Die Ausstellung "Charlotte Posenenske: Work in Progress" ist noch bis zum 2. August 2020 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20, in Düsseldorf zu sehen.
Späte Weihe für eine radikale Künstlerin
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Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt Werke der Konzeptkünstlerin Charlotte Posenenske. Sie arbeitete bewusst mit billigen, industriellen Materialien - und stellte mit ihrem seriellen Ansatz das traditionelle, autonome Kunstwerk infrage.
Die ersten beiden Skulpturen der Ausstellung "Work in Progress" von Charlotte Posenenske lassen sich glatt übersehen. Zwei kantige hohe Blechkörper stehen unscheinbar neben der Eingangstür der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 in Düsseldorf. Sie wirken wie Überreste einer Baustelle, versehentlich von den Handwerkern zurückgelassen.
Kunstwerke, die nicht nach Kunst aussehen sollen
Das hätte Posenenske gefallen. Die 1930 in Wiesbaden geborene Künstlerin schuf Kunstwerke, die nicht wie Kunst aussehen sollten. Dafür benutzte sie nicht Pinsel und Leinwand, sondern Materialien wie Blech, Metall, Pappe, Spachtel, Spritzpistolen. Isabel Malz, Kuratorin der Ausstellung:
"Es gab auch schon die ersten Kommentare, auch hier aus dem Haus, die gesagt haben: Was ist das, Aschenbecher oder Müllschlucker? Wo ich so dachte: Es hat sich eigentlich nichts verändert zu den Zeitungskritiken von 1967, dieses Irritierende, Spielerische, durchaus auch Subversive, dieser an Lüftungskanäle erinnernden Serie - das fand ich auch wichtig; dass es einen Eindruck davon gibt, was sie in der Zeit umgesetzt hat."
Heimlicher Star des deutschen Minimalismus
Posenenske ist eine jener Künstlerinnen, die jahrzehntelang durch das Raster des Kunstmarktes gefallen sind. Erst 2007 holte die documenta ihre minimalistischen Skulpturen, Reliefs und Zeichnungen wieder aus der Versenkung. Seitdem wird die Künstlerin als heimlicher Star des deutschen Minimalismus gefeiert.
Das liegt auch daran, dass sie der Strenge der amerikanischen Minimal Art etwas Spielerisches und Ironisches hinzufügte. Besonders schön zeigt das eine Installation in der großen Ausstellungshalle von K20. "Bitte benutzen" steht auf einem Schild. Der Besucher wird aufgefordert, durch eine unscheinbare graue Metalltür zu gehen, die mitten im Raum steht.
"Die Grundform ist eigentlich ein Dreieck; sie haben sechs einzelne Flügel, die sie einzeln öffnen können. Das heißt, sie können verschiedene Raumsituationen schaffen, in dem man die Türen nach innen und nach außen öffnen kann, in verschiedenen Konstellationen zueinander. Je nachdem, wie sie die Drehflügeltüren öffnen, haben Sie Durchblicke, sie versperren Durchblicke, sie schaffen neue Durchblicke. Man schafft Öffnungen, Verschlüsse; dieser spielerische Charakter ist hier unmittelbar erfahrbar", sagt Malz.
Serielle und veränderbare Skulpturen
Erfahrbarkeit ist ein wichtiger Schlüssel zu der Kunst von Charlotte Posenenske. Mithilfe ihrer Flügeltür-Skulpturen wollte sie die Menschen dazu bringen, miteinander ins Gespräch zu kommen, aber auch den Raum neu und anders wahrzunehmen. Posenenske entwickelte in den 1960er-Jahren serielle Skulpturen, die auf Bewegung, Veränderung und Teilhabe abzielten.
Dabei legte sie großen Wert darauf, sich selbst als Künstlerin weitgehend herauszuhalten. Ihre großformatigen Skulpturen, die wie Lüftungsrohre oder Kaminschächte aussehen, konnten von den Benutzern immer wieder neu zusammengesetzt werden. Die Künstlerin lieferte ähnlich einem Baukastensystem nur die Module, die Fertigteile. "Schluss mit der Ichigkeit" nannte Posenenske dieses Prinzip ihrer Kunst.
Isabel Malz: "Sie war eigentlich gegen jegliche Privatisierung von Kunst. Kunst sollte öffentlich zugänglich sein, in jeder Hinsicht: geistig, materiell, aber auch praktisch in der Erfahrbarkeit. Sie hat alles versucht, um von ihrer eigenen persönlichen Handschrift abzulenken. Das ist auch das Typische von Minimal Art: Wenn es am Anfang in ihren Spachtelarbeiten die Handschrift der Künstlerin noch deutlich wurde, so hat sie sich immer weiter davon entfernt, bis dahin gehend, dass basierend auf ihren Zeichnungen, dann die Reliefs in Werkstätten hergestellt wurden, also da, wo sie am Anfang das Blech noch selber gefaltet und verlötet hat, selbst mit der Spritzpistole aufgetragen hat - das hat sie dann ab der Serie B abgegeben."
Das Eingeständnis des Scheiterns der Kunst
Posenenske sah ihre Werke als Prototypen für eine Massenproduktion. Ihre Kunst sollte demokratisch sein und die Gesellschaft verändern. Doch mit 38 Jahren machte die Künstlerin einen radikalen Schnitt. Im historischen Jahr 1968 stellte sie fest, dass sie mit ihrer Kunst nicht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen könne, wie sie es damals formulierte.
Malz: "Sie hat damit gerungen und gesucht, wie sie einerseits nicht nur ihre Kunst weiterentwickeln kann, sondern was sie als Person dazu beitragen kann; dass sie dann angefangen hat Soziologie zu studieren und mit Gewerkschaften zusammengearbeitet hat, als Soziologin gearbeitet hat, ist vielleicht nur ein konsequenter Schritt gewesen."
Leider ist die Drehtürskulptur das einzige Werk, das der Besucher heute noch benutzen darf. 35 Jahre nach ihrem Tod erhält Posenenske die Weihen eines Kunstbetriebs, von dem sie sich eigentlich abgewandt hatte. Sie wehrte sich gegen den Geniebegriff und gegen das autonome Kunstwerk. Doch auch wenn das konkrete Handeln mit ihren Skulpturen nicht mehr möglich ist, so bereitet der Besuch der Ausstellung im K20 dennoch ein großes gedankliches Vergnügen.