China verstehen lernen
Chinas Bedeutung als Wirtschaftspartner wächst und wächst. In Konstanz hat man darauf reagiert: mit einem China-Kompetenzzentrum an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung. Auch schwierige Themen wie die Menschenrechte stehen auf der Agenda.
"Wir reden ganz normal auf Chinesisch? Ist das in Ordnung? Oder besser auf Deutsch?"
Natürlich, sie reden auf Chinesisch, wie jeden Tag in ihrem Seminarraum der "Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung" Konstanz – kurz HTWG genannt. Der Seerhein plätschert nur einen Steinwurf entfernt munter vor sich hin. Doch dafür haben die 15 Studierenden in diesem Moment keinen Blick. Denn:
"Es ist nicht die einfachste Sprache zu lernen. Aber das funktioniert wie jede andere Sprache auch. Und wenn man die Systematik hinter der Sprache verstanden hat, lernt sich das ganz akzeptabel."
"Man muss sich sehr viel dahinter setzen, man muss jeden Tag lernen. Dann funktioniert das auch."
Janina Ritsche und Leonhard Schmidt sitzen konzentriert in dem Seminarraum, scheinen mit ihren Blicken regelrecht an den Lippen der Dozentin zu kleben. Sie studieren beide ein Fach, das es in dieser Form nur an der HTWG Konstanz gibt, nämlich….
Janina Ritsche: "…Wirtschaftssprachen Asien und Management mit dem Schwerpunkt China."
Leonhard Schmidt: "Es fing damit an, dass ich mich 2013 entschieden habe, einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren. Und da war ich für eineinhalb Jahren in Yänan, eine der ärmsten Regionen Chinas. Und diese eineinhalb Jahre haben mich schon dahin geprägt, dass ich die chinesische Kultur, das Leben dort sehr spannend und faszinierend fand. Und als ich 2015 wiedergekommen bin, habe ich mich dazu entschieden, und damals wurde mir dieser Studiengang empfohlen."
Kooperation mit China seit 1980
Ein Studiengang, den es in Konstanz schon seit Jahrzehnten gibt, und der eingebettet ist in das erst kürzlich eröffnete "China-Kompetenzzentrum" an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung, als eine von zehn Einrichtungen dieser Art in ganz Deutschland. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie unterstützt das China-Kompetenzzentrum in Konstanz mit 530.000 Euro über eine Laufzeit von drei Jahren. Dass die Wahl unter anderem auf die eher kleine Hochschule in Konstanz am Bodensee fiel, hat historische Gründe. Denn dort wurden bereits die ersten Kontakte nach Shanghai geknüpft, als China noch als riesiges Entwicklungs- und Agrarland galt.
"Ja, das sind jetzt bald 40 Jahre her. Also gleich nach der Öffnung Chinas, im Jahre 1980, hat die Hochschule Konstanz schon die erste Kooperationsvereinbarung für die chinesischen Hochschule unterschrieben, nämlich mit der Shanghai Jiao Tong Universität, eine der renommiertesten Hochschulen Chinas",
erinnert sich Helena Obendiek, Sinologin und Leiterin des neuen China-Kompetenzzentrums am Bodensee. Persönliche Beziehungen waren seinerzeit für den Brückenschlag zwischen Konstanz und Shanghai ausschlaggebend.
"Es war so, dass ein Professor der Nachrichtentechnik der Hochschule Konstanz, ein Halbchinese, auf der Suche nach seinem Vater in China war und dann, nach dem Ende der Kulturrevolution, seinen Vater gefunden hat. Und er war Dekan einer Fakultät der Shanghai Jiao-Tong-Universität. Und das war sozusagen der erste Kontakt",
… dem in den darauffolgenden Jahren viele weitere folgen sollten. Denn die Hochschulleitung erkannte damals bereits, welch riesiges wirtschaftliches Potential sich in China entfalten wird – und dass es dazu gut ausgebildete Experten braucht.
