Chinas Internet

Ein Intranet ohne Ausgang

27:03 Minuten
Eine Chinesin ruft an einem Rechner die Internetseite des  20. Parteitags der Kommunistischen Partei auf.
Alle Informationen über den 20. Parteitag der Kommunistischen Partei sind im chinesischen Netz abrufbar. Kritische Inhalte dagegen: Fehlanzeige. © picture alliance / CFoto
Steffen Wurzel im Gespräch mit Katja Bigalke |
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Seit Xi Jinping an die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas gerückt ist, hat sich das Internet rasant gewandelt. 1,4 Milliarden Menschen sitzen hinter der „Great Firewall“, die mit großem technischen und finanziellen Aufwand zensiert.
2012 übernahm Xi Jinping das Amt des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Chinas. Unter ihm verschärften sich die Kontrolle und Überwachung der Bürger spürbar.
2015 ließen sich in China noch Apps wie WhatsApp oder Signal verwenden. Inzwischen wurde der Zugang immer stärker beschränkt. Wer die Messengerdienste heute nutzen möchte, müsse große technische Hürden überwinden, berichtet China-Korrespondent Steffen Wurzel. Zahlreiche Apps und Webseiten wie Google und Wikipedia wurden vollständig gesperrt. Der chinesische Staat investiert Unsummen in Manpower und Überwachungstechnologie, um die Kontrolle des Netzes und der Medien möglichst lückenlos zu gestalten.
Dabei spiele der von der chinesischen Staatsführung auf Konferenzen gern propagierte Begriff der „Online-Souveränität“ eine besondere Rolle, so Wurzel. Er bedeutet letztendlich, dass die Regierung in Peking entscheidet, was im Internet technisch möglich ist und inhaltlich erscheinen darf. Kritische Stimmen sind in Chinas Internet kaum sichtbar. Es ist weitgehend abgekoppelt von der Welt. Kritiker sprechen von einem „chinesischen Intranet“.

Keine Orte der freien Debatte

„Ich stelle mir das chinesische Internet vor, wie eine riesige Shoppingmall, bei der man die Ausgangsschilder abmontiert hat", beschreibt es Oliver Radtke, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Peking. "Ich kann einkaufen, ich kann essen, ich kann mich unterhalten, ins Kino gehen, aber ich komme da nicht raus, und was außerdem fehlt, sind Chaguan, also kleine Teehäuser, die traditionell in China immer ein Ort der freien Debatte waren und die es offline auch in vielen Städten noch gibt, aber eben nicht digital.“
Alle Themen, die der Kommunistischen Partei Chinas unliebsam sind, können online nicht diskutiert werden.Das Tiananmen-Massakers von 1989, der jahrzehntelange Widerstand der Tibeter und die Figur des Dalai Lama – alles keine Themen im chinesischen Netz. Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang werden genauso wenig diskutiert wie die Demokratiebewegung in Hongkong, die ungelöste Taiwan-Frage oder die Null-Covid Strategie der Partei. Selbst die persönlichen Text- und Bildnachrichten werden in China von den staatlich verordneten Online-Überwachungssystemen mitgelesen.

Subkulturen nicht erwünscht

Es herrscht außerdem eine große Sorge, dass sich in Subkulturen eine Art kritische Zivilgesellschaft entwickeln könnte. Deswegen wurden beispielsweise in den vergangenen Jahren mehrmals Chatgruppen der LGBTQ-Community an chinesischen Universitäten geschlossen.
VPN-Technologie, wie sie viele Menschen in Russland und Iran nutzen, um an Informationen jenseits der Staatspropaganda zu kommen, ist in China für Normalbürger zunehmend schwierig erhältlich: App-Stores wie der von Apple haben entsprechende Apps in China in den vergangenen Jahren auf Druck der Staatsführung in Peking verbannt. Die Nutzung ist offiziell illegal.
Über den Straßen Pekings schwebt ein großer Bildschirm. Darauf zu sehen: das Fernsehbild von Chinas Präsident Xi Jinping.
Über den Straßen Pekings schwebt das Fernsehbild von Xi Jinping. Der Personenkult um Chinas Präsident hat stetig zugenommen.© picture alliance / Kyodo
Wer sie trotzdem nutzt, wie der 30-jährige Li, dessen Name aus Sicherheitsgründen geändert wurde, bekam schon Besuch von Ermittlern der Staatssicherheit: Nachdem sich Li über Twitter mehrfach kritisch zur Niederschlagung der Zivilgesellschaft in Hongkong und zu den Corona-Lockdowns in Shanghai geäußert hatte, wurde er von der Polizei genötigt, ein Schuldeingeständnis zu unterschreiben, in dem er versprach, sich künftig nicht mehr kritisch online zu äußern.

Personenkult um Xi Jinping

Kaum etwas fürchtet Chinas Kommunistische Partei – auch vor dem Hintergrund der Demonstrationen in Hongkong vor drei Jahren – mehr als die Meinungsfreiheit. Demokratiebewegungen sind für die chinesische KP der Anfang vom Ende der eigenen Macht.
Zwar wird es auch in einer Partei mit mehr als 95 Millionen Mitgliedern eine gewisse Pluralität an Stimmen geben. Aber von kritischen Stimmen dringe wenig nach außen, sagt China-Korrespondent Steffen Wurzel.
Alles ist zugeschnitten auf den Parteiführer Xi Jinping, der einen Personenkult etabliert hat, wie es ihn seit Mao Zedong nicht mehr gab. Der Weg für eine dritte Amtszeit, die es eigentlich nach Mao nicht mehr geben sollte, wird jetzt auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei ab dem 16. Oktober in Peking freigemacht. Kritische Stimmen dazu wird es in chinesischen Blogs, Messenger-Diensten oder auf Nachrichtenseiten nicht geben.
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