Charles Shields: "Der Mann, der den perfekten Roman schrieb". 'Stoner' und das Leben des John Williams", Biografie
Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Stremmel
dtv, München 2019
384 Seiten, 26 Euro
Jedes Leben hat seine dramatische Banalität
06:20 Minuten
John Williams starb als Unerkannter, dem Alkohol verfallen und lungenkrank. Posthum wurde er durch seinen Roman "Stoner" zum Kultautor. Charles Shields hat nun eine gründlich recherchierte Biografie über den Schriftsteller geschrieben.
Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten die meisten von uns von einem amerikanischen Autor namens John Williams noch nie etwas gehört. Und in der Tat hatte er wenig geschrieben und wurde kaum gelesen. Denn obgleich er für einen seiner Romane einen halben National Book Award bekommen hatte und von den Kollegen hochgeschätzt wurde, blieb er kommerziell ein Flop. Und so starb Williams 1994 mit 71 Jahren - lungenkrank, dem Alkohol verfallen und unerkannt.
Es dauerte viele Jahre, bevor der Übersehene wiederentdeckt und geradezu Kult wurde, bejubelt von Autoren wie Column McCann oder Ian McEwan eroberte er post mortem ungeahnte Leserschaften. "Stoner" heißt der fulminante Roman, mit dem der Siegeszug begann. Es ist die Geschichte eines scheinbar unbedeutenden College-Professors, der so eigenwillig wie bedrängt dahinlebt - und eine unvermutet beeindruckende, weil in sich ruhende und in der Liebe zur Literatur beglückte Figur ist.
Es war nicht die Zeit für John Williams
Williams gehört zu den Autoren, die wissen, dass das Leben meist nicht aus Glanz, Erfolg und Nachruhm besteht, dass aber jedes Leben seine Würde, seine Sehnsucht, seine Unberechenbarkeit und seine dramatische Banalität hat.
1965 erschien sein Roman "Stoner" zum ersten Mal. Zwar wurde es von manchen gefeiert, aber es war wohl die falsche Zeit für einen so leisen wie eindringlichen Roman. Die Amerikaner hatten gerade die ersten Bomben auf Nordvietnam abgeworfen und Bodentruppen nach Südvietnam geschickt. Es war die Zeit von James Bond, Norman Mailer und Truman Capote. Die Zeit der Studentenproteste und Bürgerrechtsbewegung, der Morde an den Kennedys und Malcolm X, die Zeit von LSD, von Woodstock und der sexuellen Revolution. Es war nicht die Zeit für John Williams.
Jetzt hat Charles J. Shields, der sich als Biograf - unter anderem von Harper Lee einen Namen machte -, John Williams' Leben erforscht und erzählt. Er berichtet von seinen Kriegserlebnissen, seiner Wortkargheit, seinen Eitelkeiten, seinen Enttäuschungen, seinen vielen Ehen und auch von seinem Selbstbewusstsein. Offenbar wusste Williams, dass er gut war - sehr gut sogar.
Die Macht, er selbst zu sein
Es ist ein gründlich recherchiertes, sympathisch genaues Buch, das klug aufmerksam macht auf die verschiedenen Identitäten, die Williams zu leben versuchte. Als hoch erfolgreicher und anerkannter College-Professor, der als einer der ersten Kreatives Schreiben als akademisches Fach etablierte, als unterschätzter Romancier und als mittelmäßiger Dichter. Er war immer auf der Suche - und da ähnelt er seinem Helden Stoner - nach einer inneren Harmonie. Das Große sei nicht, dies oder das zu sein, hat Kierkegaard einmal gesagt, sondern man selbst zu sein. Und genau das hat nicht Williams, aber sein Stoner auf dem Totenbett erreicht. Der erkannte auf einmal die Macht, er selbst zu sein und zu wissen, was er gewesen war.
Der fiktive Held ist also wieder einmal lebens- und sterbensklüger als sein realer Autor. Williams ergab sich dem Alkohol und verbrachte, so schreibt Shields, wohl mehr Zeit mit dem Trinken als dem Schreiben. Sein letzter Roman blieb ein Fragment.