Uns ist es schon wichtig als Verein, auch als Fanszene, dass es ein diskriminierungsfreier Raum ist. Das heißt jetzt nicht, dass immer alles politisch korrekt sein muss. Uns ist schon wichtig, dass sich hier alle auch wohlfühlen.
Herzblut im maroden Stadion
06:33 Minuten
Marode Anlagen, löchriges Dach - der Alfred-Kunze-Sportpark in Leipzig hat eine lange Geschichte. Die ist ähnlich bewegend wie die seines Vereins, der BSG Chemie Leipzig. Ein neues Buch zeichnet die Geschichte von Verein und Stadion.
Der Alfred-Kunze-Sportpark in Leipzig-Leutzsch ist eine marode Anlage, in die Jahre gekommen.
Es ist die Heimat der BSG Chemie Leipzig, wobei BSG für Betriebssportgemeinschaft steht – oder auch für Ballsportgemeinschaft, aber dazu später mehr.
Es ist die Heimat der BSG Chemie Leipzig, wobei BSG für Betriebssportgemeinschaft steht – oder auch für Ballsportgemeinschaft, aber dazu später mehr.
Vereinsgründung im Jahr 1950
Der Traditionsverein wurde 1950 gegründet und zweimal DDR-Meister. Und er hat sein Gesicht mehrfach verändert.
Alexander Mennicke war 1994 zum ersten Mal bei einem Heimspiel, mit acht Jahren. Seit 2001 hat er kaum ein Spiel verpasst. Nicht zuletzt wegen der Atmosphäre.
Weiß-grün sind die Vereinsfarben
Nun hat er einen zweiteiligen Band herausgegeben, zwei dicke Wälzer. Der erste, in weiß, heißt Sportpark, der zweite, in grün, Leutzsch. Weiß-grün, das sind die Farben von Chemie, und schon das zeigt: Der Sportpark, Leutzsch und die BSG Chemie, das gehört zusammen.
Die Ultra-Kultur im Verein
Und Ultras wie Alexander Mennicke haben die Geschicke der letzten Jahre geprägt: "Als ich ins Stadion gekommen bin, da war es normal, dass gegen Berliner Vereine 'Juden Berlin' gerufen wurde. Und auch das sogenannte U-Bahn-Lied war Normalität. Mit der Entwicklung der Ultras-Kultur hat sich das dann gewendet, indem dann einfach Leute aufgestanden sind und gesagt haben: Wir haben da keinen Bock drauf."
2006, Pokalspiel gegen den Chemnitzer FC. Auf rechte Parolen der Gästefans folgen "Nazis Raus"-Rufe der Leipziger Fans.
Namensänderung nach der Wende
Hier sind übrigens bei Heimspielen mehr Frauen im Stadion als anderswo. Auch das gehört zur neuen Kultur, dass diskriminierungsfreie Räume erkämpft werden.
"Da gibt es auch gar keine Diskussion mehr. Also da gibt es einmal ein böses Wort – und wenn das noch mal passiert, dann kann man eben einfach da dann nicht mehr stehen, wo man steht. Dann muss man sich entweder einen anderen Platz suchen oder gar nicht mehr kommen", sagt Alexander Mennicke.
Nach der Wende ging die BSG Chemie im neugegründeten FC Sachsen Leipzig auf. Und spielte ab 2004 im Zentralstadion vor fast 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauern.
Unruhe bei den Fans nach der Umbenennung
Doch der harte Kern der Fans konnte weder damit noch mit dem neuen Namen etwas anfangen - und so klangen die alten "Chemie"-Gesänge etwas metallisch und kalt.
Der Umzug 2004 ins Zentralstadion war für viele so ein notwendiges Übel – und tatsächlich auch verbunden, gerade bei den älteren Fans, doch der große Verein der Stadt zu werden, auch mal höherklassig zu spielen. Das ist auch spannend, in der ersten Liga zu spielen – oder zumindest zu denken, man kann das. Aber für die meisten war es natürlich trotzdem ein Kulturschock, dahinzuziehen. Und Leutzsch war und ist immer die Heimat der BSG Chemie Leipzig.
1997 hatten Fans bereits die „Ballsportfördergemeinschaft Leipzig“ gegründet – um sich schon mal die „Marke“ BSG zu sichern. Der umbenannte Klub und das moderne Stadion sorgte für Unruhe bei den Fans.
Alexander Mennicke erklärt: "Tatsächlich war es so, dass Chemie keine Rolle mehr spielen sollte, sondern nur noch der FC Sachsen. Es wurde alles für den Erfolg gemacht. Es gab viele Querelen, auch gerade in der Verbindung mit dem Zentralstadion."
Neuanfang in der zwölften Liga
Jetzt spielt RB Leipzig dort. Zwar waren Zentralstadion und der Neuanfang gerade für ältere Fans mit Hoffnungen auf sportlichen Erfolg verbunden. Der blieb weitgehend aus, zum Schluss dümpelte Sachsen Leipzig in der Oberliga. Aber die Ultras hatten ja den Förderverein gegründet - mit dem alten Namen „BSG Chemie Leipzig“.
Mennicke denkt zurück: "Dann war 2008 die Situation so eingetreten, dass es eben beim FC Sachsen nicht mehr ging – und dann hat man sich eben getrennt. Und wir fangen jetzt von ganz unten an, in der zwölften Liga. Und machen dort unser Ding und versuchen die Werte, die wir mit dem Verein verbinden, auch am Leben zu halten."
Die Fans kamen mit – zurück zur BSG, zurück nach Leutzsch. Der FC Sachsen Leipzig ging wenige Jahre später in die Insolvenz. Im neuen, alten Verein übernahmen die Fans das Kommando, sagt Mennicke.
"Die Fans haben tatsächlich auch die ersten Jahre die Mannschaft gestellt. Das ging ja in der 12. Liga. Und dann hat man eben auch die Leute gefunden, die bei anderen Vereinen vorher gespielt haben und auch in der Fanszene aktiv waren. Aber es war schon so, dass man dann eben ein großes Probetraining hatte und dann hat man eben die behalten, die einigermaßen Fußball spielen konnten."
Anekdoten, Erinnerung, Zeitzeugengespräche
Mennicke promoviert übrigens gerade über Ostfußball und ostdeutsche Identitäten. Er und seine Mitautoren haben sie aufgeschrieben, die ganze Geschichte – aus ihrer Sicht.
Die vielen Geschichten, von Verein, Sportpark und dem Stadtteil Leutzsch. Vom Alfred Kunze, dem Meistertrainer des Jahres 1964, das wichtigste Jahr der BSG. Die Anekdoten, Erinnerungen, Zeitzeugengespräche – es hat Jahre gedauert, das alles aufzuschreiben.
Die BSG hat sich hochgearbeitet. Von der 12. Liga in die Regionalliga. Höher muss nicht sein, sagen viele Fans. Dazu müssten sie zu viel aufgeben.