Systematisch vernichten
Etwa ein Drittel der syrischen Chemiewaffen sind bisher zerstört oder außer Landes gebracht worden. Ein Teil davon wird auch in Munster bei der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (GEKA) landen, um endgültig unschädlich gemacht zu werden.
Dirk Klostermeier sitzt im Leitstand für die Verbrennungsöfen. Mit Argusaugen und Feingefühl bewacht er das Höllenfeuer. Der Anlagenfahrer ist Jahrgang 1966. Er trägt einen blauen Arbeitskittel. Sein Blick schweift über eine Galerie von Bildschirmen mit Videobildern und Kontroll-Anzeigen.
"Ich kann hier an der Temperaturskala die Temperatur des Ofens sehen. Direkt unter dem Plasmabrenner, da habe ich 22.000 Grad. Ich muss darauf achten, dass es natürlich nicht zu heiß wird. Ob die Elektrode in Ordnung ist, ob die Nase in Ordnung ist. Auf Monitor vier zum Beispiel kann ich jetzt sehen, wie tief mein Brenner über dem Material ist. Der darf also nicht ins Material kommen, sonst hätte ich eine Havarie!"
Havarien vermeiden sie tunlichst bei der GEKA, der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH. Jährlich fließen rund 17 Millionen Euro aus Steuermitteln in diese Bundesgesellschaft mit ihren rund 140 Mitarbeitern. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium. In Deutschland dürfen sich nur die speziell geschulten Chemie-Feuerwerker der GEKA an chemische Munition und Kampfstoffe heranwagen. Die Chemikalien aus Syrien? Gefährliche Flüssigkeiten, aber eben keine Kampfmittel mehr, sagt Klostermeier wie beiläufig. Der erfahrene Operator ist auf wenig mehr als Routine eingestellt.
"Das macht einen im Grunde nicht nervöser als wenn einer sagt: Gib mir zwei Bier aus anstatt eines!"
Altlasten aus dem Ersten Weltkrieg
Klostermeier und seine Kollegen entsorgen Altlasten aus den Weltkriegen: Immer wieder werden in Munster Granaten abgeliefert, gefunden zumeist bei Erdarbeiten. Die Spezialisten haben es mit Teufelswerk wie dem Nervenkampfstoff Sarin zu tun, aber auch mit dem Hautkampfstoff S-Lost. Im Fachjargon des Schreckens wird der Kampfstoff auch Gelbkreuz oder Senfgas genannt. Andreas Krüger, Geschäftsführer der GEKA, hebt schon zu einem Vortrag an:
"Der erste Einsatz erfolgte 1917 an der Westfront. Und S-Lost ist dadurch gekennzeichnet, dass er die Haut und Schleimhäute angreift, zu Blasenbildung und schlecht heilenden Wunden führt und leider auch sehr stark krebserregend ist."
Syrische Streitkräfte sollen in ihrem Arsenal über 850 Tonnen der Substanz verfügt haben. Doch Syrien hat sich verpflichtet, sämtliche Chemikalien außer Landes zu bringen. Unter Aufsicht der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) sollen sie vernichtet werden. Das Programm ist bereits angelaufen. An Bord eines Spezialschiffs der Vereinigten Staaten im Mittelmeer wird der Kampfstoff S-Lost durch eine chemische Behandlung in weniger gefährliche Substanzen aufgespalten.
Andreas Krüger: "Was die Amerikaner in relativ kurzer Zeit geleistet haben, ist schon beeindruckend. Denn sie haben die ganzen Voraussetzungen geschaffen, dass man auf dem Schiff diese Anlagen betreiben kann. Man macht sich schon seine Gedanken darüber, dass nach 100 Jahren seit Beginn des Ersten Weltkrieges dieses immer noch ein Problem darstellt. Und immer auch noch Geld verschlingt. Auf der anderen Seite muss man auch daran denken, dass die OPCW und damit diese ganze Arbeit ja im Herbst den Friedensnobelpreis bekommen hat. Und auch das ist natürlich ein gewisser Ansporn und auch ein gewisser Stolz, dass man wenn auch nur vielleicht einen ganz kleinen Teil da beteiligt ist."
Briten und Finnen leisten ihren Beitrag zur Beseitigung. Und auch Deutschland ist dieser Koalition der Willigen beigetreten. Voraussichtlich im Frühsommer sollen insgesamt 370 Tonnen flüssiger Reststoffe syrischer Chemiewaffen in Munster eintreffen. Das geballte Medieninteresse wirkt bereits jetzt auf Krüger und seine Mannen ein.
"Wie lange können Sie es aushalten in diesem Kostüm?
"Wir dürfen 30 Minuten in diesem Anzug arbeiten - und müssen dann wechseln."
Leben mit der Bombe
Bringt Uwe Seelenbinder unter seiner Gasmaske hervor. Von Kopf bis Fuß eingehüllt in seinen gasdichten Schutzanzug öffnet der Munitionsfacharbeiter immer wieder den Transportbehälter mit der Fundmunition - so lange bis alle Einstellungen der von weit angereisten Fernsehkollegen im Kasten sind. Schwer schnaufend erzählt er vom Leben mit der Bombe. Seelenbinder ist stolzer Sohn eines Feuerwerkers und gebürtiger Munsteraner. In beiden Weltkriegen wurde hier am Ort Giftgas produziert. Die GEKA hat sich angesiedelt, weil das Gelände einst bei Waffentests und Explosionen weiträumig kontaminiert worden ist.
Uwe Seelenbinder: "Wir haben als Kind schon im Wald gespielt. Und auch Löcher gebuddelt. Und auch viel Glück gehabt dabei. Und was wir da als Kinder mitgebracht hätten, will ich gar nicht vermuten!"
Das betonen die GEKA-Spezialisten beim Rundgang über das weitläufige Betriebsgelände. Und sie versichern: Transparenz sei ihr oberstes Gebot. So geht es vorbei am Sprengofen, in dem allerhand Explosivstoffe bei einer Temperatur von 180 Grad lautstark "umsetzen". Ausgeglühter Schrott lagert neben erdbedeckten Bunkern. Verrostete Granathülsen, zersägte Fliegerbomben.
In einer unscheinbaren Werkshalle läuft Verbrennungsofen 1 auf Hochtouren. Ulrich Stiene führt den Besucher vor den Zylinder aus Edelstahl. Der GEKA-Mitarbeiter beschreibt die geplante Prozedur. Voraussichtlich im Frühsommer sollen die chemischen Reststoffe aus Syrien per LKW in Munster eintreffen. Das sogenannte Hydrolysat, will man dann aus den Tank-Containern, in denen es angeliefert wird, heraus und in die Anlage pumpen.
Ulrich Stiene: "Wo wir mit Druckluft und dem Hydrolysat einen feinen Sprühstahl erzeugen. Und diesen neben den Ölbrenner in die Ausbrennkammer eindüsen. Die Ausbrennkammer hat ca. 1000 Grad. Und das Hydrolysat verdampft sofort."
Läuft alles nach Plan, könnte die Vernichtung noch in diesem Jahr abgeschlossen sein. Am Ende wird nur Salz bleiben. Es soll untertage gelagert werden, in einem Bergwerk in Thüringen.