Chilenische Familiensaga
Ein reich ausgeschmücktes Universum voll verbotener Liebe, unehelicher Kinder, Folter und Mord, Liebe und Hass: Für "Das Geisterhaus" hat Regisseur Walter Adler 500 Buchseiten und fast 70 Jahre chilenischer Geschichte zu neun Stunden Hörspiel verdichtet.
"Barrabas kam auf dem Seeweg in die Familie"
"…trug die kleine Clara in ihrer zarten Schönschrift ein. Sie hatte schon damals die Gewohnheit, alles Wichtige aufzuschreiben. Und später, als sie stumm wurde, notierte sie auch die Belanglosigkeiten. Nicht ahnend, dass 50 Jahre später diese Hefte mir, ihrer Enkelin Alba, dazu dienen würden, das Gedächtnis der Vergangenheit wieder zu finden und mein eigenes Entsetzen zu überleben."
So beginnt Isabel Allendes Welterfolg, der in den 80er-Jahren Millionen Leser süchtig machte und die Nichte von Salvador Allende zur bekanntesten Erzählerin des magischen Realismus. Und so – wortwörtlich - beginnt auch das Hörspiel.
"Er kam in einem Hand geflochtenen Käfig, besudelt mit seinem Kot und Urin und hatte den verstörten Blick eines jämmerlichen, wehrlosen Gefangenen."
Die Regie hat gekürzt, natürlich, doch anders als im Fall der Verfilmung so behutsam, dass selbst Kenner des Buches nicht unter schmerzhaften Lücken leiden müssen. An Stimmen wurde engagiert, was gut und teuer ist: Angela Winkler, Susanne Lothar, Manfred Zapatka, Hans-Michael Rehberg, Sylvester Groth und und und - mehr als 70 Rollen waren zu besetzen.
"Als er gebadet wurde, stellte sich heraus, dass er schwarz war, (..) sehr lange Beine und kurzes Haar hatte."
"Vielleicht ist es in Wahrheit ein exotisches, wildes Tier?"
"Wenn ich seine Krokodilsklauen und scharfen Zähne sehe, zittert mein Herz bei dem Gedanken, dass die Bestie nur einmal zuzuschnappen braucht, um einem erwachsenen Menschen den Kopf abzureißen. Umso mehr jedem meiner Kinder."
"Aber Barrabas gab keinerlei Anzeichen von Wildheit zu erkennen, im Gegenteil."
Ulrich Matthes ist als Erzähler tief in den epischen Stoff eingestiegen und in Allendes blumenreiche Sprache voll Witz und kurioser Übertreibungen. Mit seiner warmen, tiefen Stimme spinnt er die Geschichte des großen Eckhauses in Santiago de Chile, Heim von vier Generationen der Truebas um den cholerischen Patriarchen Esteban. Seine somnambule Frau Clara ist von Kindheit an mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet und in der Welt der Geister zu Hause:
"Claras Geschick, Gegenstände in Bewegung zu versetzen, ohne sie zu berühren, verstärkte sich noch. Sie bekam eine solche Übung darin, dass sie die Klaviertasten bei geschlossenem Deckel anschlagen konnte."
Die Familiensaga ist verwoben mit dem wechselvollen Schicksal Chiles, von den 20er-Jahren bis zum blutigen Militärputsch unter Pinochet 1973. Isabel Allende hat ihre in vielen Schleifen mäandernde Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt, ein Stilmittel, das der Regisseur des Hörspiels übernahm.
"Lieber Bruder, das Schicksal hat es gewollt, dass ich Dich von einem großen Unglück unterrichten muss."
Walter Adler ist einer der renommiertesten deutschen Hörspielregisseure. Er blickt auf mehr als 200 Inszenierungen zurück. Für "Das Geisterhaus" hat Adler 500 Buchseiten und fast 70 Jahre chilenischer Geschichte zu neun Stunden Hörspiel verdichtet. Schilderungen ergänzte er mit Spielszenen. Die Geräuschkulisse im Hintergrund lässt Schlüsselszenen, die die Familie Trueba Zeit ihres Lebens verfolgen, als Bilder im Kopf des Zuhörers lebendig werden:
"Esteban bückte sich, packte das Mädchen mit einem Arm um die Taille, hob sie unter bestialischem Schnauben hoch, setze sie vor sich aufs Pferd, ohne dass sie den geringsten Widerstand leistete. Er gab dem Pferd die Sporen und galoppierte mit ihr zum Fluss. Esteban zog sich nicht aus. Roh viel er über sie her, ohne Vorbreitung, mit unnötiger Brutalität, drang er in sie ein."
