"Chávez hat bewusst polarisiert"
14 Jahre lang hat der Sozialist Hugo Chávez Venezuela regiert. Nun ist er einem Krebsleiden erlegen. Sein Erfolg bestand darin, die Welt in Freunde und Feinde zu unterteilen - und sich auf die Seite der Ärmsten zu stellen, sagt der Politologe Nikolaus Werz. "Er hat so gesprochen wie sie; er hat ihre Lieder gesungen."
Britta Bürger: Wird der Mythos Chávez kommen? Die Überschriften der ersten Artikel zum Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez deuten darauf hin. Erinnert wird darin an die Galionsfigur des Sozialismus, den Narziss von Caracas, den Comandante Presidente, der sich in seiner sonntäglichen Fernsehshow stundenlang als Entertainer und Einpeitscher im ihm eigenen Charisma sonnte. Zu uns ins Studio gekommen ist der Rostocker Lateinamerika-Experte Nikolaus Werz. Ich grüße Sie, Herr Werz.
Nikolaus Werz: Ja, guten Tag!
Bürger: Hugo Chávez ist nur 58 Jahre alt geworden. Dabei haben er und seine Unterstützer bis zuletzt versucht, das wahre Ausmaß seiner Krebserkrankung herunterzuspielen. Gestern ist er nun – noch vor seiner erneuten Vereidigung – gestorben. Sollte und wollte Hugo Chávez eigentlich das Erbe seines greisen Freundes Fidel Castro antreten?
Werz: Doch, man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man das sagt. Er hat ja sein Verhältnis zu Fidel Castro immer als das eines Schülers zum Lehrer verstanden. Er ist sehr weit gegangen, indem er sagte, Venezuela gehört praktisch jetzt schon zu Kuba, was umgekehrt die Kubaner niemals machen würden. Chávez hat Castro in jeder Hinsicht nachgeeifert und er war vor allen Dingen nach dem gescheiterten Staatsstreich gegen Chávez 2002 ein wichtiger Berater von Hugo Chávez.
Bürger: Kann man eigentlich so sagen, Kuba war nicht seine Heimat, aber seine ideologische Heimat?
Werz: Ja, wobei man Ideologie da ganz breit auffassen muss, auch kulturell, auch vom Menschenschlag, wenn ich das so sagen darf, von der Kultur, von der Musik gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen Kubanern und Venezolanern, hat es immer schon gegeben. Und nun ist noch diese politische Nähe dazugekommen. Was vorher nicht so war, denn die traditionellen, auch demokratisch gewählten Regierungen in Venezuela nach 1958 waren anticastristisch, um es so zu sagen. Ein Gegenmodell zu Kuba war das repräsentativ verfasste, demokratische Venezuela. Und deshalb ist die große Neuigkeit und auch Beunruhigung für die US-Regierung diese plötzliche Nähe von Hugo Chávez zu Fidel Castro oder den Castros überhaupt.
Bürger: Gewesen!
Werz: Gewesen, aber die Transition, die ja Chávez noch einleitet ab Dezember, die läuft ja darauf hinaus, dass der Kronprinz, der amtierende, ja ernannte, von Chávez ernannte Vizepräsident Nicolás Maduro … Das ist ja ein Mann, mit dem sich die Kubaner oder die Castros sehr stark anfreunden können.
Bürger: Hugo Chávez war ein Volksheld der lateinamerikanischen Linken. Wird er jetzt als so eine Art mythische Gestalt in die Geschichte eingehen?
Werz: Das hat er selber angestrebt. Er hat ja versucht, den Mythos von Simón Bolívar aufzugreifen. Es gibt diese Anekdoten, dass man sagt, bei der ersten Kabinettssitzung habe er den Platz neben sich immer freigehalten, damit der Befreier – wie Simón Bolívar genannt wird – dort Platz nimmt, auch als spirituelle Eingabe. Und ein wenig war die Nachricht und Botschaft von Chávez immer, die Befreiung, die Simón Bolívar begonnen hat, die setze ich jetzt fort, und weil ich das tue, bin ich eigentlich so wie er! Das war sicherlich sein Ziel. Es wird nicht so weit reichen, aber er hat sich zumindest in diese Ahnengalerie postiert.
Bürger: Das ist ja jetzt erst mal nur eine Behauptung. Wie hat er das gemacht?
