Der ehrlichste Komponist
Es ist ein Juwel, ein Paradewerk des Genres, das allerdings erst in letzter Zeit so richtig zum Glänzen gebracht wird: Das Klavierkonzert des sowjet-armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan. Das DSO Berlin spielte es unter Leitung seines Chefdirigenten Tugan Sokhiev mit dem Pianisten Jean-Yves Thibaudet. Auf dem Programm stand außerdem die zweite Sinfonie von Johannes Brahms und die erste Ballettsuite von Dmitrij Schostakowitsch.
Es mag Zufall gewesen sein: In der Berliner Philharmonie erklang das Klavierkonzert des Komponisten Aram Chatschaturjan. Wenige Kilometer entfernt feierten evangelische, katholische und armenisch-orthodoxe Christen einen Bußgottesdienst anlässlich der 100.Jahrestages der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. Die Predigt hielt der Ururenkel des deutschen Kaisers Wilhelm II., der seinen Sultans-Freunden am Bosporus so manches Verbrechen hatte durchgehen lassen, wohl wissend, dass er selbst seine eigenen Soldaten zu ähnlichen Taten angestiftet hatte.
Vom jungtürkischen Furor und Rassenwahn nicht unberührt bleiben sollte die georgische Hauptstadt Tiflis. In ihr lebten allerdings bis zum Ersten Weltkrieg alle kaukasischen Völker halbwegs friedlich miteinander - Georgier, Armenier, Aserbaidschaner und viele andere. Die Musik der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft in diesem Schmelztiegel wurde zur akustischen Umwelt des jungen Aram Chatschaturjan, der 1903 in Tiflis geboren wurde. Für ihn blieb es auch später, als er mit seinen Werken Erfolg hatte, selbstverständlich, die Wurzeln seiner kaukasischen Heimat in einer Weise in seiner Musik hörbar werden zu lassen, die gefallen konnte, ohne künstlerischen Anspruch aufzugeben.
Chatschaturjans Klavierkonzert aus dem Jahr 1937 ist extrem virtuos, sehr originell und auch durchaus komplex - komplexer jedenfalls als die kunstvolle Ballettmusik wie zum Beispiel "Gajaneh" oder "Spartakus", die Chatschaturjan zum wohl weltweit berühmtesten armenischen Komponisten gemacht hat.
Der Sinfoniker Dmitrij Schostakowitsch (der seinen Kollegen Aram Chatschaturjan einmal als den ehrlichsten und anständigsten Komponisten bezeichnet hat, den er kenne) verfasste ebenfalls Ballettmusik. Allerdings gehört sie zu dem weniger bekannten Teil seines Oeuvres. Ein weiterer Armenier sorgte dann in einer für Schostakowitsch schweren Zeit dafür, dass dieser nicht in existentielle Not geriet. Nach der zweiten Verfolgungswelle durch Stalin im Jahr 1948 brachte Lew Atowmjan eine Suite von Ballettstücken unterschiedlichster Herkunft heraus, allein mit dem Zweck, dass Schostakowitschs Musik gespielt wurde trotz aller Anfeindungen. Die erste Ballettsuite ist von dem Willen getragen, die bisweilen spitz-sarkastische Musik aus den früheren Phasen Schostakowitschs leichter, runder, vielleicht sogar niedlicher zu machen. In ihrer Virtuosität passt sie gut zum Klavierkonzert des ehrlichen Freundes und Kollegen Chatschaturjan.
Und Brahms? Liebt Tugan Sokhiev, der immer noch junge russisch-ossetische Dirigent die Werke dieses Nordlichts? Sicherlich, auch wenn der scheidende Chef des DSO Berlin keinen gesteigerten Wert legen dürfte auch die melancholischen Seiten des überaus selbstkritischen Sinfonikers. Schließlich kostet der keines seiner noch so schönen Themen über die Maßen aus, sondern unterwirft all die dem Leben abgerungenen wunderbaren Melodien dem sinfonischen Verarbeitungsprinzip und konterkariert er gerade in der zweiten Sinfonie fast jeden hellen Lichtstrahl mit einem Requiem-artigen Warnruf der tiefen Blechbläser.
Dieses Berliner Konzert stand am Ende einer ausgedehnten Europa-Tournee des DSO Berlin. Die Musikerinnen und Musiker waren also mit den drei Musikstücken aufs Beste vertraut.
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 28. März 2015
Dmitrij Schostakowitsch
Ballettsuite Nr. 1 für Orchester
Aram Chatschaturjan
Konzert für Klavier und Orchester Des-Dur op. 38
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Jean-Yves Thibaudet, Klavier
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Tugan Sokhiev