China als aufstrebende Wirtschaftsnation

Wird uns der chinesische Drache den Rang ablaufen?

Traditioneller chinesischer Löwentanz
China - ein alte Kulturnation, aber auch ein scharfer wirtschaftlicher Konkurrent für den Westen. © picture alliance/dpa/Vcg
Wolfgang Hirn im Gespräch mit Christian Rabhansl |
China arbeitet konstant am Ausbau seiner Wirtschaftsmacht - und kommt damit gut voran. "Ein irres, aber erfolgreiches Wirtschaftssystem", sagt Wolfgang Hirn. In seinem Buch "Chinas Bosse" erklärt er, wieso sich der Westen warm anziehen muss.
Christian Rabhansl: Schweden ist ein Land, in dem eine Handvoll junger Menschen schon ziemlich früh erkannt hat, dass das große Geld mit Musik künftig nicht mehr mit dem Verkauf von Alben zu machen ist, und da haben sie ein kleines Startup gegründet namens Spotify. Und während dir großen, alten Musikkonzerne gar nicht ahnten, wie ihnen geschah, hat Spotify weltweit das Musikbusiness umgekrempelt und dominiert heute den Streaming-Markt. Schell kann es gehen, wenn große, etablierte Unternehmen die scheinbar kleine Konkurrenz nicht ernst nehmen.
Und schnell kann es vielleicht auch gehen, wenn die behäbigen alten Wirtschaftsnationen die Konkurrenz aus Asien nicht ernst genug nehmen, weil China ihnen zum Beispiel als Billigwerkbank ohne eigene Innovationskraft gilt und Chinas Bosse ja sowieso nur als Leute, die erfolgreiche Produkte des Westens abkupfern. Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Hirn hat ein Buch geschrieben über genau diese Leute, über "Chinas Bosse" – so lautet der Titel, und der Untertitel: "Unsere unbekannten Konkurrenten". Guten Tag, Herr Hirn!
Wolfgang Hirn: Guten Tag!

