China

Smog über Peking

Starker Verkehr in Peking, die Stadt liegt unter dichtem Smog
Dichter Smog in Peking © picture alliance / dpa / Stephan Scheuer
Von Axel Dorloff |
Schutzmasken, Luftreiniger, Smog-Apps – für viele Menschen in Peking gehört das trotz einiger Erfolge im Kampf gegen den Smog weiter zum Alltag. Zwar hat Chinas Führung der Umweltverschmutzung offiziell den Kampf angesagt. Die Fortschritte sind bislang allerdings nur mäßig.
Der Himmel sieht nach Regen aus, aber es regnet nicht. Es kratzt im Hals, die Augen brennen – und die Sicht verliert sich nach wenigen Metern im grauen Nichts. Es sind Tage wie diese, an denen der Smog die chinesische Hauptstadt Peking geradezu verschluckt. An denen Bürotürme auf der anderen Straßenseite nur noch schemenhaft zu sehen sind. Und an denen Millionen Menschen in Peking unter der dicken Luft röcheln, weil der Index für Feinstaub mal wieder bei einem Vielfachen des Grenzwertes der Weltgesundheitsorganisation liegt.
"Im Allgemeinen ist man hilflos bei diesen Smogwerten. Wir können zwar Luftfilter und viele grüne Pflanzen kaufen, um die Luft zu reinigen. Aber das bringt nur wenig. Weil wir ja im Endeffekt immer aus dem Haus müssen. Ich habe vier Luftfilter gekauft – für jeden Raum einen. Wenn ich nach Hause komme, stelle ich die an. Und dann gucke ich auf die Anzeige, bis der PM 2,5 Wert auf 20 oder 30 runter geht."
"Natürlich machen wir uns Sorgen. Heutzutage bekommen mehr und mehr Menschen Krebs. Das hat sicherlich etwas mit der verschmutzten Luft zu tun. Aber wir haben keine Wahl."
Für die Menschen in Peking ist es an diesen Smog-Tagen unmöglich, der milchigen Dunstglocke zu entkommen. Viele tragen Atemmasken. Die Umweltschutzbehörde ruft Kinder, ältere Menschen und chronisch Kranke dazu auf, sich drinnen aufzuhalten. Autobahnen werden wegen schlechter Sicht gesperrt und die Smartphone App für die Luftqualität, die sich "Airpocalypse" nennt, leuchtet Pink. Die Signalfarbe für den Alarmzustand der Luft. Dazu nett gemeinte Sprüche wie "Bleib zuhause und nehme ein Bad" oder "Versuch's mit einer größeren Maske". Am gefährlichsten ist der Feinstaub der Kategorie PM 2,5: also Schwebpartikel, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind. Sie dringen tief in die Lungen ein, können Herzinfarkte, Lungenkrebs und Asthma verursachen.
An diesem Smog-Tag verlässt Ma Jun sein Büro nicht. Er ist Direktor des unabhängigen Pekinger Umwelt-Instituts IPE. In seiner Vitrine stapeln sich die Urkunden für Umweltschutz-Preise. Die schwedische Luftfilteranlage im Zimmer summt vor sich hin – und Ma Jun wischt auf der App herum, die sein Institut entwickelt hat: auf der "Bluesky Map App". Sie zeigt nicht nur die Luftverschmutzungswerte in der Region an, sondern auch wer wie viel Schmutz in die Luft bläst. Informationen über den Schadstoff-Ausstoß von über 9.000 Industrieanlagen im Nordosten Chinas. Ma Jun zeigt auf seiner App die Entwicklung der Luftqualität für das Jahr 2015.
"Dieses Jahr hat sich die Luftqualität in Peking deutlich verbessert – besonders in den ersten neun Monaten. Im Oktober kamen dann wieder mehr Smog-Tage. Aber wenn wir uns das im Detail angucken, wissen wir nicht genau, wie viel davon mit dem Wetter zu tun hat. Wir hatten definitiv mehr Regen und mehr Wind. Die Wetterbedingungen waren also gut, um den Smog zu vertreiben. Wir wissen auch nicht, wie viel die Schwäche der chinesischen Wirtschaft dazu beigetragen hat, die Luftqualität zu verbessern. Sicher ist aber, dass einige Regionen wirklich ihre Emissionen reduziert haben. Aber welcher Einfluss jetzt wie groß ist – wir wissen es einfach nicht. Der Smog im Oktober hat uns aber wieder gezeigt: stabil ist die Lage nicht."