Werz: Er hat das gemacht, indem er seine Bewegung, die ja durch einen gescheiterten Staatsstreich 1992 erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickt, als bolívarianische Bewegung bezeichnet. Gegen Bolívar kann man in Venezuela gar nicht sein, auch wenn man möglicherweise Chávez nicht mag. Also, Bolívar ist die große Einheitsfigur. Also, Chávez hat da sehr geschickt … andere haben das auch schon gemacht, aber ihm gelingt das geschickter, diese Ahnengalerie aufzumachen. Und dort sieht er sich und er hat sie eben mit dem Sozialismus verbunden. Eine aus unserer Sicht natürlich völlig überraschende Konstellation, eine Figur vom Beginn des 19. Jahrhunderts, Bolívar, dann mit dem Sozialismus, mit den Castros zu verbinden!
Bürger: Eine Ahnengalerie, sagen Sie, in die er eben jetzt auch selbst eintreten wollte und wahrscheinlich wird. Worin bestand sein Charisma?
Werz: Sein Charisma bestand in seiner genauen Kenntnis Venezuelas. Er wird also bekannt durch den gescheiterten Staatsstreich, er wird nach relativ komfortabler Festungshaft entlassen, und dann bereist er zunächst mal das ganze Land. Er kennt die Volksmusik, er hat ja auch bei seinen langen Auftritten im Fernsehen – angeblich soll er mit zehn Minuten, zehn Stunden, Entschuldigung, sogar Fidel Castro übertroffen haben –, da hat er ja manchmal gesungen, Gedichte aufgesagt. Das mag uns eigenartig erscheinen, wir würden das bei unseren Politikern wohl kaum akzeptieren, aber in Venezuela ist so was sehr gut angekommen.
Also, er kannte die Erzählungen und er kannte die Geschichte. Und seine Geschichte setzt nicht bei der Demokratiegeschichte des Landes an, sondern bei den heroischen Figuren, im 19. Jahrhundert, bei Bolívar, auch bei anderen. Er hat einen dieser Befreiungshelden in der eigenen Familie entdeckt. Und wenn die Politik in Venezuela kritisiert wurde, dann war Chávez' Antwort auch im Wahlkampf 1989, als er erstmals gewählt wird: Wir sind, oder ihr seid ein Volk von Helden, ihr habt Bolívar hervorgebracht und möglicherweise jetzt auch mich!
Bürger: "Aló, Presidente" hieß diese Sendung, auf die Sie gerade angespielt haben. "Spiegel Online" schreibt heute, dass Chávez darin parlierte, predigte, plauderte und eben auch polarisierte. Er muss ja wirklich sehr schrill und sehr schillernd aufgetreten sein. War das also weniger eine Rolle, die er da gespielt hat, war er tatsächlich identisch damit?
Werz: Chávez hat bewusst polarisiert. Denn in der Politik funktioniert das Denken in Gegensätzen ja erstaunlich gut. In Deutschland nach 1945 aus der Mode gekommen, zum Glück! Bei uns gibt es nach wie vor ein antipopulistisches Tabu. Aber Chávez hat dieses Mittel von Freund-Feind zum Bestandteil seines Diskurses gemacht. Er hat gesagt, hier steht das Volk, das personifiziere ich und das steht gegen die Oligarchie. Nun ist Venezuela mittlerweile ein ziemlich modernes Land, da gibt es eigentlich keine traditionelle Oligarchie mehr, aber er meint natürlich die Besitzenden und die reiche Mittel- und Oberschicht. Also, er hat diese Polarisierung als Mittel des Regierungserwerbs und dann des Machterhaltes sehr geschickt eingesetzt.
Bürger: Was bleibt von Hugo Chávez? Darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Lateinamerika-Experten Nikolaus Werz von der Uni Rostock. Lateinamerika scheint ja immer wieder besonders empfänglich zu sein für solche Führergestalten, die ihre Volksnähe zelebrieren, aber, auch wenn sie gewählt wurden, mit wirklicher Demokratie nicht viel am Hut haben. Unter Chávez Regierung wurden zum Beispiel über 30 Radio- und Fernsehsender geschlossen, Venezuela ist eines der gefährlichsten Länder der Welt, Polizei und Militär sind in den Drogenhandel verstrickt, Korruption gehört zum Alltagsgeschäft. Warum kommt diese Art von Staatsführung, für die auch Chávez stand, in Lateinamerika immer wieder zum Zuge?
Werz: Chávez hat für die Ärmeren oder diejenigen, die unter der bisherigen repräsentativen Demokratie sich benachteiligt fühlten oder auch benachteiligt waren, die hat er direkt angesprochen. Er hat so gesprochen wie sie; er hat ihre Lieder gesungen, er hat ihre möglicherweise sehr direkte Form des Umganges personifiziert. Das kam gut an und er hat auch was für sie getan. Das ist zwar keine nachhaltige Entwicklung, die Chávez einleitet, aber er hat zunächst mal die Ölrente breiter verteilt.