Chinas Internetkonzerne oft besser aufgestellt als in den USA

Rabhansl: Es ist natürlich übertrieben, dass Chinas Bosse nur billig kopieren. Peking ruft ja auch seit Jahren dazu auf, produziert langsamer, aber dafür besser. Diese Kritik lautete ja immer, in China ist zwar alles überall voller Hightech, aber eben nach einem halben Jahr auch gern mal schon kaputt. Jetzt waren Sie für Recherchereisen schon oft in China unterwegs. Was haben Sie da erlebt?
Hirn: Dass diese Vorurteile, über die Sie jetzt ja auch gerade gesprochen haben, existieren schon lange nicht mehr. China produziert zwar nach wie vor billige Waren, aber eben nicht nur billige Waren. Sie produzieren immer mehr Hightech-Produkte und werden dadurch Konkurrenten zu unseren westlichen Unternehmen. In manchen Bereichen, würde ich sagen, sind sie sogar schon führend. Die großen Internetkonzerne Chinas sind zum Teil wesentlich besser aufgestellt als die Amerikaner, die wir hier so kennen, ob Facebook, Google oder Amazon.
Rabhansl: Was auch daran liegt, dass China eben nicht mehr die Werkbank ist, sondern Sie schreiben, das Labor der Welt. Was wird da entwickelt in diesem Labor?
Hirn: Interessant ist, wenn man mal diesen Zukunftsplan – das ist ja nahe Zukunft, 2025 – anschaut, den die chinesische Regierung aufgeschrieben hat und da zehn Industrien definiert hat, in denen sie stark werden wollen und auch stärker als der Westen. Und das sind zum Teil Industrien, wo wir gerade in Deutschland sehr stark sind. Das ist natürlich die Automobil- beziehungsweise dann eben die E-Mobilität. Das sind viele Hightech-Bereiche, und wenn man diese zehn Bereiche mal nimmt, dann wird man sehen, dass die Chinesen uns da zumindest einholen wollen. Und da fließt auch sehr viel Geld von staatlicher Seite aus.
Rabhansl: Und das Geld fließt dann teilweise auch in den Westen, nach Europa. Das wird dann gern hierzulande skeptisch beäugt, wenn dann Zukäufe stattfinden von Schlüsseltechnologien. Sie haben da viele Beispiele in Ihrem Buch mit Automatisierungsfirmen, die aufgekauft werden. Gerade dieser Tage geht es wieder darum, dass auch chinesische Staatsfirmen sich in Europa an kritischer Infrastruktur beteiligen wollen, einkaufen wollen, Energienetze et cetera. Umgekehrt gilt das ja nicht. Europäische Firmen können nicht einfach auf Shoppingtour in China gehen. Ist das so gefährlich, wie es klingt?
Hirn: Grundsätzlich möchte ich sagen, dass natürlich chinesische Unternehmen sich an westlichen Unternehmen beteiligen können oder sie aufkaufen können. Schließlich haben wir damals aus dem Westen China gedrängt, in die Welthandelsorganisation WHO zu gehen damals, 2001, und damit sich an der Globalisierung zu beteiligen. Das tun die Chinesen.
Und zur Globalisierung gehört auch, dass man eben Unternehmen kaufen kann in anderen Ländern. Nur, und das ist das große Problem, sie erlauben umgekehrt nicht, dass sich westliche Unternehmen an chinesischen Unternehmen beteiligen können oder sie aufkaufen können. Also die berühmte Reziprozität ist nicht gegeben. Und solange die nicht gegeben ist, sollten wir auch ein bisschen vorsichtiger sein, was die Übernahmen und Beteiligungen von chinesischen Unternehmen in westlichen anbetrifft. Und da ist die Politik gefordert.
Rabhansl: Und umgekehrt ist es auch so, wenn europäische Konzerne zum Beispiel in China produzieren wollen, dann müssen sie Kooperationen eingehen mit regionalen, mit lokalen Firmen. Und da schwingt ja auch dann die Sorge mit, dass es da eigentlich nur darum geht, an die westlichen Firmeninterna zu kommen. Oder ist das paranoid?
Hirn: Also ich glaube, wenn man so die Besorgnisskala der westlichen Unternehmen in China anschaut, dann steht dieser Klau von Know-how nicht mehr an erster Stelle. Das ist nicht mehr die ganz große Sorge der westlichen Unternehmen. Aber das Problem ist, wenn sie dann hierher kommen und Unternehmen kaufen und dann den Know-how-Transfer praktisch über die Beteiligungen machen, das ist ein Problem.
Rabhansl: China ist ja ein sehr merkwürdiges Wirtschaftssystem. Es ist keine Marktwirtschaft, wie wir sie kennen, es ist kein Kommunismus, natürlich schon lange nicht mehr. Es ist in Teilen Staatswirtschaft, es ist in Teilen Privatwirtschaft, also etwas, was nach Lehrbuch gar nicht funktionieren dürfte. Warum funktioniert das in China?

