Info: Der Ausstellungsreigen "China 8" ist in neun Museen in acht Städten an Rhein und Ruhr zu sehen, vom 15. Mai bis 13. September 2015.
Moderne Kunst mit traditionellen Formen
Wer sich einen Überblick über die chinesische Gegenwartskunst verschaffen möchte, kann das derzeit in acht Städten an Rhein und Ruhr tun. Dort präsentieren neun Museen rund 116 Künstler, deren Formensprache sich nicht nach westlichen Moden richtet.
16 Meter breit und zwei Meter hoch ist das Ölbild der Malerin Huang Min, das freizeitmäßig bunt gekleidete Menschen versammelt, die an der Brüstung einer Aussichtsterrasse lehnen und in eine grandiose Berglandschaft blicken. Die Landschaft allerdings malte Huang Min schwarz-weiß, im Stil klassischer Tuschemalerei.
Ihre Arbeit, die vom Verlust eigener Traditionen erzählt, hängt im NRW-Forum in Düsseldorf. Dort ermöglichen Werke von 32 Künstlern aller Gattungen einen ersten Überblick über das aktuelle Kunstgeschehen in China und machen deutlich: Die Zeit, da sich ein Großteil chinesischer Künstler nach den Vorlieben des westlichen Kunstmarktes richtete, ist endgültig vorbei.
Walter Smerling, Initiator von CHINA 8: "Es fällt ganz besonders auf, dass die chinesischen Künstler - im Gegensatz vor 20 Jahren - heute sehr viel eigenständiger geworden sind. Sie sind nicht mehr diejenigen, die plagiativ arbeiten, sie sind nicht mehr diejenigen, die den Western-Style kopieren, sondern sie entwickeln eine Eigenständigkeit. Sie entwickeln diese Eigenständigkeit aus ihrer Tradition heraus, und bauen darauf auf."
Ob Skulpturen in Duisburg, Installationen in Mühlheim, Fotografie im Museum Folkwang in Essen: Viele Künstler beschäftigen sich mit den Folgen des rasanten gesellschaftlichen Wandels in China, mit Armut und Reichtum, Umweltzerstörung, Bauboom, dem Verlust der eigenen Traditionen und Werte.
Apokalyptische Landschaften aus Bürotürmen
Im Museum Folkwang etwa gleichen South Ho Siu Nams Fotografien riesiger Bürotürme alptraumhaften, apokalyptischen Landschaften. Und Alfred Ko lässt in Foto-Collagen Tradition und Moderne aufeinander prallen, so das schon mal ein Jumbo-Jet mitten in einem alten Pekinger Wohnviertel landet.
Im Kunstmuseum Gelsenkirchen stellen Künstler aus, die das uralte Medium der Tuschemalerei aufgreifen, um vom Heute zu erzählen: Da hängt zum Beispiel eine grandiose idealtypische Berglandschaft. Erst wenn man ganz nah an sie herantritt, entdeckt man zwischen Felsen und Wäldern Industrieanlagen, Bergbauhalden, Autobahnen.
"Sie nutzen alle Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber benutzen das heutige Alphabet der Gesellschaft."
Walter Smerling initiierte das ungewöhnliche Projekt nicht nur, er ist auch dessen Hauptkurator. Vor 20 Jahren zeigte er eine der ersten großen Ausstellungen chinesischer Kunst in Deutschland. Seitdem verfolgt er die Kunstentwicklung des Landes.
Thematische und formale Vielfalt
Für CHINA 8 wählte er mit zwei Ko-Kuratoren die 116 Künstler aus, die nun die thematische und formale Vielfalt der aktuellen Szene vorstellen - von international hochdotierten Malerstars, die teilweise längst in Europa leben, bis zu zahlreichen hierzulande kaum oder noch gar nicht bekannten Künstlern.
Dass Ai Weiwei fehlt, liegt übrigens daran, dass er nicht teilnehmen wollte, und nicht an chinesischen Zensurmaßnahmen, wie einige Medien vorab behaupteten, um daraus prompt das Fehlen "regimekritischer Kunst" abzuleiten.
Smerling: "Es ist völlig irrsinnig zu glauben, die chinesischen Künstler beschäftigen sich mit schönen Landschaften und ansonsten gibt es irgendwelche Regimekritiker, die regimekritische Bilder malen. Die Künstler, egal wo auf der Welt, reflektieren das, was sie interessiert! Sowohl die Tusche- und Kalligraphiemaler, wie auch die Skulpturenkünstler, wie auch die Maler, sind diejenigen, die den Paradigmenwechsel -, den wir übrigens mit produziert haben in China - diesen Paradigmenwechsel, den reflektieren sie: Sie gehen auf die sozialen Veränderungen ein."
Besonders eindringlich zeigen das die im Duisburger Lehmbruck-Museum versammelten Skulpturen: In einem Raum liegen 15 große Felsbrocken auf dem Boden. Sui Jianguo umschloss sie mit engen Netzen aus Eisendraht - ein schmerzhaftes Sinnbild für das gefesselte Individuum - nicht nur in China.
Erstmals in Europa zu sehen sind die rechteckigen filigranen Arbeiten von Fang Lijung, die aus hunderten kleiner Einzelteile bestehen und gefährlich instabil wirken.
"Er gestaltet seine einstürzenden Festungen aus einer alten Tradition heraus: mit Porzellan und brennt Porzellanbücher, die an Mao-Bibeln erinnern. Die als Festung sich darstellen, im Kleinen wie im Großen. Aber diese Festung wird brüchig, fällt zusammen. Irgendwie ist sie noch stabil. Es ist eine sinnliche, eine rationale, eine politische Arbeit."
Einmalige Überblicksschau
Die Auswahl der Kuratoren ermöglicht einen bisher einmalig breiten Überblick über die aktuelle Kunstentwicklung in China. Sichtbar wird, wie selbstbewusst sich viele Künstler und Künstlerinnen einmischen in das, was sie umgibt, und wie sie damit auch um die Mitgestaltung eines neuen gesellschaftlichen Selbstverständnisses ringen. Etwas, was Künstler hierzulande eher wenig interessiert.
Auch deshalb wirken die aus hiesigen warmen Redaktionsstuben bereits vor der Eröffnung formulierten Einwände, dem Projekt fehle es an "regimekritischer Kunst", ziemlich peinlich.