Holm Gero Hümmler: "Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden"
Verlag S. Hirzel 2019
223 Seiten, 19,80 Euro
Wie man Verschwörungstheorien widerlegt
08:34 Minuten
Verschwörungstheorien sind stark verbreitet. Auch wenn es schwer sei, ihre Anhänger von Fakten zu überzeugen, sei die Auseinandersetzung notwendig, sagt der Physiker Holm Hümler. Das bedeute auch: "Dazu muss man die Leute tatsächlich mal ernst nehmen."
Shanli Anwar: Die erste Mondlandung wurde im Studio inszeniert, wir werden von Chemtrails vergiftet und Angela Merkel ist eigentlich eine Echse in Menschengestalt. Solche Verschwörungstheorien schwirren umher, gefühlt gibt es dank Internet eine Hochkonjunktur. Wie können wir denn solche Verschwörungstheorien widerlegen, fragen wir uns und sprechen mit Physiker Holm Hümmler, der heute in Augsburg im Rahmen der SkepKon-Konferenz für Wissenschaft und kritisches Denken einen Vortrag hält mit dem Titel: "Verschwörungstheorien selbst testen" Guten Morgen, Herr Hümmler!
Holm Hümmler: Guten Morgen!
Anwar: Sie haben ja auch ein gerade erschienenes Buch über Verschwörungsmythen geschrieben. Definieren wir doch erst mal: Was sind Verschwörungstheorien überhaupt? Wie kann man sie erkennen, fragt man sich, wenn man in Ihrem Buch dann sieht, dass es ja auch reale politische Verschwörungen gibt, darauf gehen Sie ja auch ein.
Hümmler: Ja, also Verschwörungstheorien, was man landläufig sagt, ich spreche persönlich lieber von Verschwörungsmythen, weil eine Theorie wissenschaftlich eine ganze bestimmte Bedeutung hat. Und das ist bei dem, was man als Verschwörungsbehauptung bezeichnet, eigentlich eher nicht der Fall. Das ist der Glaube an eine große Verschwörung, die irgendwie das Weltgeschehen steuert, der bei Menschen eben so einen religionsähnlichen Charakter annimmt, worauf die dann eben auch nicht mehr bereit sind, das zu hinterfragen.
Gefangen in einem Glaubenssystem
Anwar: Jetzt ist es ja so, dass viele politische oder wirtschaftliche Akteure – oder auch Wissenschaftler – sich mit Verschwörungsmythen auseinandergesetzt haben und sagen, man kann die so gar nicht so richtig widerlegen, das ist auch völlig sinnlos, weil Menschen, die daran glauben, sich sowieso in so einer Art Wahn befänden. Was entgegnen Sie dem?
Hümmler: Punkt eins, wenn man mit solchen Leuten diskutiert, man diskutiert nicht unbedingt für die, mit denen man diskutiert. Leute, die in so einem Glaubenssystem gefangen sind, kommen da echt sehr schwer wieder raus. Aber man hat in vielen Fällen eben unbeteiligte Zuhörer, Leute, die von diesen Personen beeinflusst werden und die eben auch verunsichert sind, wenn die hören, na ja, daran und daran kann man erkennen, dass die Mondlandung beispielsweise gefälscht war, dann ist das sehr hilfreich für diese Unbeteiligten, die möglicherweise den Hintergrund auch gar nicht haben, wenn man ihnen sagt, woran man erkennen kann, dass sie eben nicht gefälscht war.
Anwar: Welche Behauptungen lassen sich denn überhaupt überprüfen und widerlegen und welche nicht? Kann man da so unterscheiden?
Hümmler: Ja. Mein Thema – naheliegenderweise als Naturwissenschaftler – sind natürlich Sachen, die einen naturwissenschaftlich-technischen Bezug haben. Und da ist tatsächlich… ein ganz großer Teil von diesem modernen Verschwörungsglauben ist eben naturwissenschaftlich-technischer Natur. Wenn es um die Mondlandung geht, argumentieren diese Leute ganz überwiegend eben mit technischen Dingen hinsichtlich Fotografie, hinsichtlich Raumfahrt und so weiter. Oder wenn es um Chemtrails geht oder auch beim 11. September, da gibt es natürlich die politischen Geschichten so nach dem Motto, dem Bush habe ich noch nie getraut, aber das kann man halt eh nicht hinterfragen, man kann ja niemandem in den Kopf gucken.
Chemtrails - eine Frage der Wetterlage
Anwar: Jetzt sind Sie Physiker, dann nutzen wir das doch mal eben. Das Stichwort Chemtrails fiel gerade, die Kondensstreifen, die Flugzeuge teilweise hinter sich lassen. Die seien vergiftet, heißt es dann bei einem Verschwörungsmythos. Das klingt ein bisschen absurd, aber wie lässt sich das eindeutig widerlegen?
Hümmler: Na ja, zunächst einmal geht es gar nicht so sehr darum, diese Geschichten eindeutig zu widerlegen. Es geht ja darum, wer eine außergewöhnliche Behauptung vorbringt, muss ja auch außergewöhnliche Beweise dafür vorbringen. Und das häufigste Argument, was diese Leute eben dafür haben, dass es diese Chemtrails gäbe, sind eben Kondensstreifen, die sich einfach nur sehr, sehr langsam auflösen.