"Das Geisterhaus" ist wie die meisten Romane Allendes die Geschichte vieler Frauen, aber die markanteste Figur ist Esteban Trueba, ein Großgrundbesitzer, der seine Landarbeiter wie Leibeigene behandelt, gewalttätig, aufbrausend und herrschsüchtig. Manfred Zapatka verleiht dem Wüterich seine Stimme – und hat sich nicht geschont.
"Schuld an allem sind die vermaledeiten Politiker, wie dieser Hampelmann, dieser neue Kandidat der Sozialisten! Der die Frechheit besitzt, in seinem klapprigen Wahlzug von Norden nach Süden durchs Land zu fahren und mit seinem bolschewistischen Gewäsch friedliche Leute aufzuwiegeln! Aber er soll sich hüten! Er soll sich hüten, hier her zu kommen! Wenn er aus seinem Zug aussteigt, machen wir Musbrei aus ihm!"
Die kunstvolle Balance zwischen "Funkerzählung" und "Hörspiel" trägt durch ein reich ausgeschmücktes Universum voll verbotener Liebe, unehelicher Kinder, Folter und Mord, Liebe und Hass. Am Ende hält Isabel Allende der Junta, der ihr Onkel, der sozialistische Präsident Salvador Allende, zum Opfer fiel, den Spiegel vor. Ulrich Matthes Stimme hilft, das Kino im Kopf zu ertragen:
"Zwei Hände hoben sie auf, vier legten sie auf eine eisige, harte Metallpritsche und banden ihr die Fußgelenke und Handgelenke mit Lederriemen fest."
"Zum letzen Mal Alba, wo ist Miguel?"
"Sie verneinte durch Schweigen. Sie hatten ihr mit einem weiteren Riemen den Kopf fest gebunden."
"Wenn du bereit bis zu sprechen, dann heb einen Finger."
"Und dann fühlte sie eine fürchterlichen Schmerz, der ihren ganzen Körper durchlief und sie vollständig ausfüllte. Und den sie in allen Tagen ihres Lebens nie mehr würde vergessen können. Sie versank in Dunkelheit."
Besprochen von Vanja Budde
Isabel Allende: Das Geisterhaus
Der Hörverlag
8 CDs, 560 Minuten
"…trug die kleine Clara in ihrer zarten Schönschrift ein. Sie hatte schon damals die Gewohnheit, alles Wichtige aufzuschreiben. Und später, als sie stumm wurde, notierte sie auch die Belanglosigkeiten. Nicht ahnend, dass 50 Jahre später diese Hefte mir, ihrer Enkelin Alba, dazu dienen würden, das Gedächtnis der Vergangenheit wieder zu finden und mein eigenes Entsetzen zu überleben."
So beginnt Isabel Allendes Welterfolg, der in den 80er-Jahren Millionen Leser süchtig machte und die Nichte von Salvador Allende zur bekanntesten Erzählerin des magischen Realismus. Und so – wortwörtlich - beginnt auch das Hörspiel.
"Er kam in einem Hand geflochtenen Käfig, besudelt mit seinem Kot und Urin und hatte den verstörten Blick eines jämmerlichen, wehrlosen Gefangenen."
Die Regie hat gekürzt, natürlich, doch anders als im Fall der Verfilmung so behutsam, dass selbst Kenner des Buches nicht unter schmerzhaften Lücken leiden müssen. An Stimmen wurde engagiert, was gut und teuer ist: Angela Winkler, Susanne Lothar, Manfred Zapatka, Hans-Michael Rehberg, Sylvester Groth und und und - mehr als 70 Rollen waren zu besetzen.
"Als er gebadet wurde, stellte sich heraus, dass er schwarz war, (..) sehr lange Beine und kurzes Haar hatte."
"Vielleicht ist es in Wahrheit ein exotisches, wildes Tier?"
"Wenn ich seine Krokodilsklauen und scharfen Zähne sehe, zittert mein Herz bei dem Gedanken, dass die Bestie nur einmal zuzuschnappen braucht, um einem erwachsenen Menschen den Kopf abzureißen. Umso mehr jedem meiner Kinder."
"Aber Barrabas gab keinerlei Anzeichen von Wildheit zu erkennen, im Gegenteil."
