Anschlag auf das zentrale Nervensystem
Warum die Terroristen in Frankreich gerade die Redaktion von "Charlie Hebdo" attackiert haben, ist leicht erklärt. Wer aber glaubt, der islamistische Terrorismus würde am liebsten alle Medien mundtot machen, macht es sich zu einfach, meint der Kulturwissenschaftler Roland Düker. Das Verhältnis zwischen Medien und Terroristen sei komplizierter.
Dass sich der Terror, und in letzter Zeit vor allem der islamistische Terror, der Medien bedient – nein – dass dieser Terror auf die Medien angewiesen ist, das ist eine Binsenweisheit. Ohne die medialen Verbreitungskanäle, die dank des Internets immer schneller, nämlich beinahe in Echtzeit, heiß laufen, würden die Gräueltaten der Islamisten nicht ihre weltweite Wirkung entfalten.
Dabei kann von einer Botschaft im eigentlichen Sinne kaum die Rede sein. "Allah ist groß", Wir haben den Propheten gerächt"? Solche Sätze enthalten kein Argument und keine Nachricht. Es handelt sich, wenn gleich darauf Blut fließt, ja auch um völlig perverse Aussagen.
Darum führt es nicht weiter, die Programmatik dahinter analysieren zu wollen, gar zum Koran zu greifen, oder den muslimischen Nachbarn unter Verdacht zu stellen.
Schon damals kam es kaum auf den Inhalt der kruden Erklärungen der Baader-Meinhof-Gruppe oder der Roten Brigaden an. Sie wurden ja auch voll und ganz vom physischen Terror überlagert, mit dem diese Gruppen agierten.
Treffer ins Herz des westlichen Selbstverständnisses
Es geht nicht um Debatten. Es geht um Gewalt, die den Diskurs verweigert. Die Nachricht, die der Terrorismus über die Medien in die Welt sendet, zielt nicht darauf ab, diskutiert zu werden. Diese Nachricht ist selbst der Schock. Sie ist physisch, sie ist eine Vibration und eine Erschütterung, sie ängstigt auf unmittelbare Weise:
Eine solche Nachricht fährt direkt in die Glieder, ganz so, wie einen das plötzliche Klingeln des Telefons in Panik aus dem Schlaf reißen kann. "Das Medium ist die Message", behauptete einmal der kanadische Medienphilosoph Marshall McLuhan, und man könnte seinen Satz, frei nach René Descartes, auch so paraphrasieren: "Ich sende, also bin ich."
Die erschütternde Nachricht dieser letzten Woche trifft ins Herz des westlichen Selbstverständnisses. Durch dieses Ziel unterscheidet sie sich von anderen Schreckensmeldungen über Anschläge und Hinrichtungen, die uns tagtäglich auch sonst aus dem Nahen Osten erreichen. Aber warum?
Die Zeitschrift "Charlie Hebdo" repräsentierte eine Möglichkeit der freien Äußerung, die auch in satirischer Zuspitzung alles und jeden aufs Korn nehmen konnte, sei es den Propheten, sei es die Jesusmutter.
Düstere Aussichten nicht nur für Journalisten
"Charlie Hebdo" ist aber auch ein neuralgischer Punkt im "zentralen Nervensystem", als das Marshall McLuhan das elektronische Zeitalter der Massenmedien bezeichnet hatte. Dass die Impulse, die von den Redaktionsräumen dieses Magazins ausgingen, das ganze globale Dorf in Schwingung versetzen konnten, lag natürlich auch an den Inhalten, die dort publiziert wurden.
Schließlich war auch die dänische Zeitung "Jyllands Posten" nicht wirklich ein Begriff, bevor dort Mohammed-Karikaturen erschienen waren und plötzlich überall im Nahen Osten dänische Flaggen brannten. Die Medien sind unser zentrales Nervensystem.
Auch die Attacke wird medial inszeniert. Und das Neue am jüngsten islamischen Terror ist ja gerade die Geschicklichkeit, mit der er sich dieser Inszenierungstechniken bedient. Propaganda aller Art schleust sich zudem gezielt, professionell und häufig unerkannt durchs Internet. Feindbilder werden gepflegt, Schuldige gesucht, vermischt mit dem allgegenwärtigen Klagen über eine "Lügenpresse", eine "Systempresse".
Das ist aber nicht der Einstieg in eine Debatte. Es ist der Ausstieg, der dem politischen Forum den Rücken kehrt und einen demokratischen Konsens aufkündigt oder ihn gar nicht erst anstrebt.
Der Anschlag auf "Charlie Hebdo" war eine chirurgische Attacke auf das, was unser überaus sensibles, also zentrales Nervensystem ist – nämlich auf die Medien selbst. So könnte die künftige Strategie des Terrors aussehen. Und das ist eine düstere Aussicht, nicht nur für Journalisten.
Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist Kulturwissenschaftler und Journalist.
Er arbeitet vor allem für "DIE ZEIT" und lebt in Berlin.