch einen Sprachfehler noch durch Gründgens rüde Abfuhr bei einem Vorsprechen, noch durch den extrem langen Weg zum Erfolg. Ob Haupt- oder Nebenrolle, Kammerspiele oder Krimi, Kipphardts "Oppenheimer" im Fernsehen oder Tourneetheater: Stets vermittelte seine Darstellung zugleich mit der Maske der Hilflosigkeit, der Überlegenheit oder der Koketterie auch die Hilflosigkeit all dieser Maskierungen.
"Mit jeder Rolle kommt man sich selbst eigentlich ein bisschen näher ... Es gibt auch sehr viel hässliche Sachen in einem ... die man plötzlich entdeckt, in einem Ausdruck, den man plötzlich hat und in einer Szene, die man plötzlich so begreift, dass man sie wirklich so spielt, ... als wäre das wirklich. So dass man sich eigentlich erst durchs Theater kennengelernt hat."
Die Bühne als Ort der Hoffnung
Der Souveränität auf der Bühne entsprach übrigens, so erinnert sich sein Sohn Anatol, keineswegs der sonstige Lebensstil des von Selbstzweifeln Geplagten. Der zähe Kampf um Anerkennung und auch der finanzielle Druck gingen nicht spurlos an dem scheinbar stets ruhigen und kontrollierten Charles Regnier vorüber. Schon lange ehe er 2001 mit 87 Jahren starb, beklagte er:
"Da ich so viel, eben was man nennt, Boulevardtheater spiele, kommen die städtischen und staatlichen Bühnen gar nicht auf die Idee, mich anzufragen. Nicht etwa weil sie denken, ich hätte zu viel zu tun, sondern weil es eine Spaltung innerhalb des Theaters gegeben hat, sodass die Schauspieler, die diese Art von Theater spielen, von den anderen Bühnen ... glauben, nicht mehr beschäftigt werden zu können. Das ist sehr schade."
Für ihn war die Bühne – und das schließt niveauvolle Unterhaltung ein – auch ein Ort der Hoffnung. Ein Erkundungsort und Erkenntnislabor, vielleicht sogar eine Art vorweggenommene Gehirnforschungsanstalt mit durchaus humanistischem Fokus, ausgehend von den Erkenntnissen,
"... dass also das menschliche Gehirn nur zu einem ganz kleinen Teil entwickelt ist; dass es ganz andere Regionen im menschlichen Gehirn gibt, die noch zu entwickeln wären ... Die sind sicher sehr antimaterialistisch. Das sind sicher ganz andere Fantasiebezirke, wovon wir wahrscheinlich heute noch gar nichts wissen, dass im Menschen noch ganz andere Kräfte sind. Dass er sein Leben ganz anders gestalten kann."