Ulrich Matthes ist als Erzähler tief in den epischen Stoff eingestiegen und in Allendes blumenreiche Sprache voll Witz und kurioser Übertreibungen. Mit seiner warmen, tiefen Stimme spinnt er die Geschichte des großen Eckhauses in Santiago de Chile, Heim von vier Generationen der Truebas um den cholerischen Patriarchen Esteban. Seine somnambule Frau Clara ist von Kindheit an mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet und in der Welt der Geister zu Hause:
"Claras Geschick, Gegenstände in Bewegung zu versetzen, ohne sie zu berühren, verstärkte sich noch. Sie bekam eine solche Übung darin, dass sie die Klaviertasten bei geschlossenem Deckel anschlagen konnte."
Die Familiensaga ist verwoben mit dem wechselvollen Schicksal Chiles, von den 20er-Jahren bis zum blutigen Militärputsch unter Pinochet 1973. Isabel Allende hat ihre in vielen Schleifen mäandernde Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt, ein Stilmittel, das der Regisseur des Hörspiels übernahm.
"Lieber Bruder, das Schicksal hat es gewollt, dass ich Dich von einem großen Unglück unterrichten muss."
Walter Adler ist einer der renommiertesten deutschen Hörspielregisseure. Er blickt auf mehr als 200 Inszenierungen zurück. Für "Das Geisterhaus" hat Adler 500 Buchseiten und fast 70 Jahre chilenischer Geschichte zu neun Stunden Hörspiel verdichtet. Schilderungen ergänzte er mit Spielszenen. Die Geräuschkulisse im Hintergrund lässt Schlüsselszenen, die die Familie Trueba Zeit ihres Lebens verfolgen, als Bilder im Kopf des Zuhörers lebendig werden:
"Esteban bückte sich, packte das Mädchen mit einem Arm um die Taille, hob sie unter bestialischem Schnauben hoch, setze sie vor sich aufs Pferd, ohne dass sie den geringsten Widerstand leistete. Er gab dem Pferd die Sporen und galoppierte mit ihr zum Fluss. Esteban zog sich nicht aus. Roh viel er über sie her, ohne Vorbreitung, mit unnötiger Brutalität, drang er in sie ein."
"Das Geisterhaus" ist wie die meisten Romane Allendes die Geschichte vieler Frauen, aber die markanteste Figur ist Esteban Trueba, ein Großgrundbesitzer, der seine Landarbeiter wie Leibeigene behandelt, gewalttätig, aufbrausend und herrschsüchtig. Manfred Zapatka verleiht dem Wüterich seine Stimme – und hat sich nicht geschont.
"Schuld an allem sind die vermaledeiten Politiker, wie dieser Hampelmann, dieser neue Kandidat der Sozialisten! Der die Frechheit besitzt, in seinem klapprigen Wahlzug von Norden nach Süden durchs Land zu fahren und mit seinem bolschewistischen Gewäsch friedliche Leute aufzuwiegeln! Aber er soll sich hüten! Er soll sich hüten, hier her zu kommen! Wenn er aus seinem Zug aussteigt, machen wir Musbrei aus ihm!"
Die kunstvolle Balance zwischen "Funkerzählung" und "Hörspiel" trägt durch ein reich ausgeschmücktes Universum voll verbotener Liebe, unehelicher Kinder, Folter und Mord, Liebe und Hass. Am Ende hält Isabel Allende der Junta, der ihr Onkel, der sozialistische Präsident Salvador Allende, zum Opfer fiel, den Spiegel vor. Ulrich Matthes Stimme hilft, das Kino im Kopf zu ertragen:
"Zwei Hände hoben sie auf, vier legten sie auf eine eisige, harte Metallpritsche und banden ihr die Fußgelenke und Handgelenke mit Lederriemen fest."
"Zum letzen Mal Alba, wo ist Miguel?"
"Sie verneinte durch Schweigen. Sie hatten ihr mit einem weiteren Riemen den Kopf fest gebunden."
"Wenn du bereit bis zu sprechen, dann heb einen Finger."
"Und dann fühlte sie eine fürchterlichen Schmerz, der ihren ganzen Körper durchlief und sie vollständig ausfüllte. Und den sie in allen Tagen ihres Lebens nie mehr würde vergessen können. Sie versank in Dunkelheit."
Besprochen von Vanja Budde
Isabel Allende: Das Geisterhaus
Der Hörverlag
8 CDs, 560 Minuten