Chigozie Obioma: "Das Weinen der Vögel"
Übersetzt von N. von Schweder-Schreiner
Piper-Verlag, München 2019
510 Seiten, 24 Euro
Liebe, die unter die Haut geht
05:25 Minuten
Der Autor Chigozie Obioma erzählt die tragische Liebesgeschichte eines Bauernsohns und einer höheren Tochter in Nigeria. Dabei verbindet er eine hochaktuelle Dimension mit einer mythologischen und bleibt sprachlich und dramaturgisch höchst souverän.
Literatur aus Nigeria erlebt im Moment eine Blüte, auch auf dem deutschen Buchmarkt, eine Vielzahl an spannenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern ist ist da zu entdecken. Einer der der interessantesten ist Chigozie Obioma, geboren 1986, der mittlerweile in den USA lebt, dort kreatives Schreiben unterrichtet: Nach seinem Debütroman "Der dunkle Fluss", auf Deutsch erschienen 2015, stand Obiomas jetzt übersetzter zweiter Roman "Das Weinen der Vögel" auf der Shortlist des Booker Prize. Es handelt sich dabei um den bedeutendsten britischen Literaturpreis – eine erstaunliche Auszeichnung also, auch wenn Chigozie Obioma ihn letztlich nicht "gewonnen" hat.
Rettung vor dem Suizid
"Das Weinen der Vögel" ist vor allem anderen eine Geschichte der Liebe, die unter die Haut geht: Chinonso, Geflügelbauer, ein Typ von vielleicht Anfang 20, rettet Ndali, einer jungen Frau, die sich von einer Brücke stürzen möchte, das Leben, indem er zwei der Tiere, die er gerade erst auf dem Markt gekauft hat, ins Wasser wirft, um ihr zu demonstrieren, was ihr im Fluss bevorstünde.
Zunächst geschieht zwar weiter nichts zwischen den beiden, Chinsonso fährt einfach weiter. Nach einem Zufallstreffen etwas später und diversen Irrungen werden die beiden dann zum Paar - zu einem ungleichen Paar: Ndali hat studiert, sogar im Ausland, Pharmazie, sie stammt aus einer angesehenen Familie. Deren Mitglieder tun alles dagegen, einen ungebildeten Bauernjungen als Familienmitglied begrüßen zu müssen. Ein Spießrutenlauf für Chinonso, eine fundamentale Erniedrigung – wegen seiner Herkunft, letztlich.
Wie die Liebe scheitert, ist kaum zu ertragen
Was tun? Chinonso ist so verknallt, dass er alles in die Waagschale wirft für seine Liebe; er verkauft sein Hab und Gut, um auf Zypern zu studieren. Was, wie sich bald zeigt, eine fatale Entscheidung war. Denn mit Chinonsos Entwurzelung wird eine Kette an Ereignissen in Gang gesetzt, an deren Ende ein großes, bitteres, tragisches Scheitern steht. Und wie Chinsonso an der Liebe, an der Gesellschaft, an den Umständen scheitert, das ist kaum zu ertragen für geneigte LeserInnen – es kostet ihn und Ndali auf unterschiedlich dramatische Weise das Leben.
Damit ist nicht zu viel verraten, keine Sorge, denn Chigozie Obioma spielt von Beginn an mit offenen Karten: Sein engagierter, gewissermaßen mit den Mitteln der Sprache um Alles oder Nichts kämpfender Erzähler ist sein Chi, sein Schutzgeist, der die zuständigen Götter, die über Chinonso zu Gericht sitzen, um Gnade für seinen Schützling bittet – er führt mildernde Umstände an, um diese zu begründen, erzählt er die ganze (Liebes-)Geschichte, also den Roman.
Historisch-mythologische und hochaktuelle Dimension
Beeindruckend, wie hier die Kosmologie des Volks der Igbu – dem auch Chigozie Obiama entstammt – strukturell in das Narrativ eingewirkt wird, so dass der Roman eine historisch-mythologische und eine hochaktuelle Dimension zugleich besitzt. Denn auf der Handlungsebene der erzählten Geschichte finden sich sehr viele pointiert gesetzte gesellschaftliche Reminiszenzen – das reicht vom Umgang mit Minderheiten in Nigeria bis hin zu Erfahrungen von MigrantInnen auf ihrem Weg ins vermeintliche Paradies Europa. Wie Chigozie Obiama all dies sprachlich und dramaturgisch höchst souverän mit einer Liebesgeschichte verbindet, die zugleich auch die Frage des Liebens gründlich reflektiert, das ist nicht weniger als – herausragend.