"Und natürlich war das damals auch Politik des Landes. Also es war der damalige Ministerpräsident Lothar Späth, der auch viele China-Kooperationen mit verschiedenen Programmen gefördert hat. Und so war die Hochschule Konstanz sehr früh dabei in der Kooperation mit China."
Studentisches Reisebüro
Folgerichtig kam es vor 20 Jahren dann auch zur Gründung des Studiengangs "Wirtschaftssprachen Asien und Management mit Schwerpunkt China" – und jüngst zur Gründung des China-Kompetenzzentrums. Studierendenaustausch, die Betreuung des Studiengangs – all dies soll dort nun gebündelt und weiter entwickelt werden. Daneben soll das China-Zentrum durch Beratung und ergänzende Lehrangebote auch in klassische Studiengänge wie Maschinenbau, Elektro- und Bauingenieurwesen hineinwirken, erläutert Professor Carsten Manz, Präsident der "Hochschule für Wirtschaft, Technik und Gestaltung" Konstanz:
"Das China-Zentrum wirkt vor allem, wenn sie jetzt Bauingenieurwesen, Elektro- und Informationstechnik ansprechen….da passt das natürlich hervorragend rein. Wenn wir Leute vorbereiten wollen für den weltweiten Einsatz, dann gibt es dort die entsprechende Kompetenz. Aber auch wenn Sie weiter schauen in Richtung Maschinenbau, wo das Thema Vertrieb auch schon seit 20 Jahren verankert ist. Wenn Sie weltweit Vertrieb erfolgreich gestalten wollen, dann müssen Sie Kenntnisse haben vom Markt. Und dazu gehört auch als potenzieller großer Markt auch der chinesische Markt."
In diesem Sinne wirkt das neue China-Zentrum auch so ein bisschen als studentisches Reisebüro: Ab nach China – diese Möglichkeit soll grundsätzlich allen Studierenden offen stehen, so Professor Gabriele Thelen, die ebenfalls im Leitungsteam des neuen Kompetenzzentrums mitarbeitet:
"Wir wollen natürlich auch unseren Studierenden die Möglichkeit geben, ein Auslandssemester oder ein Praktikum in China zu organisieren. Und das sind Angebote, die haben wir für alle Studiengänge jetzt schon in Vorbereitung, dass wir unsere Partnerhochschulen, die wir schon haben, entsprechend mit einbeziehen, dass eben mehr Studierende aus den technischen Disziplinen die Möglichkeit bekommen, dort ein Praktikum zu machen beziehungsweise dort ein Auslandssemester zu studieren.")
Dass das neue China-Kompetenzzentrum in alle Studiengänge der Konstanzer Hochschule hineinwirkt, ist das eine. Zum anderen soll es aber auch Beratungsangebote nach außen bereitstellen. Die richten sich vor allem an die mittelständische Wirtschaft, so Professor Carsten Manz, Präsident der HTWG Konstanz:
"Die Weiterbildung ist genau das Thema, auf das wir setzen. In der Weiterbildung werden wir in Zukunft weitere Angebote schaffen für Leute aus der Wirtschaft, denen dieses Wissen fehlt, und die sich das Interkulturelle dann aneignen können. Also wir möchten uns sicherlich auch bereitstellen für die regionale Wirtschaft, für die Themen in der Region."
"Unsere Ausbildung basiert tatsächlich auf diesen drei Säulen Wirtschaft, Sprache, interkulturelle Kompetenz."
Die Angst vor China nehmen
Studiendekan Professor Konstantin Hassemer betreut in erster Linie den Studiengang mit China-Bezug. Vor allem die Aneignung "interkultureller Kompetenz" ist aus seiner Sicht ein wichtiger Baustein:
"Ich muss dafür auch diese interkulturelle Sensibilität mitbringen, das heißt das Verständnis: Wie tickt die andere Seite – und wie kann ich versuchen, über das Verständnis der kulturellen Besonderheiten meine Ziele, meine wirtschaftlichen Ziele in dem Kommunikationsprozess auch zu erreichen."