Schon vor 15 Jahren hat die chinesische Regierung die Messungen der Luftqualität veranlasst – und die Ergebnisse dann vertraulich für sich behalten. Jahrelang haben Umweltorganisationen dafür gekämpft, dass die Werte veröffentlicht werden. Letztlich mit Erfolg: seit gut zwei Jahren sind die Zahlen zugänglich – und die Bluesky Map App nutzt sie.
"China hat in den vergangenen drei Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Vor mehr als drei Jahren gab es keine einzige Stadt in China, die die eigene Luftqualität und die PM 2,5-Werte veröffentlicht hat. Heute gibt es mehr als 380 Städte, die das machen, stündlich aktualisieren und online zur Verfügung stellen. Das ist in dieser Art einmalig in der Welt. Das zeigt, dass es den politischen Willen von oben gibt. Aber der muss in politische Praxis umgesetzt werden – und dazu braucht es noch viel mehr öffentliche Beteiligung."
Wer den Smog in der chinesischen Hauptstadt Peking verstehen will, muss den Blick in die umliegenden Provinzen richten: nach Hebei, Tianjin, Shandong, Henan oder Shanxi. Die fünf am stärksten von Smog betroffenen Gegenden im Land liegen alle nur wenige hundert Kilometer von Peking entfernt. Hier sitzt die Schwerindustrie, die für einen großen Teil der Feinstaubbelastung in Peking verantwortlich ist.
Knapp zwei Stunden Autofahrt sind es von Peking bis zur Stadt Qian'an in der Provinz Hebei. Monatlich veröffentlichen die chinesischen Umweltbehörden eine Liste mit den schmutzigsten Städten Chinas. Die Hälfte oder mehr sind in der Regel Städte in Hebei. Hier leiden die Menschen besonders unter der Luftverschmutzung.
In einem riesigen Industriegebiet vor der Stadt Qian'an krachen die großen Schwertransporter über die staubigen, schlecht gepflasterten Straßen. Am Horizont eine Hügelkette – davor ragen überall dicke, rot-weiß gestreifte Schornsteine in den Himmel. Schmutzig-gelber Rauch steigt auf. Wir treffen den 30-jährigen Li Kuilin. Er ist in Qian'an geboren und aufgewachsen. Und er will uns sein Heimatdorf zeigen, das mitten im Industrieviertel liegt – unmittelbar neben einem großen Stahlwerk.
"Vor dem Jahr 2000 konnten wir hier die Sterne noch klar sehen. Seitdem ist das selten geworden – und kommt kaum noch vor. Ich weiß, dass Pflanzen und Getreide nahe der Stahl- und Kohlefabriken nicht gut wachsen. Die Schwefelsubstanzen in dem gelblichen Rauch haben nicht nur Auswirkungen auf die Haut und die Atemwege der Menschen – sondern auch auf die Pflanzen."
Li ist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Er trägt eine blaue Trainingsjacke, Jeans und Turnschuhe. Als einer der wenigen aus seinem Dorf arbeitet er nicht im Stahlwerk sondern als Taxifahrer in der Stadt.
"Die Luftverschmutzung ist schlecht für unsere Lungen. Besonders Kinder und ältere Menschen leiden unter Atemwegserkrankungen. Aber wenn wir wählen müssen zwischen Wohlstand und der Gesundheit, dann ist uns unsere wirtschaftliche Lage erst mal wichtiger."
Und für die Wirtschaft der Provinz Hebei sind Stahl, Kohle und Eisen wichtig – Millionen Menschen in Hebei arbeiten für die Schwerindustrie. Das Heimatdorf des Taxifahrers Li heißt Guanzhuangzi: einfache, barackenartige Häuser mit Flachdach. Li zeigt auf das Rongxin Stahlwerk – die große Fabrik liegt nur wenige hundert Meter vom Dorf entfernt.
"Weil die Nachfrage nach Stahl eingebrochen ist, wurde die Produktion herunter gefahren. Das hat die Luftqualität etwas verbessert. Wenn in Peking große Veranstaltungen waren, wurden die Fabriken ganz heruntergefahren."
