Kontrolle von Chats

Droht eine Massenüberwachung?

11:37 Minuten
Eine Hand hält eine Sprechblase fest.
Greift der Staat bald nach Chat-Kommunikation? © imago images / fStop Images / Malte Müller
Von Anna Loll · 28.03.2022
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Die EU plant, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu ändern. Das würde bedeuten, dass Chats auf dem Smartphone von Sicherheitsbehörden mitgelesen werden können. Kindesmissbrauch soll damit bekämpft werden. Kritiker sehen hingegen ganz andere Gefahren.
Ein Video der Initiative “No Place to Hide“ der britischen Regierung – auf Deutsch „Kein Ort, sich zu verstecken“ – zeigt zwei Mädchen, Teenager. Sie unterhalten sich im Restaurant über Ärger mit den Eltern. Dann bekommt das eine Mädchen eine Textnachricht.
Plötzlich ist die Situation nicht mehr kindgerecht – so will es zumindest das Video suggerieren: Gegenüber den Mädchen blendet der Film einen erwachsenen Mann ein, schemenhaft, mit verzerrtem Bild. Erkennbar ist, dass er in ein Handy tippt. Die Mädchen sind arglos. Die eine überredet die andere, dem Unbekannten offenbar ein Bild von sich zu schicken.

Verschlüsselung schützt Nutzerinnen und Nutzer

Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselungstechnologie schützt die Privatsphäre von Nutzerinnen und Nutzern: Sie macht Texte, Bilder und Sprachnachrichten so gut wie nicht abhörbar für Dritte.
Die Kampagne der britischen Regierung warnt vor schweren Folgen für die Sicherheit von Kindern durch die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Sie mache es Kinderschändern leichter, Kinder online zu erreichen, ohne entdeckt zu werden. Man dürfe den Straftätern und Straftäterinnen aber kein Versteck geben.
Trotz des wichtigen Anliegens bekommt die Kampagne nicht viel Zuspruch, zumindest nicht aus der Zivilgesellschaft. Hanna Bozakov ist Sprecherin des verschlüsselten E-Mail-Anbieters Tutanota aus Hannover. Sie hält die Kampagne von Boris Johnsons Regierung für sehr problematisch.
„Die Idee von Johnsons Kampagne ist, dass dies andeuten soll, dass der Mann jetzt mit dem Kind machen kann, was er will und keiner kriegt‘s mit. Und diese Darstellung soll halt ganz einfach aufregen, soll die öffentliche Meinung bewegen und sagen: ‚Ja, Verschlüsselung ist schlecht, wir müssen Verschlüsselung stoppen, denn es geht ja hier um den Schutz der Kinder.‘“

Frage nach der Verhältnismäßigkeit

Kinderpornografie sei ein schweres Verbrechen, doch bei der Verfolgung müsse in einer Demokratie immer auf Verhältnismäßigkeit geachtet werden, meint Hanna Bozakov.
Am 17. März veröffentlichten 35 zivilgesellschaftliche Organisationen einen offenen Brief an die Europäische Kommission. Darin fordern sie, dass die Verschlüsselung in Europa intakt bleiben müsse.
Ebenso wie die britische Regierung erwägt auch die Kommission eine Schwächung von Verschlüsselung, um Kinderpornografie besser zu verfolgen. Voraussichtlich am 30. März wird sie dazu einen Gesetzentwurf vorlegen.
Der Deutsche Anwaltsverein hat den offenen Brief an die Kommission unterzeichnet. David Albrecht, Partner bei der Kanzlei „Fachanwälte für Strafrecht am Potsdamer Platz“ in Berlin, ist dort Mitglied.
Wir als Deutscher Anwaltsverein sehen in dem Vorhaben der EU-Kommission schon ein ganz erhebliches Gefahrenpotenzial für die Vertraulichkeit von Onlinekommunikation insgesamt und damit auch für das Anwaltsgeheimnis, denn was derzeit geplant ist, hat eine neue Qualität.“
Hier ginge es nicht nur um die Verbindungsdaten, also wer, wem, wann geschrieben hat, sondern auch um den Inhalt: "Das, was ich mit meinem Gegenüber schreibe, austausche, soll automatisiert gescannt werden – und zwar völlig ohne Anlass. Und das kennen wir bislang in unserem Recht nicht in dieser Form und in diesem Ausmaß. Und aus unserer Sicht ist das ein Vorhaben, was die Grenze der Verhältnismäßigkeit doch überschreitet, weil es eben eine anlasslose Massenüberwachung darstellen würde.“

In besonderen Fällen: Verschlüsselung brechen?

Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Unionsparteien im Bundestag, sieht dies anders. Der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium findet, die Kritiker und Kritikerinnen machten es sich zu einfach: „Natürlich müssen unsere Nachrichtendienste, vor allem unsere Strafverfolgungsbehörden, auch in der Lage sein, bei kriminellen Machenschaften Täter ausfindig zu machen. Und das verlangt eben, dass es auch Möglichkeiten gibt, Verschlüsselung aufzubrechen in begründeten Fällen und insbesondere bei dem furchtbaren Verbrechen von Kindesmissbrauch können wir nicht einfach wegschauen sagen: 'Das geht jetzt halt einfach nicht.' Man kann nicht achselzuckend darauf reagieren.“
Das wirft Günter Krings den Verbänden vor, die das Brechen von Verschlüsselung aus Datenschutzgründen ablehnen: „Ich verstehe die Position. Ich glaube auch, dass wir aufpassen müssen, dass wir Verschlüsselung nicht generell durchbrechen. Aber wir können auch nicht schweigen zu einem wachsenden Problem von Kindermissbrauchsfällen, Kinderpornografie in den Messenger-Diensten, im Internet generell. Da müssen wir als Staat Antworten geben, weil es auch hier um Grundrechte geht, die wir schützen müssen.“

Wie das technisch gelingen soll, ist allerdings noch nicht klar. „Auch da wäre denkbar, dass man es differenziert, dass man sagt: Wir sind bei Bildern strenger als bei Textnachrichten zum Beispiel.“

Verschlüsselung im Krieg

Hanna Bozakov von Tutatnota lehnt eine Schwächung von Verschlüsselung hingegen als zu gefährlich ab: "Gerade der Ukraine-Krieg hat ja auch gezeigt, wie wichtig Verschlüsselung ist. Zum Beispiel müssen dort Journalisten oder vor allem auch Whistleblower – und besonders auch in Russland selbst – ihre Kommunikation verschlüsseln, um überhaupt über die Situation im Land berichten zu können. Und da ist Verschlüsselung extrem wichtig, damit man seine Meinung zumindest im Privaten mit anderen teilen kann.“
Die aktuelle Frage ist nun: Wie weit werden die Regierungen in Europa, wird die EU gegen Verschlüsselung angehen? Klar ist: Auch wenn die britische Kampagne eher wenig Resonanz hatte – der Gesetzentwurf der Kommission wird Folgen haben.

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