Charlotte Roche: Mädchen für alles
Piper, München 2015
240 Seiten, 14,99 Euro
"Erbauungsliteratur für die Generation YouPorn"
Nein, das ist kein Skandalbuch! Rezensent Kolja Mensing glaubt, dass man den neuen Roman von Charlotte Roche "Mädchen für alles" auch mit dem katholischen Lesezirkel studieren kann. Trotz pornografischem Plot habe die Autorin beste Absichten.
Heute erscheint der neue Roman von Charlotte Roche: "Mädchen für alles". Es gab keine Vorabexemplare, kaum Hinweise auf den Inhalt - nur einen Vorabdruck im neuen "Literaturspiegel". Offenbar geht es wieder viel um Sex, diesmal hat die Hauptfigur eine lesbische Liebesbeziehung mit der Babysitterin.
Kolja Mensing hat den Roman am Wochenende für uns gelesen und ihn im Gespräch mit Joachim Scholl rezensiert.
Joachim Scholl: Charlotte Roche hat zwei der größten deutschen Bestseller der letzten zwei Jahrzehnte vorgelegt – mit ihren erotischen Roman-Bekenntnissen "Feuchtgebiete" und "Schoßgebete". Heute erscheint nun der dritte Streich.
Kolja, die beiden ersten Roman haben so viel Wirbel gemacht, weil sie so richtig schön pornographisch waren. Ist das neue Werk auch wieder 'so' ein Buch?
"Nach einem geradezu klassischen Porno-Muster"
Kolja Mensing: Also, man hat schon eine gewisse Erwartungshaltung, wenn man ein Buch von Charlotte Roche in die Hand nimmt. Bei "Feuchtgebiete" – woran erinnert man sich? An die doch sehr offenherzigen Einlassungen der Autorin zum Thema Intimrasur oder Analverkehr. Und im Vergleich dazu beginnt "Mädchen für alles" eigentlich ziemlich harmlos.
Es geht um eine Frau namens Christine, die gerade Mutter geworden ist und die mit ihrer Rolle als Hausfrau und netter Mama nicht so recht klar kommt und die sich darum mit Fernsehen betäubt. Sie sitzt den ganzen Tag auf dem Sofa in ihrem Hamburger Vorort und guckt diese ganzen amerikanischen Fernsehserien "Breaking Bad", "Prison Break" – dieses ganze superbrutale Zeugs – und kann dann irgendwann ihren tristen Familienalltag und die doch eher gewalttätige Fernsehwirklichkeit nicht mehr recht auseinander halten.
So, aber keine Angst! Es geht auch um Sex, um lesbischen Sex diesmal. Und zwar nach einem geradezu klassischen Porno-Muster: Eine neue Babysitterin kommt ins Haus, und Christine fängt mit dieser sehr jungen und sehr hübschen Frau eine Affäre an. Und sie verführt die Babysitterin – wir dürfen live dabei sein.
Scholl: Da sind wir wieder im Terrain der Charlotte Roche. Wie erklären Sie sich eigentlich den Erfolg von diese 'Art Literatur' – muss man ja nach drei Büchern schon sagen?
"Sehr biedere, sehr verführerische Botschaften"
Mensing: Ja, das ist eigentlich richtig ein bisschen kompliziert. Auf den ersten Blick würde man ja meinen, dass sie so viel Erfolg hat, weil sie irgendwie provokant ist. Weil sie ihre Erzählerinnen immer so superlustig, superlocker, superselbstironisch plaudern lässt, ja, über gefühlt ungewöhnliche Sex-Praktiken. Aber in Wirklichkeit glaube ich eigentlich, dass Charlotte Roche ihre Leserinnen und Leser damit gar nicht schockieren kann.
Wer diese Bücher liest, der ist meist Ü 20 und U 40 – und das ist ja eigentlich die Generation, die alles, was irgendwie mit Sex zu tun hat, schon aus dem Internet kennt. Und mein Verdacht ist jetzt, dass Charlotte Roches Romane gerade deswegen gelesen werden, weil sie in Wirklichkeit unter dieser gefühlt krassen Oberfläche sehr biedere, sehr verführerische Botschaften verstecken.
In "Mädchen für alles" ist es eben, dass Christine lernen muss, dass alles, was sie sich da im Internet an Sex abgeguckt hat, nur ein Ersatz für die ganze Liebe ist, die sie in ihrem Leben nicht gekriegt hat. Also, das ist kein Skandalbuch, das ist ein Buch, das kann man auch mit dem katholischen Lesezirkel lesen: Erbauungsliteratur für die Generation YouPorn.
Scholl: Muss man's lesen?
Mensing: Sie können es lesen, aber Sie dürfen sich eben nicht wundern: Am Ende will Charlotte Roche eben nicht Ihre niederen Instinkte füttern, sondern Sie will einen besseren Menschen aus Ihnen machen.