Und dann gibt es die einfache Möglichkeit, sich einfach mal anzuschauen, an welchen Tagen passiert denn das, dass solche Kondensstreifen sich nur sehr, sehr langsam auflösen, und sich mal die Wetterlage anzusehen. Und dann sieht man, dass das eben genau die Wetterlagen sind, bei denen wir so einen leichten Wolkenschleier in der Höhe haben, den man häufig auch gar nicht sieht, der auch durch das normale Wettergeschehen dann im Laufe des Tages etwas dicker wird, dass der Himmel dann ein bisschen grau wird. Und dann sagen die, ja, das liegt an den Chemtrails, dass jetzt der Himmel grau wird. Aber man hätte einfach mal in den Wetterbericht gucken können, dann hätte man das auch vorher gewusst. Das haben wir also ganz typisch bei Südströmungen, Südwestströmungen, relativ ruhigen, vor einer Warmfront zum Beispiel. Also, das ist typisch aus dem Wettergeschehen einfach zu erklären.
Anwar: Jetzt sind Chemtrails das eine, noch so ein Klassiker, wenn es um die Terroranschläge vom 11. September 2001 geht, heißt es ja ganz oft, das sei inszeniert gewesen, die Türme seien gar nicht durch Flugzeuge zusammengestürzt, sondern gesprengt worden. Und das haben in den USA auch kritische Statiker und Physiker behauptet. Was kann man dem entgegensetzen?
Hümmler: Gut, es gibt natürlich diesen Verein Architects and Engineers for 09/11 Truth, der sich da gebildet hat, der spannenderweise zum allergrößten Teil eben nicht aus Architekten und Ingenieuren besteht.
Anwar: Sondern sich nur den Titel gibt? Okay...
Hümmler: Natürlich gibt es da ein paar Architekten und Ingenieure drin, aber auch wenn man sich die Ingenieure anguckt, aus welcher Fachrichtung die kommen, sind das nicht notwendigerweise Bauingenieure. Und auch ein Architekt, der irgendwo in den USA auf dem Land Farmhäuser baut, hat nicht unbedingt notwendigerweise sonderlich viel Hintergrund, was Hochhäuser angeht.
Anwar: Herr Hümmler, lerne ich gerade, ich sollte auch immer gucken, woher kommt so ein Verschwörungsmythos, wer bringt den in die Welt, und das kritisch hinterfragen?
Hümmler: Das lohnt sich eigentlich immer, das sind relativ häufig, sagen wir mal, schon so ein bisschen so Figuren, die sonst im Leben nicht sonderlich viel Erfolg haben und sich darüber definieren.
Als erstes Emotionales von Sachaussagen trennen
Anwar: Weil das ist ja die Frage, wie kann ich Verschwörungstheorien selbst überprüfen. Sie sind jetzt Physiker, haben vielleicht, was Naturwissenschaften angeht, einen Vorteil. Was haben Sie für Tipps für Otto Normalverbraucher?
Hümmler: Also zunächst mal muss man das, was diese Leute einem präsentieren, einfach mal auseinandernehmen, weil ein ganz großer Teil von dem, womit man da zugetextet wird, ist Emotionalisierung, sind Angriffe auf die Gegner oder Angriffe auf die Politik, sind Aufrufe, irgendwelche Dinge zu tun, sich Essigschüsseln gegen Chemtrails aufs Fenster zu stellen oder so ähnliches Zeug. Das hat ja alles nichts mit Sachaussagen zu tun. Insofern muss man erst mal rausarbeiten: Wo behaupten die eigentlich, dass uns was vorgemacht wird? Welche Argumente haben sie dafür und was präsentieren sie uns als alternative Erklärung?
Und dann kann man vorgehen und sagen, okay, wie gut sind eigentlich die Argumente, und dazu muss man die Leute tatsächlich mal ernst nehmen. Ich finde es nicht falsch, über solche Sachen auch mal zu lachen, aber wenn man sich wirklich kritisch damit auseinandersetzen will und wenn man jemanden vor sich hat, der vielleicht selber verunsichert ist, dann muss man das Argument erst mal ernst nehmen und auseinandernehmen und wirklich mal genauer hinschauen.
Anwar: Jetzt haben Sie selber gesagt, manchmal muss man vielleicht lachen. Es sind nämlich oft auch so Spinnereien, wo man denkt, das kann ich doch jetzt auch mal ignorieren. Was würden Sie sagen, warum lohnt sich die Auseinandersetzung? Was macht Verschwörungsmythen politisch brisant und gefährlich?
Hümmler: Politisch brisant wird es einfach dadurch, dass diese Verschwörungsmythen ganz massiv dafür genutzt werden, Demokratie zu destabilisieren, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und letztlich, das sehen wir in den letzten Jahren immer mehr, darüber eben vor allem rechtsextreme Inhalte zu transportieren.
Immer fragen: Wie qualifiziert sind die Urheber?
Anwar: Da bekommt man aber auch schnell den Eindruck, dass jeder sich da zum eigenen Fact-Checker ausbilden muss. Wie kann ich denn Expertenaussagen oder Aussagen, die es so gibt, unterscheiden – was ist plausibel, was nicht?
Hümmler: Man muss erst mal bei den Experten hinschauen, was ist das eigentlich für ein Experte? Ist das jemand, der sich innerhalb seines Faches äußert oder ist das jemand, der sich völlig fachfremd da äußert? Auch Titel sind mitunter… Man sollte nicht jeden Titel glauben, aber ich sage mal, wenn jemand Professor ist, dann hat er ja wissenschaftlich in aller Regel in irgendeiner Form schon mal was geleistet, vor allen Dingen, wenn er Professor an einer Universität ist. Insofern, man sollte da schon ein bisschen kritisch hinschauen, viele dieser Experten, die da auftauchen, sind einfach selbsternannt und haben häufig auch ganz wenig Sachkompetenz.
Anwar: Also immer schön kritisch bleiben. Holm Hümmlers Buch "Verschwörungsmythen – Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden" gibt es für knapp 20 Euro zu erwerben. Danke für das Gespräch!
Hümmler: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.