Chimamanda Ngozi Adichie: "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben"
Aus dem Englischen von Anette Grube
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
80 Seiten, 16 Euro
Aus der Welt gerissen
05:24 Minuten
Nach dem Tod des geliebten Vaters bricht die Autorin zusammen: Sie weiß nicht, wie sie den Verlust ertragen soll. Chimamanda Ngozi Adichie schreibt berührend über Trauer inmitten der Pandemie und gedenkt damit einem ungewöhnlichen Mann.
Der Vater stirbt überraschend. Er stirbt inmitten der Pandemie. Und er stirbt auf einem anderen Kontinent. Die letzten Zeilen dieses eindrucksvollen Bandes verweisen auf seinen Entstehungsgrund und sein Motiv: "Ich schreibe über meinen Vater in der Vergangenheitsform, und ich kann nicht glauben, dass ich über meinen Vater in der Vergangenheitsform schreibe."
Sein Tod kommt ohne Vorwarnung
In Todesanzeigen liest man oft "plötzlich und unerwartet", genauso ist es hier: Der alte Vater der nigerianisch-amerikanischen Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie stirbt ohne Vorankündigung an Nierenversagen, am Tag vorher hatte sie noch mit ihm gescherzt.
Dann erreicht sie die Nachricht "wie eine grausame Entwurzelung. Ich werde aus der Welt gerissen, die ich seit meiner Kindheit gekannt habe." Von dieser Welt erzählt Adichie in diesem Trauerbuch: von dem klugen und integren Vater, einem Mathematiker, dem ersten Professor für Statistik in Nigeria, von der innigen Ehe ihrer Eltern.
Als man Adichies Mutter den Tod ihres Ehemannes mitteilt, sagt sie: "'Es kann nicht sein, das ist unmöglich, das kann nicht sein.' Und dann fügte sie die Worte hinzu, die sich bei jenem Zoom-Meeting in unsere Herzen brannten: 'Aber er hat mir nichts gesagt.'"
In wenigen Worten wird vom unverbrüchlichen elterlichen Bündnis, von ihrem Kennenlernen erzählt, von ihren beiden Karrieren und ihrer Zeit in Amerika, in der die ersten zwei ihrer sechs Kinder geboren wurden. Mit allen hatten sie nur Igbo gesprochen, ihrer Muttersprache, die von mehr als 20 Millionen Menschen gesprochen wird.
Auch die Autorin erzieht in Washington ihre kleine Tochter zweisprachig, eine Tatsache, die ihren Vater gefreut und stolz gemacht hatte.
Pandemie erschwert Trauer
Adichie schreibt über die Bestattungskultur der Igbo, mit der sie nicht zuletzt hadert, weil alles so schnell gehen muss. Aber nichts kann in diesen Coronazeiten schnell gehen. Der nigerianische Flughafen ist geschlossen, es gibt keine sicheren Auskünfte darüber, wann er wieder geöffnet wird und die Kinder, die in der Welt verteilt leben, zur Beerdigung des Vaters anreisen können.
"Nigeria macht wie gewöhnlich alles schwieriger, als es sein sollte. Die Inkompetenz ist schillernd, weit verbreitet, rührend, verdorben in ihrem bösen Glanz. Enttäuschung über mein Geburtsland ist eine Konstante in meinem Leben, doch eine so ätzende Feindseligkeit ist neu."
Gegen das Verschwinden
Chimamanda Ngozi Adichie hat ein berührendes und kluges Buch über den Schmerz und über die Trauer geschrieben. Die Beileidsbekundungen erscheinen ihr banal und furchtbar, manifestieren sie doch die Endgültigkeit des Verlustes. Die Zoom-Treffen der Familie sind geprägt von Unsicherheit, schwanken zwischen gezwungener Fröhlichkeit und passiver Aggressivität.
Weder die Mutter noch die Geschwister verstehen, dass der Vater nicht mehr da ist, nie mehr da sein wird. Gegen die Endgültigkeit des Verschwindens ist dieses Buch geschrieben, das den ungewöhnlichen Mann und geliebten Vater lebendig halten soll und wird.