Bürger: Aber es heißt auch, habe ich heute gelesen, er habe die Armen mit Brot beworfen, anstatt ihnen beizubringen, wie man es backt!
Werz: Ja. Aber die vorherigen präsidentiellen Regierungen mit einem recht gut funktionierenden Zwei-Parteien-System, die haben eben eine Reihe von Problemen in Venezuela nicht gelöst. Und Chávez hat zunächst mal ein paar Schuldige benannt – die Oligarchie, dann die USA –, hat viele Feinde im In- und Ausland gesehen und er hat die Leute dann über Misiones – das waren Missionen, auch da ein gewisses religiöses Moment –, hat er sie eingebunden und ihnen … Zumindest in jeder Familie hatten am Ende doch erhebliche Teile der Bevölkerung ein Einkommen von etwa 100 Euro. Das ist natürlich schon ein wichtiger Faktor, um diese Sympathie für Chávez zu erklären.
Bürger: 14 Jahre lang stand er an der Spitze Venezuelas. Wie hat er die Region verändert?
Werz: Er hat sehr starke Anhängerschaft gefunden, wobei vieles von dieser Anhängerschaft auf dem Papier stand. Und es spielte natürlich auch eine Rolle, dass Präsident Chávez ein gern gesehener Gast war, weil er häufig was dagelassen hat. Also, die Kubaner haben verbilligtes Öl bekommen, in Nicaragua sagt man, dass etwa sieben Prozent des Nationaleinkommens über Venezuela ins Land kanalisiert wird, das gilt auch für Bolivien. Also, er hat zum einen dieses auch etwas freche Auftreten gegenüber den USA – das war natürlich mit Obama dann etwas schwieriger, Bush war ein angenehmerer Gegner –, das hat er gehabt, und er hat eben auch Geldgeschenke an die anderen Mitte-Links- oder linkspopulistischen Regierungen in Lateinamerika mitgebracht.
Bürger: Ich weiß nicht, ob Sie sich auf die Antwort so einer Frage herablassen: Was, meinen Sie, hätte Hugo Chávez gerne auf seinem Grabstein stehen gehabt?
Werz: Wahrscheinlich einen Satz von Bolívar oder von Che Guevara oder eine Verbindung von beiden. Denn das hat er ja angestrebt, er hat versucht, diesen Gedanken der Befreiung Lateinamerikas, die also im 19. Jahrhundert beginnt, auf das 21. Jahrhundert überzuleiten. Also, man müsste irgendwie eine Verbindung von Nationalismus und Sozialismus herstellen. Für uns sehr verwirrend in Deutschland, aber in Lateinamerika sieht das ein bisschen anders aus.
Bürger: Der Lateinamerika-Experte Nikolaus Werz, Professor an der Universität Rostock, zum Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Nikolaus Werz: Ja, guten Tag!
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Werz: Doch, man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man das sagt. Er hat ja sein Verhältnis zu Fidel Castro immer als das eines Schülers zum Lehrer verstanden. Er ist sehr weit gegangen, indem er sagte, Venezuela gehört praktisch jetzt schon zu Kuba, was umgekehrt die Kubaner niemals machen würden. Chávez hat Castro in jeder Hinsicht nachgeeifert und er war vor allen Dingen nach dem gescheiterten Staatsstreich gegen Chávez 2002 ein wichtiger Berater von Hugo Chávez.
Bürger: Kann man eigentlich so sagen, Kuba war nicht seine Heimat, aber seine ideologische Heimat?
Werz: Ja, wobei man Ideologie da ganz breit auffassen muss, auch kulturell, auch vom Menschenschlag, wenn ich das so sagen darf, von der Kultur, von der Musik gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen Kubanern und Venezolanern, hat es immer schon gegeben. Und nun ist noch diese politische Nähe dazugekommen. Was vorher nicht so war, denn die traditionellen, auch demokratisch gewählten Regierungen in Venezuela nach 1958 waren anticastristisch, um es so zu sagen. Ein Gegenmodell zu Kuba war das repräsentativ verfasste, demokratische Venezuela. Und deshalb ist die große Neuigkeit und auch Beunruhigung für die US-Regierung diese plötzliche Nähe von Hugo Chávez zu Fidel Castro oder den Castros überhaupt.
Bürger: Gewesen!