Und das ist ein Punkt, den viele deutsche Manager, die mit chinesischen Partnern ins Geschäft kommen wollen, immer noch unterschätzen: Die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und China – und deren Auswirkungen. Professor Xiaoyu Zhao stammt aus China. Er arbeitet ebenfalls im Leitungsteam des neuen Kompetenzzentrums an der Konstanzer Hochschule mit:
"Ich kann das an einem Beispiel erklären: In Deutschland sind vielleicht die persönlichen Beziehungen im Berufsleben nicht so wichtig. Das ist aber in China ganz anders: Wenn man Geschäfte erfolgreich machen möchte, muss man zunächst eine persönliche Beziehung zu einem chinesischen Partner haben. Und man kann zum Beispiel am Gespräch am Abend, beim Essen, persönliche Meinungen austauschen. Und ein Essen kann viel wichtiger sein als eine Verhandlung am Verhandlungstisch. Und das ist eine Besonderheit der chinesischen Kultur. Persönliche Beziehungen spielen eine größere Rolle als eine geschäftliche. Und beides vermischt sich oft miteinander."
Xiaoyu Zhao sieht seine Aufgabe im Konstanzer China-Zentrum auch darin, seinen Ansprechpartnern die Angst vor China zu nehmen – die Angst beispielsweise, dass Patente und Geschäftsideen abgekupfert werden, die Angst auch vor wirtschaftlicher Expansion um jeden Preis:
"Es lohnt sich, genauer hin zuschauen und nicht allgemein zu sagen: Chinesen sind…und Deutsche sind….Insofern habe ich keine Angst, dass China in Deutschland alles aufkaufen möchte. So viel Geld hat China auch nicht. Und China steckt im Moment in großen Schwierigkeiten: Es gibt langsamere Wachstumsraten. Die Arbeitslosigkeit und auch die Innovation ist immer noch ein großes Problem."
"Über was reden wir, wenn wir Menschenrechte erwähnen?"
Ein ebenfalls großes Problem sind höchst unterschiedliche Auffassungen über die Geltung von Menschenrechten zwischen Deutschland und China – ein Thema, dass die Experten im neuen China-Kompetenzzentrum bewusst nicht verschweigen möchten. Allerdings:
"Über was reden wir, wenn wir Menschenrechte erwähnen? Was ploppt auf bei den einzelnen Menschen, wenn sie denken, Menschenrechte werden verletzt?"
Diese Frage, glaubt Gabriele Thelen vom Leitungsteam, müsse auch wissenschaftlich erörtert werden – vor dem Hintergrund der interkulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und China.
"Das, was wir uns vorstellen, ist, dass wir die Menschen zusammenbringen, dass sie sich auch auf Augenhöhe darüber unterhalten und auch die Realität dahinter versuchen zu verstehen: Warum wird ein Thema, das bei uns sehr kritisch beurteilt wird, in China so gemacht? Und da wir eine Hochschule sind, also eine Bildungsinstitution, geht es darum, dass wir uns faktisch und nicht emotional damit auseinandersetzen. Dadurch ist uns das Thema Menschenrechte ein sehr liebes Thema. Denn: Auseinandersetzung und kritischer Dialog – das ist es, was wir hier wollen."
Gelegenheit zu solch kritischer Auseinandersetzung auf Augenhöhe gibt es immer wieder. Denn regelmäßig kommen auch chinesische Studierende an die HTWG Konstanz, nehmen dort an Kurs- und Seminarangeboten teil, die das China-Kompetenzzentrun für sie vorbereitet. Professor Xiaoyu Zhao hält solche Begegnungen für überaus wichtig, auch für die Entwicklung seines Landes:
"Viele Chinesen fühlten sich eigentlich nicht so sicher auf der Weltbühne. Deshalb ist es für Chinesen sehr wichtig, nach Deutschland zu kommen, um zu sehen, wie ein demokratisches Land so funktioniert. Und vielleicht bringen die verschiedene Erfahrungen zurück nach China. Und ich denke, das ist eine sehr gute Voraussetzung für die weitere Entwicklung Chinas in verschiedener Hinsicht."