Der liebe Gott am Klavier
Bizarr, grotesk, exzentrisch: Das ist vielleicht das erste, was einem zur Musik von Charles-Valentin Alkan einfällt. Exzentrisch, grotesk und bizarr waren auch Alkans Leben und Persönlichkeit. Vor 200 Jahren wurde er geboren.
Zugleich aber liegt darin wohl der Schlüssel zu einer Musik, deren aberwitzige Virtuosität bis heute die Pianistinnen und Pianisten das Fürchten lehrt. Dabei hatte Charles-Valentin Alkans Karriere ganz "normal" begonnen.
Als Sohn des jüdischen Schulmeisters Alkan Morhange (dessen Vornamen er später zu seinem Familiennamen machte) wurde er am 30. November 1813 in Paris geboren, studierte am dortigen Conservatoire und galt bald als einer der besten Pianisten seiner Zeit, neben seinen Freunden Franz Liszt und Frédéric Chopin. Und auch seine Werke wurden bestaunt und bewundert - etwa "Le Chemin de fer": eines der frühesten Musikstücke zum Thema "Eisenbahn".
"Wenn Chopin der Poet am Klavier ist, und Liszt der Prophet - dann ist Alkan der liebe Gott!"
Solche Salon-Bonmots änderten nichts daran, dass Alkan das Konzertieren im "Virtuosen-Zirkus" hasste, zunehmend in Melancholie und Misanthropie verfiel und sich 1839 - mit nur 25 Jahren - komplett aus der Öffentlichkeit zurückzog.
Bis zu seinem Tod fast 50 Jahre später ist Alkan nur noch sporadisch in einem größeren Rahmen aufgetreten. Er wurde gleichsam zum Phantom: Das einzige Foto, das von ihm existiert, zeigt ihn von hinten, mit Zylinder und Regenschirm. Dabei komponierte er fleißig weiter: Klavierwerke, die immer schwieriger, fremdartiger und monströser wurden - etwa ein schier "unspielbares" Konzert für Klavier ohne Orchester, dessen erster Satz allein fast anderthalbtausend Takte umfasst! Die Kollegen schüttelten ratlos den Kopf über Stücke wie "La Chanson de la folle au bord de la mer" - "Das Lied der Irren am Meeresstrand" -, das nur die extrem höchsten und tiefsten Register des Klaviers bedient, oder "Les Diablotins" ("Die Teufelchen"): Ein Stück, das Cluster-Techniken der Neuen Musik vorwegnimmt.
Musik, deren visionäre Bedeutung erst im 20. Jahrhundert erkannt und gewürdigt wurde - etwa von Ferruccio Busoni, der regelmäßig Alkans Werke in seinen Konzerten spielte. Selbst über seinen Tod kursierte lange eine bizarre Legende: Charles-Valentin Alkan starb am 29. März 1888 - angeblich erschlagen von einem Bücherschrank, aus dessen oberem Fach er den Talmud hervorziehen wollte.
"Wenn man nicht von seinem Tod erfahren hätte - man hätte nicht gewusst, dass er überhaupt noch gelebt hat."
"Wenn man nicht von seinem Tod erfahren hätte - man hätte nicht gewusst, dass er überhaupt noch gelebt hat."