Waren statt Waffen?
Die Seidenstraße war über Jahrhunderte eine der wichtigsten Handelsrouten. Kann eine "Seidenstraße 2.0" diese wirtschaftliche Glanzzeit wiederbeleben? Das ist Chinas Plan. Der Journalist und China-Experte Frank Sieren sagt: Es kann gelingen, doch muss dafür viel investiert werden.
Aus alt mach neu - gilt das auch für die historische Seidenstraße, wenn man beschließt, ein "2.0" hinter den Namen zu hängen? Es ist das wirtschafts- und geopolitische Mega-Projekt Chinas: die Neue Seidenstraße. China möchte damit ein neues Handelsnetzwerk zwischen Asien und Europa spannen. Für den 14./15. Mai haben sich insgesamt 28 Staats- und Regierungschefs und viele andere Politiker und Experten zum großen Seidenstraßen-Gipfel in Peking angekündigt.
Deutschland wird durch Wirtschaftsministerin Zypries vertreten. Chinas Führung verspricht den Anrainerstaaten Investitionen und eine gemeinsame Entwicklung. Kritiker befürchten, dass China vor allem seinen Einfluss ausbauen und seine Überkapazitäten exportieren will. Kann ein solches ehrgeiziges Unterfangen also funktionieren?
Kann eine Seidenstraße 2.0 zum Erfolgsmodell werden?
Frank Sieren, Wirtschaftsjournalist in Peking und Buchautor, hält die Idee zwar nicht für abwegig, ist aber dennoch skeptisch - immerhin führe die Seidenstraße durch schwierige Krisenländer beziehungsweise sehr arme Länder wie Afghanistan und Pakistan. Aber:
"Vielleicht ist es ja ein Versuch wert, zu sagen 'Waren statt Waffen!' - jetzt versuchen wir das mal über wirtschaftlichen Aufbau."
Was die Globalisierungseffekte anbelange, ließen sich aber durchaus Parallelen zwischen damals und heute ziehen:
"Insofern, als dass diese Länder, durch die die Seidenstraße geht, davon profitieren, dass da neue Wirtschaftszentren entstehen können: dass auf dem Weg neue Städte entstehen, dass die Güter nicht nur durch diese Länder transportiert werden, sondern zum Beispiel auch Güter dann später in diesen Ländern produziert werden."
Damit das teure Projekt gelinge müsse China allerdings "die Länder, die auf dem Weg sind, und auch die Länder, die in Europa am Ende der Seidenstraße stehen, viel, viel stärker einbeziehen."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Schon über die alte Seidenstraße sind etliche Bücher geschrieben worden, über die Handelsroute zwischen Iran, Indien und China, über die natürlich Seide wie auch Gewürze, Glas und Porzellan gehandelt wurden. Aber das war nicht alles: Über die Seidenstraße fanden auch Religionen wie der Buddhismus und das Christentum ihren Weg. Entlang der Route verbreiteten sich Weltanschauungen wie Krankheiten – eine Verbindung zwischen Ost und West, die gar nicht überschätzt werden kann und die eine Neuauflage erleben soll, so zumindest der Plan. Wenn China jetzt einlädt zu einem Seidenstraßen-Gipfel. Unter anderem wird Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries ins Flugzeug steigen, um in Peking dabei zu sein, wenn sich Politiker und Experten treffen, und aus Peking berichtet seit mehr als 20 Jahren Frank Sieren, so auch für das "Handelsblatt". Guten Morgen, Herr Sieren!
Frank Sieren: Guten Morgen!
Welty: Die chinesische Führung tut ja selten etwas aus reinem Selbstzweck, was also ist die Absicht hinter diesem Gipfel zum Projekt "Neue Seidenstraße"?
Sieren: Ja, das gilt natürlich nicht nur für die chinesische Führung, sondern eigentlich für alle Politiker. Die Idee ist, Europa und China beziehungsweise Europa und Afrika über den Land- und den Seeweg miteinander zu verbinden und so neue Möglichkeiten für Wirtschaftswachstum zu generieren.
Nützt der Mythos "Seidenstraße" etwas?
Welty: Inwieweit nutzt man dabei den Mythos, der mit der alten Seidenstraße einhergeht?
