Charles Simic: "Picknick in der Nacht"
Gedichte 1962 - 2015
Aus dem Englischen von Wiebke Meier
Carl Hanser Verlag, München 2016
267 Seiten, 22,90 Euro
Ein Dichter im Spiegel seines Werks
Charles Simic ist einer der bedeutendsten amerikanischen Lyriker. "Picknick in der Nacht", heißt sein beeindruckender Sammelband, in dem er bislang unveröffentlichte Gedichte der vergangenen mehr als fünf Jahrzehnte zusammengestellt hat.
Spätestens die Verleihung des Pulitzer Preises 1990 rückte den Lyriker Charles Simic in die Reihe der bedeutendsten US-amerikanischen Dichter der Gegenwart. Weitere Auszeichnungen folgten: die Ernennung zum Poeta laureatus der USA 2007 und die Frost Medal für sein Lebenswerk 2011.
Simic, lange Jahre Professor für Kreatives Schreiben und Literaturgeschichte in New Hampshire, hat bis heute mehr als 60 Bücher veröffentlicht, darunter Übersetzungen aus dem Französischen, Kroatischen, Serbischen und Mazedonischen, ebenso Essaysammlungen, überwiegend aber Gedichte.
Prägende Kindheitsjahre im Zweiten Weltkrieg
Der Münchner Carl Hanser Verlag, der diese – neben einigen Essays - seit gut fünfundzwanzig Jahren immer wieder auf Deutsch veröffentlicht, legt nun einen zweisprachigen Band vor, der hierzulande bislang unveröffentlichte Gedichte Simics von 1962 – 2015 zusammenfasst. Eine reiche Ergänzung vorliegender Texte und zugleich eine Art Werkschau des Lyrikers Simic. Die Auswahl hat dieser selbst mitbestimmt.
Wirklich bekannt geworden ist der Dichter bei uns nie. Dabei stammt er aus dem alten Europa und hat dessen Verwerfungen am eigenen Leib miterlebt. 1938 in Belgrad geboren, verbrachte Simic seine prägenden Kindheitsjahre während des Zweiten Weltkriegs und im Kalten Krieg. Die Erfahrungen dieser Zeit grundieren einen Großteil seines Werkes.
"Hitler und Stalin buchten meine Reisen", schreibt er lakonisch. Seine Eltern flohen mit ihm und seinen Brüdern vor Bomben, dann vor politischer Willkür, nach Italien, später nach Frankreich und schließlich in die Vereinigten Staaten. Erst bei seiner Ankunft in New York 1954, begann Simic, im Alter von Sechzehn, Englisch zu sprechen; fünf Jahre später erschienen bereits Gedichte von ihm.
Ein Dichter alltäglicher Dinge
Simic ist ein Dichter alltäglicher Dinge und Erscheinungen – damit steht er in der Tradition amerikanischer Lyrik. Er ist jedoch kein Rhapsode wie Walt Whitman oder Allen Ginsberg, sondern Lakoniker mit einem Blick für das, was hinter diesen Dingen liegt. Schreibt er über eine Gabel, eine Schnecke, eine Seegurke oder einen Obdachlosen, so gelingt es ihm, das Bekannte als Unbekanntes zu präsentieren und Gewöhnliches mit Bedeutung aufzuladen. Simic eröffnet dem Blick des Lesers eine neue Dimension.
"Ach, Frühling, stünde ich an einem Tag wie heute
Vor einem Erschießungskommando, trüge ich
Eine deiner Blumen vom Straßenrand
Hinter meinem Ohr
Grinste wie ein Friseur
Der Cameron Diaz ein Shampoo reicht."
Vor einem Erschießungskommando, trüge ich
Eine deiner Blumen vom Straßenrand
Hinter meinem Ohr
Grinste wie ein Friseur
Der Cameron Diaz ein Shampoo reicht."
Handfeste Sprache, die selbst ein Hund verstehen soll
Simic nutzt Humor und Ironie, um existenzielles Pathos zu umgehen, gleichwohl seine Dichtung ernst ist - getragen von einer geheimnisvollen Spannung und oft erschreckenden Überraschungsmomenten. Sie rühren nicht von unerwarteten Zeilensprüngen her, sondern dem Verständnis des Dichters für das Diffuse und die Sprunghaftigkeit des menschlichen Daseins, das Nebeneinander von Größe und Banalität, Bizarrem und Surrealem.
"Wir gingen zu einem Metzger und fragten nach dem Weg
Er saß da und spielte Akkordeon
Die Lämmer hatten die Augen selig geschlossen
Die Messer, seine bösen kleinen Helfer, aber nicht
Kommt nur herein, Leute, sagte er."
Er saß da und spielte Akkordeon
Die Lämmer hatten die Augen selig geschlossen
Die Messer, seine bösen kleinen Helfer, aber nicht
Kommt nur herein, Leute, sagte er."
Diese Gedichte wirken direkt auf die Phantasie. Sie sind verwandt, das macht der Band eindrucksvoll klar, mit der Malerei Jackson Pollocks und Willem de Koonings. In handfester Sprache, von der der Autor fordert, "ein Hund müsse sie auch verstehen", weist er bedacht auf etwas hin, was nicht in Worte gefasst werden kann. Häufig bleibt das Ende offen. Häufig bleibt ein Gefühl. Und fast immer dieser einzigartige Simic Ton. Eigentlich ist dieser Dichter ein Jazzmusiker, der den Blues im Blut hat.