Werz: Gewesen, aber die Transition, die ja Chávez noch einleitet ab Dezember, die läuft ja darauf hinaus, dass der Kronprinz, der amtierende, ja ernannte, von Chávez ernannte Vizepräsident Nicolás Maduro … Das ist ja ein Mann, mit dem sich die Kubaner oder die Castros sehr stark anfreunden können.
Bürger: Hugo Chávez war ein Volksheld der lateinamerikanischen Linken. Wird er jetzt als so eine Art mythische Gestalt in die Geschichte eingehen?
Werz: Das hat er selber angestrebt. Er hat ja versucht, den Mythos von Simón Bolívar aufzugreifen. Es gibt diese Anekdoten, dass man sagt, bei der ersten Kabinettssitzung habe er den Platz neben sich immer freigehalten, damit der Befreier – wie Simón Bolívar genannt wird – dort Platz nimmt, auch als spirituelle Eingabe. Und ein wenig war die Nachricht und Botschaft von Chávez immer, die Befreiung, die Simón Bolívar begonnen hat, die setze ich jetzt fort, und weil ich das tue, bin ich eigentlich so wie er! Das war sicherlich sein Ziel. Es wird nicht so weit reichen, aber er hat sich zumindest in diese Ahnengalerie postiert.
Bürger: Das ist ja jetzt erst mal nur eine Behauptung. Wie hat er das gemacht?
Werz: Er hat das gemacht, indem er seine Bewegung, die ja durch einen gescheiterten Staatsstreich 1992 erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickt, als bolívarianische Bewegung bezeichnet. Gegen Bolívar kann man in Venezuela gar nicht sein, auch wenn man möglicherweise Chávez nicht mag. Also, Bolívar ist die große Einheitsfigur. Also, Chávez hat da sehr geschickt … andere haben das auch schon gemacht, aber ihm gelingt das geschickter, diese Ahnengalerie aufzumachen. Und dort sieht er sich und er hat sie eben mit dem Sozialismus verbunden. Eine aus unserer Sicht natürlich völlig überraschende Konstellation, eine Figur vom Beginn des 19. Jahrhunderts, Bolívar, dann mit dem Sozialismus, mit den Castros zu verbinden!
Bürger: Eine Ahnengalerie, sagen Sie, in die er eben jetzt auch selbst eintreten wollte und wahrscheinlich wird. Worin bestand sein Charisma?
Werz: Sein Charisma bestand in seiner genauen Kenntnis Venezuelas. Er wird also bekannt durch den gescheiterten Staatsstreich, er wird nach relativ komfortabler Festungshaft entlassen, und dann bereist er zunächst mal das ganze Land. Er kennt die Volksmusik, er hat ja auch bei seinen langen Auftritten im Fernsehen – angeblich soll er mit zehn Minuten, zehn Stunden, Entschuldigung, sogar Fidel Castro übertroffen haben –, da hat er ja manchmal gesungen, Gedichte aufgesagt. Das mag uns eigenartig erscheinen, wir würden das bei unseren Politikern wohl kaum akzeptieren, aber in Venezuela ist so was sehr gut angekommen.
Also, er kannte die Erzählungen und er kannte die Geschichte. Und seine Geschichte setzt nicht bei der Demokratiegeschichte des Landes an, sondern bei den heroischen Figuren, im 19. Jahrhundert, bei Bolívar, auch bei anderen. Er hat einen dieser Befreiungshelden in der eigenen Familie entdeckt. Und wenn die Politik in Venezuela kritisiert wurde, dann war Chávez' Antwort auch im Wahlkampf 1989, als er erstmals gewählt wird: Wir sind, oder ihr seid ein Volk von Helden, ihr habt Bolívar hervorgebracht und möglicherweise jetzt auch mich!
Bürger: "Aló, Presidente" hieß diese Sendung, auf die Sie gerade angespielt haben. "Spiegel Online" schreibt heute, dass Chávez darin parlierte, predigte, plauderte und eben auch polarisierte. Er muss ja wirklich sehr schrill und sehr schillernd aufgetreten sein. War das also weniger eine Rolle, die er da gespielt hat, war er tatsächlich identisch damit?
Werz: Chávez hat bewusst polarisiert. Denn in der Politik funktioniert das Denken in Gegensätzen ja erstaunlich gut. In Deutschland nach 1945 aus der Mode gekommen, zum Glück! Bei uns gibt es nach wie vor ein antipopulistisches Tabu. Aber Chávez hat dieses Mittel von Freund-Feind zum Bestandteil seines Diskurses gemacht. Er hat gesagt, hier steht das Volk, das personifiziere ich und das steht gegen die Oligarchie. Nun ist Venezuela mittlerweile ein ziemlich modernes Land, da gibt es eigentlich keine traditionelle Oligarchie mehr, aber er meint natürlich die Besitzenden und die reiche Mittel- und Oberschicht. Also, er hat diese Polarisierung als Mittel des Regierungserwerbs und dann des Machterhaltes sehr geschickt eingesetzt.