Ein irres, aber erfolgreiches Wirtschaftssystem

Hirn: Ich habe ja Volkswirtschaft studiert, es ist zwar schon eine Ecke her, aber dieses Modell war in keinen Lehrbüchern, damals nicht und heute auch nicht. Es ist ein hybrides Modell, das Teile einer wirklich freien Marktwirtschaft hat, in manchen Branchen, würde ich sogar sagen, sehr kapitalistisch, fast erzkapitalistisch, Manchester-Kapitalismus kann man schon fast sagen.
Und zum anderen gibt es noch einen relativ starken staatswirtschaftlichen Teil mit den großen Staatsunternehmen, der aber mittlerweile nur noch so 30 Prozent der Wirtschaft ausmacht. Man muss da sehr stark nach Branchen differenzieren. Es gibt Branchen, die total frei sind, wie der Handel. Da kann jeder ein Unternehmen gründen, da sind auch die ausländischen Unternehmen relativ frei. Es ist ein irres, aber auch erfolgreiches System, das muss man leider – was heißt, leider, man muss das akzeptieren. Weil sie, und da komme ich wieder auf einen Punkt zurück, auch eine clevere und erfolgreiche Industrie- beziehungsweise Energiepolitik von staatlicher Seite aus machen.
Rabhansl: Was heißt das? Wie funktioniert die?
Hirn: Indem man einfach schaut, welche Industrien haben Zukunft, oder welche Technologien werden in den nächsten Jahren an die Spitze kommen oder sind zukunftsträchtig. Und das ist ja keine Hexerei, das wissen wir im Westen auch, welche Bereiche das sein werden. Das ist der ganze Bereich E-Mobilität, es ist der Bereich vor allem Künstliche Intelligenz, was man darunter alles fasst, wie Gesichtserkennung oder autonomes Fahren. Und da investieren die Chinesen wahnsinnig viel, sowohl von staatlicher Seite als auch von Privatunternehmen.
Rabhansl: Nun haben Sie ein Buch geschrieben über Chinas Bosse. Sind das dann in diesem System eigentlich wirklich die Firmenchefs, oder sind das die Parteifunktionäre, Chinas Bosse?
Hirn: Also in der Privatwirtschaft, und die überwiegt ja mittlerweile in China, sind es wirklich Privatleute. Nur, man muss eine Einschränkung machen. Privat heißt in China nicht immer privat. Man muss immer mit dem Staat oder mit den Provinzregierungen irgendwelche Deals machen. Man ist nicht völlig frei von staatlichen Entscheidungen, auch als Privatunternehmen, auch wenn man zu hundert Prozent privat ist oder zu hundert Prozent an der Börse ist – man muss immer auch mit dem Staat irgendwelche Dinge handeln.
Rabhansl: Weil es ja im Zweifelsfall auch einfach einen Anruf mit Anweisungen gibt, habe ich bei Ihnen gelesen. Da kommen dann gern solche Ansagen wie, man muss 300.000 Ex-Soldaten einstellen, weil die jetzt gerade nicht mehr gebraucht werden. Oder gilt das nur für die Staatsunternehmen?
Hirn: Dieses Beispiel gilt nur für Staatsunternehmen. Aber nehmen wir zum Beispiel den Fall Ali Baba, was ja eines der wenigen Unternehmen ist, die man hier im Westen eigentlich schon kennt, ein großes E-Commerce-Unternehmen. Ein Privatunternehmen. Sie werden auch vom Staat relativ in Ruhe gelassen, aber dafür müssen sie auch dem Staat was liefern.
Und sie liefern ihm vor allem Daten. Und da wir ja alle wissen, dass der chinesische Staat im Moment ein großes Überwachungs- und Datensystem aufbaut, ein Social-Credit-System, sind sie natürlich sehr interessiert an den Daten, die ihnen die großen Internetkonzerne liefern, und Ali Baba ist einer von diesen Konzernen.

Europa muss mehr Industrie- und Technologiepolitik betreiben

Rabhansl: Wenn Sie das beobachten, also einmal wirtschaftlich sehr erfolgreich, dann solche Überwachungstendenzen und auch keine wirkliche demokratische Freiheit, selbst für die Superreichen nicht, ist dann China eine Bedrohung oder wirtschaftlich trotzdem ein Vorbild? Wie bewerten Sie das abschließend?
Hirn: Vorbild will ich es natürlich aufgrund dieses letzten Aspekts überhaupt nicht nennen. Für mich ist China ein Vorbild in Sachen Technologie- und Industriepolitik. Da habe ich auch ein ganz klares Plädoyer, dass wir in Europa – und ich sage jetzt ganz bewusst Europa, und nicht Deutschland, weil das nur europaweit zu lösen ist –, wir müssten in Europa viel stärker eine Industriepolitik oder Technologiepolitik betreiben, nicht unbedingt jetzt exakt eins zu eins, wie die Chinesen das machen.
Aber wir müssen uns schon stärker für gewisse Industrien stark machen, da auch staatliche Gelder reinpowern. Und da bin ich dann schon mehr bei Macron, der auch ganz klar gesagt hat in seiner berühmten Sorbonne-Rede, dass wir europäische Champions kreieren müssen. Das klingt jetzt nicht unbedingt nach Marktwirtschaft, aber ich glaube, wenn wir gegen ein Land wie China bestehen wollen, die so eine Industriepolitik betreiben, müssen wir zumindest auch partiell eine solche Industriepolitik betreiben.
Rabhansl: Sagt Wolfgang Hirn. Er hat das Buch geschrieben "Chinas Bosse. Unsere unbekannten Konkurrenten". 288 Seiten für 26 Euro, erschienen im Campus-Verlag. Vielen Dank, Herr Hirn!
Hirn: Danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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