Ein Denkmal der Musikgeschichte verrottet
08:23 Minuten
Leonard Cohen, Dylan Thomas oder Janis Joplin: Das Chelsea Hotel in New York war Zufluchtsort für kreative Gäste. Inzwischen ist es eine heruntergekommene Bauruine. Es soll ein Luxushotel entstehen - doch langjährige Bewohner wehren sich.
Es gibt nicht viele Hotels, über die Lieder gemacht wurden. Ein Hotel in Manhattan in New York aber hat ein Lied, sogar ein sehr berühmtes: "I remember you well in the Chelsea Hotel", hat Leonard Cohen geschrieben und gesungen. Neben Cohen sind dort Künstler untergekommen wie der Schriftsteller Dylan Thomas, der Musiker Bob Dylan, die Musikerinnen Janis Joplin und Madonna - und noch viele mehr.
Refugium für Künstler und Exoten
Cohen hat sich oft an dieses Hotel erinnert - das mehr war als eine Unterkunft. Er hat sich erinnert an den klapprigen Fahrstuhl, in dem er mit Janis Joplin angebändelt hat.
Bob Dylan schrieb Songs im Zimmer 211. Im Raum 205 trank sich der Schriftsteller Dylan Thomas zu Tode. In Nummer 100 erstach Sex-Pistols-Frontman Sid Vicious angeblich seine Freundin Nancy. Der düstere, rote Backsteinbau im Stadtteil Chelsea war seit Mark Twains Besuch ein Refugium für klamme Künstler und Exoten. Die dicken Mauern umhüllen ihre Geschichten.
Gerald DeCock ist seit 26 Jahren Dauermieter im Chelsea Hotel. Er sagt: "Ich begriff die Magie dieses Ortes. Er weckt die Kreativität in den Menschen." Aber das könne in beide Richtungen gehen: "Du kannst aufblühen und sehr kreativ werden. Oder Du kannst in deinem Leben stecken bleiben." Er fügt hinzu: "Hier leben einige Leute, die sind verloren."
Vielleicht ist das Hotel Chelsea das auch. Der Fahrstuhl der Romanze von Leonard und Janis - er stehe seit neun Jahren still, sagt DeCock.
"Es war enttäuschend, da wieder reinzugehen"
An den kanadischen Sänger erinnert eine Plakette an der Außenwand, verdeckt von einem Baugerüst. Der Eingang zur Lobby: verrammelt. Wer hier noch wohnt, muss durch den ehemaligen Dienstboteneingang gehen. Kabel hängen von der nackten Decke, Rohre und Leitungen liegen frei, es gibt Baulärm und Staub. Und abweisende Blicke von der provisorischen Rezeption.
Fotograf Collin Miller sagt: "Es war enttäuschend, da wieder reinzugehen." Er kannte das Hotel von früher. "Ich kam auf eine Baustelle. Es sah aus, als sei nichts mehr übrig geblieben."
Seit neun Jahren ist die Künstlerabsteige verkauft. Mehrere Bauherrn bissen sich daran die Zähne aus. Kunst, Kaminsimse, Mahagonitüren landeten auf dem Müll. Die Investoren rissen dem Haus förmlich die Seele aus dem Leib, sagt Fotograf Miller: "Zwei Sachen zeigten mir, dass doch noch etwas übrig ist: das ikonische schmiedeeiserne Treppengeländer dnd der Blick in ein Zimmer."
Miller steht auf dem Dach und blickt in das Apartment von DeCock. Der Film- und Modefriseur ist einer von 35 Übriggebliebenen. Dauermieter, die den neuen Besitzern des Chelsea Hotels seit Jahren erfolgreich die Stirn bieten. In seinem Penthouse thront er über der Baustelle.