Wie beim APEC-Gipfel im November letzten Jahres – oder auch während der großen Militärparade Anfang September. Wenn die Führung in Peking blauen Himmel wünscht, fährt ringsherum die Industrie ihre Produktion herunter – auch das Rongxin-Stahlwerk in Hebei. Aber bei normaler Produktion lebt man fast immer unter einer Smog-Glocke, erzählt Zhang Hongjuan, eine 61-jährige Frau aus dem Dorf, die mit ihrer Enkelin auf einem dreirädrigen Motorrad sitzt.
"Auch ich bin krank. Wir husten immer. Man kann ja kaum atmen, wenn man hier lebt. Guckt Euch meine Enkelin hier an. Sie ist viel zu dünn für ihre elf Jahre. Aber sie isst kaum etwas, weil das Wasser hier verschmutzt und verseucht ist. Aber wo sollen wir hin? Die Leute, die es sich leisten konnten, sind weg gezogen. Hier kümmert sich keiner um die verschmutzte Umwelt. Ich fühle mich oft den ganzen Tag schwindelig und kann schlecht schlafen."
Zum Beweis für die schlechte Luft reißt Zhang Hongjuan ein Blatt vom Baum – und wischt mit ihrem Finger und etwas Spucke über die dicke Dreckschicht. Das graue Blatt wird grün. Schon mehrmals haben die Menschen in Guanzhuangzi protestiert. Gegen die schlechte Luft, gegen das verseuchte Wasser. Sie haben höhere Umweltauflagen für das Stahlwerk gefordert. Aber ohne Erfolg, sagt Li Liqun, ein 65-jähriger Rentner aus dem Dorf.
"Wir haben uns doch schon daran gewöhnt, das ist alles normal für uns geworden. Was können wir auch tun? Selbst wenn wir uns um unsere Gesundheit Sorgen machen? Als wir gegen das Stahlwerk protestiert haben, wurde uns gesagt: "Kommt nicht zu uns, sondern beschwert Euch bei der Regierung!"
Aber die großen Umweltsünder werden von den Lokalregierungen oft geschützt – weil es den Lokalpolitikern vor allem um Wachstum geht. Der örtliche Partei-Sekretär heißt Du Jianbin. Er kennt die Klagen der Menschen im Dorf, setzt aber andere Prioritäten.
"Die Unternehmen hier in der Umgebung müssen sich entwickeln. Wie soll ein Dorfbewohner, der bereits sein Ackerland verloren hat, sein Leben finanzieren, wenn auch noch die Stahlfabrik dicht macht? Man kann sich über die Umweltverschmutzung beschweren – aber ohne geht es halt nicht. Dann würde keiner hier im Dorf Geld verdienen."
Kritik, Protest, die Forderung nach schärferen Umweltauflagen für die Schwerindustrie – das alles wird von den Verantwortlichen in der Lokalpolitik und in den Unternehmen schnell als existenzbedrohend empfunden. Die Menschen in Guanzhuangzi sagen: beim Rongxin Stahlwerk hat sich in den vergangenen Jahren wenig getan. Keine neue Technik in moderne Filteranlagen oder ähnliches. Kaum Investitionen, um den eigenen Schadstoffausstoß zu verringern. Taxi-Fahrer Li Kuilin gibt sich – wie viele andere im Dorf – fatalistisch.
"Wir haben uns an diese Umweltbedingungen gewöhnt, wir sind hier geboren und aufgewachsen. Ich bin glücklich, hier zu leben. Und ich möchte nicht umziehen, wenn ich es nicht muss. Das hier ist meine Heimat."
Zurück in der chinesischen Hauptstadt Peking: für den Umweltexperten Ma Jun ist der Fall des Rongxin-Stahlwerks exemplarisch. Man kennt zwar mittlerweile die großen Umweltsünder, die die zulässigen Grenzwerte für Schadstoffe überschreiten – aber das hilft oft nicht viel.
Nach dem Gesetz müssten sie bestraft werden – das passiert aber nicht.
"In vielen Fällen ist das so. Nicht nur die Lokal-Regierungen, auch die großen Fabriken, genießen einen hohen Status in China. Einige von ihnen sind sehr, sehr mächtig. Deshalb ist es für eine Umweltbehörde nicht einfach, sich mit ihnen anzulegen. Im Westen würden die Leute einfach vor Gericht ziehen, damit bestimmte Gesetze eingehalten werden. Man kann Fabriken verklagen, Politiker verklagen – alles. Aber in China ist und bleibt das schwierig. Wir brauchen alternative Wege. Und einer davon ist, die Transparenz zu erhöhen. Wir müssen mehr Leute dazu bringen, Druck auf die Industrie auszuüben, die für die Verschmutzung verantwortlich ist."