Bürger: Was bleibt von Hugo Chávez? Darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Lateinamerika-Experten Nikolaus Werz von der Uni Rostock. Lateinamerika scheint ja immer wieder besonders empfänglich zu sein für solche Führergestalten, die ihre Volksnähe zelebrieren, aber, auch wenn sie gewählt wurden, mit wirklicher Demokratie nicht viel am Hut haben. Unter Chávez Regierung wurden zum Beispiel über 30 Radio- und Fernsehsender geschlossen, Venezuela ist eines der gefährlichsten Länder der Welt, Polizei und Militär sind in den Drogenhandel verstrickt, Korruption gehört zum Alltagsgeschäft. Warum kommt diese Art von Staatsführung, für die auch Chávez stand, in Lateinamerika immer wieder zum Zuge?
Werz: Chávez hat für die Ärmeren oder diejenigen, die unter der bisherigen repräsentativen Demokratie sich benachteiligt fühlten oder auch benachteiligt waren, die hat er direkt angesprochen. Er hat so gesprochen wie sie; er hat ihre Lieder gesungen, er hat ihre möglicherweise sehr direkte Form des Umganges personifiziert. Das kam gut an und er hat auch was für sie getan. Das ist zwar keine nachhaltige Entwicklung, die Chávez einleitet, aber er hat zunächst mal die Ölrente breiter verteilt.
Bürger: Aber es heißt auch, habe ich heute gelesen, er habe die Armen mit Brot beworfen, anstatt ihnen beizubringen, wie man es backt!
Werz: Ja. Aber die vorherigen präsidentiellen Regierungen mit einem recht gut funktionierenden Zwei-Parteien-System, die haben eben eine Reihe von Problemen in Venezuela nicht gelöst. Und Chávez hat zunächst mal ein paar Schuldige benannt – die Oligarchie, dann die USA –, hat viele Feinde im In- und Ausland gesehen und er hat die Leute dann über Misiones – das waren Missionen, auch da ein gewisses religiöses Moment –, hat er sie eingebunden und ihnen … Zumindest in jeder Familie hatten am Ende doch erhebliche Teile der Bevölkerung ein Einkommen von etwa 100 Euro. Das ist natürlich schon ein wichtiger Faktor, um diese Sympathie für Chávez zu erklären.
Bürger: 14 Jahre lang stand er an der Spitze Venezuelas. Wie hat er die Region verändert?
Werz: Er hat sehr starke Anhängerschaft gefunden, wobei vieles von dieser Anhängerschaft auf dem Papier stand. Und es spielte natürlich auch eine Rolle, dass Präsident Chávez ein gern gesehener Gast war, weil er häufig was dagelassen hat. Also, die Kubaner haben verbilligtes Öl bekommen, in Nicaragua sagt man, dass etwa sieben Prozent des Nationaleinkommens über Venezuela ins Land kanalisiert wird, das gilt auch für Bolivien. Also, er hat zum einen dieses auch etwas freche Auftreten gegenüber den USA – das war natürlich mit Obama dann etwas schwieriger, Bush war ein angenehmerer Gegner –, das hat er gehabt, und er hat eben auch Geldgeschenke an die anderen Mitte-Links- oder linkspopulistischen Regierungen in Lateinamerika mitgebracht.
Bürger: Ich weiß nicht, ob Sie sich auf die Antwort so einer Frage herablassen: Was, meinen Sie, hätte Hugo Chávez gerne auf seinem Grabstein stehen gehabt?
Werz: Wahrscheinlich einen Satz von Bolívar oder von Che Guevara oder eine Verbindung von beiden. Denn das hat er ja angestrebt, er hat versucht, diesen Gedanken der Befreiung Lateinamerikas, die also im 19. Jahrhundert beginnt, auf das 21. Jahrhundert überzuleiten. Also, man müsste irgendwie eine Verbindung von Nationalismus und Sozialismus herstellen. Für uns sehr verwirrend in Deutschland, aber in Lateinamerika sieht das ein bisschen anders aus.
Bürger: Der Lateinamerika-Experte Nikolaus Werz, Professor an der Universität Rostock, zum Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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"Er war ein Humanist"
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