Wer aus dem grauen, folienverhangenen Gang über DeCocks Treppe hochgeht, bekommt einen Farbflash: Lila, pink, gelb und rot leuchtet es von Wänden, Decke, Fenstern. Gold und Perlen und ein Kerzenmeer. Die Wände sind tapeziert mit Fotos von Models und Schauspielerinnen, die DeCock frisiert hat. "Die Penthouse Apartments sind früher für Künstler gemacht worden. Damals haben sie hier drin gearbeitet."
"Kein Bad, wanziger Teppichboden, kein freies Fenster"
Als DeCock vor einem Vierteljahrhundert den Mietvertrag unterschrieb, wurde das Chelsea noch von Stanley Bard gemanagt - dem exzentrischen Sohn der Hotelfamilie. Sie hatten das Haus zu dem gemacht, was es mal war. "Einen Tag konnte er gut gelaunt sein, am nächsten hat er Dich angeschrien. Du wusstest nie, woran Du warst."
Doch mit Bard lebte das Chelsea Hotel und seine Freiheit, sagt Autor Ray Mock, der gerade zusammen mit Miller ein Buch über das Hotel herausgegeben hat. "Bei ihm brauchten sich die Mieter nicht um pünktliche Zahlungen sorgen", sagt Mock. "Sie durften in den Räumen so kreativ sein, wie sie wollten. Sogar wenn sie die Fenster anstrichen."
DeCock liebte es, wenn er durch die Lobby nach Hause kam. "Es war wundervoll. Ich habe dauernd neue Leute getroffen."
Die Bilder und Skulpturen, mit der Künstler ihr Zimmer bezahlt hatten, wirkten düster. Die Sofas so, als müssten sie dringend in die Reinigung. "Einige Zimmer wirklich furchtbar. Einige hatten kein Bad, wanzigen Teppichboden, kein freies Fenster." Aber sie hatten ihre Geschichten.
In Zimmer 211 zog Dylan 1965 ein. Er wollte nah bei seiner Freundin Sara sein, schrieb dort "Visions of Johanna" und ließ sich zu anderen Songs inspirieren. In einem Penthouse schrieb Arthur C. Clarke das Buch "2001: Odyssee im Weltall", das später von Stanley Kubrick verfilmt wurde.
Andy Warhol drehte Szenen aus "Chelsea Girls". Sein Star Edie Sedgwick soll mit ihrer Kippe ein Feuer ausgelöst haben. Es hat häufiger gebrannt im Hotel Chelsea, weiß DeCock. Oft waren es Raucher, die eingeschlafen sind.
Als DeCock einzog, wohnte auch ein Raucher unter ihm: Stefan Brecht, der Sohn von Bertold Brecht und Helene Weigel. Ein Kauz. "Er rauchte dauernd Zigarre. Ich konnte sie in meinem Appartement riechen. Eines Tages hatte er den Nerv, an meine Tür zu kommen, in der Hand eine brennende Zigarre – und mir zu sagen: Ich solle meine Musik leiser machen."
Das war die Zeit, in der es noch Partys gab auf dem Dach. Dinners. Gemeinsame Kreativevents. Als die Menschen im Chelsea noch eine Gemeinde waren. Bevor die Bautrupps kamen.
"Du kannst auschecken – aber niemals gehen"
"Sie haben keinen von uns rausbekommen", sagt Gerald DeCock. "Also bauen sie ein Hotel um uns herum. Gegen viel Widerstand."
Immer wieder erreichte die störrische Mietergemeinde Baustopps - in diesem Geisterhaus, das einmal voller Leben war. Fotograf Gerald. Cabaretstar Suzanne, Fernsehproduzent Steve. Die Malerin. Die Antiquitätenhändlerin. Einige sollen auch ganz gewöhnlich sein, sagen sie von sich selbst. Doch eins haben sie alle gemeinsam: Sie sind, was noch übrig geblieben ist vom Chelsea Hotel.
"Es hat dieses parasitäre Ding", sagt Gerald de Cock, "wenn Du einmal einziehst, willst du nicht mehr raus. Du kannst auschecken – aber niemals gehen."
(abr)