Und diesen Druck möchte Umwelt-Aktivist Ma Jun auch mit Hilfe seiner Blue Sky Map App produzieren. Zehntausende Internet-Nutzer verbreiten täglich die Schadstoff-Werte der großen Umweltsünder in ihren Mikroblogs. Auch in offiziellen Internet-Auftritten der chinesischen Umweltschutzbehörde lassen sich die Zahlen nachlesen. Alles, um die Lokal-Regierungen und die Industrie dazu zu bewegen, die Schadstoffbelastung der Luft zu verringern.
"Das bedeutet nicht, die Fabriken zu schließen. Unser Feind ist nicht die Fabrik, die die Luft verschmutzt. Unser Feind ist die Luftverschmutzung selbst. Wir müssen die Unternehmen motivieren und ihnen klar machen, dass die Zeit reif ist, andere Wege zu gehen. Wer sich nicht ändert, hat auch keine Zukunft. Wir haben die Gesetze – und wir haben die Grenzwerte. Aber wenn wir sie nicht durchsetzen, werden die am Markt belohnt, die sich nicht daran halten. Dann werden wir das Problem nie lösen."
Denn vieles was gut ist, wird auf lokaler Ebene blockiert. Laut einer Studie sinken die Karrierechancen der chinesischen Provinzfürsten, wenn sie in Umwelt- statt in prestigeträchtige Infrastrukturprojekte investieren. Zum Anfang des Jahres ist in China eine Neuauflage des Gesetzes zum Schutz der Umwelt in Kraft getreten. Eine Art nationaler Rahmen für Chinas Umweltpolitik. Ein ambitioniertes Werk mit guten Ansätzen – aber oft fehlt allein der Wille und die Motivation in den Provinzen.
Dafür zeigt sich die Stadt Peking gerne aktionistisch. Um für bessere Luftqualität in der Stadt zu sorgen, müssen seit einiger Zeit auch die Grill-Restaurants aufrüsten. Wie hier in einem Restaurant mit Grill-Spezialitäten aus der Region Xinjiang am Rande des Ritan-Parks. Managerin Zhang Shujin zeigt in der Küche die neue Filteranlage.
"Die Vorschriften sind strenger geworden, besonders in diesem Jahr haben die Behörden nochmal angezogen. Die Kontrolleure der Umweltbehörden kommen viel öfter bei uns vorbei. Unser Rauchabzug musste mit einem Luftfilter ausgerüstet werden. Wenn der Filter nicht installiert ist, darf das Restaurant nicht öffnen. Das hat uns einige zehntausend Yuan gekostet."
Das sind umgerechnet mehrere tausend Euro.
Anfang des Jahres hat Jia Zhangke, einer der bekanntesten Regisseure in China, einen Kurzfilm über die Luftverschmutzung in China vorgestellt. Im Auftrag von Greenpeace Ostasien. Bei den Dreharbeiten habe ihn am meisten fasziniert – und und auch geschockt – dass die Menschen selbst an Smog-Tagen ganz normal ihrem Leben nachgehen. So ist es auch an diesem Herbsttag im Ritan-Park. Trotz der hohen Smogwerte: die Menschen tanzen, spielen Federfußball oder üben Tai Chi. Zur Musik – und unter der dicken Smog-Glocke.
"Wenn man mit diesen Umweltverhältnissen leben muss, hilft dann wirklich eine Maske? Ich glaube, Masken sind sinnlos. Die Regierung hätte die Möglichkeit, das alles zu kontrollieren. Aber nicht über Nacht. Ich glaube, wir müssen der Regierung Zeit geben, um das Problem nach und nach zu lösen."
...sagt die junge Mutter Zhao Lu aus Peking. Auch wenn sich die Luftqualität im Jahr 2015 in vielen Städten im Nordosten Chinas verbessert hat, eine Entwarnung gibt es noch lange nicht. Der Kampf gegen die Luftverschmutzung in Peking – und in ganz China – ist ein langfristiges Projekt über Jahrzehnte. Die chinesische Führung hat zwar offiziell erkannt, wie wichtig Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind. Aber es fehlt weiter an einer konsequenten Umweltpolitik vor Ort. Greenpeace Ostasien wird auch weiter mit dem Spruch werben: "Die saubere Luft kommt nicht zu denen, die warten."
Mehr zum Thema