Sieren: Ja, erstaunlicherweise nicht so sehr, wie ich eigentlich erwartet hätte, denn das Projekt heißt ja "One Belt, One Road", das klingt für unsere Ohren etwas eigenartig, also ein Gürtel, eine Straße. Und man hat es nicht neue Seidenstraße genannt, offensichtlich möchte man deutlich machen, dass das was ganz anderes ist, was Neues. Da ist natürlich die Frage, wie unterscheidet sich die neue Seidenstraße von der alten.
Welty: Wie unterscheidet sie sich denn?
Sieren: Na ja, sie unterscheidet sich dadurch, dass sie geplant wurde oder geplant wird von einem Land in der Federführung und nicht wie die alte Seidenstraße einfach entstanden ist dadurch, dass Privatpersonen sich aufgemacht haben, um Handel zu treiben, zum Teil auch im Auftrag des Staates. Aber in diesem Fall will ja der Staat praktisch die Infrastruktur entlang der Strecke in der Zusammenarbeit mit den anderen Ländern, mit den Ländern, durch die die Seidenstraße geht, aufbauen.
Welty: Bei allen Unterschieden gibt es auch Parallelen in Hinsicht auf eine Globalisierung damals und heute?
Sieren: Na ja, natürlich gibt es Parallelen insofern, als dass diese Länder, durch die die Seidenstraße geht, davon profitieren, dass da neue Wirtschaftszentren entstehen können: dass auf dem Weg neue Städte entstehen, dass die Güter nicht nur durch diese Länder transportiert werden, sondern zum Beispiel auch Güter dann später in diesen Ländern produziert werden. Aber das ist natürlich noch ein sehr, sehr weiter Blick in die Zukunft, denn bei vielen dieser Länder handelt es sich ja um sehr schwierige Staaten, beispielsweise Afghanistan, Pakistan, aber auch das ein oder andere zentralasiatische Land ist ja nicht sehr stabil, und es ist natürlich ein großes Wagnis, ein großes Risiko zu versuchen, dort wirtschaftlich zu investieren.
Aber auf der anderen Seite hat man ja, man kann fast sagen über Jahrhunderte hinweg versucht, zum Beispiel in Afghanistan, mit militärischen Mitteln versucht, Ruhe zu kriegen, Ruhe reinzukriegen und Stabilität – erst die Engländer im 19. Jahrhundert, dann die Russen im 20. und schließlich die NATO, und das hat nicht sehr gut funktioniert. Vielleicht ist es ja ein Versuch wert, zu sagen, Waren statt Waffen, jetzt versuchen wir das mal über wirtschaftlichen Aufbau.
Weniger Krisen durch Wirtschaftswachstum?
Welty: Inwieweit könnte wirtschaftspolitisch da tatsächlich ein Hebel angesetzt werden, wie könnte das dann aussehen, wenn wir jetzt bei dem Beispiel Afghanistan bleiben?
Sieren: Na ja, es ist natürlich so, dass, ich sag mal, die Schwelle für Terroristen schon höher ist, wenn die Länder wirtschaftlich prosperieren, weil es schwieriger ist, Sympathisanten zu finden, weil die Unzufriedenheit nicht so groß ist – das sieht man ja an einem Land wie China. Insofern könnte das schon eine Möglichkeit sein, da stabilere Verhältnisse hinzubekommen. Das andere ist, dass es für einen Staat natürlich leichter zu regieren ist, wenn er wirtschaftliche Einnahmen wie Steuern hat und dann auch Infrastruktur aufbauen kann, eine vernünftige Verwaltung. Aber da muss man sagen, das ist natürlich sehr, sehr abstrakt formuliert, im Alltag wird es sehr, sehr schwierig, das umzusetzen. Da muss man sich keine Illusionen machen.
Welty: Kritiker sprechen ja schon von einer Einbahnstraße oder einer Seidenstraße nach nirgendwo. Kann das Vorhaben Ihrer Einschätzung nach gelingen?
Sieren: Ja, also ich meine, alle großen Vorhaben, die zunächst einmal einem eigenartig erschienen, haben natürlich solche Kritiker gehabt. Das bedeutet nicht automatisch, dass sie nicht funktionieren. Ein Beispiel aus der Wirtschaft: VW ist in den 80er-Jahren nach China gegangen, in ein Land, das noch von der Kulturrevolution gezeichnet war, in dem man noch die Kotflügel mit dem Hammer geklöppelt hat sozusagen. Das war auch ein Risiko, und kaum jemand konnte sich vorstellen, dass man einen A6 oder einen Mercedes oder einen BMW mal dort bauen würde. Also dass es Hürden gibt, sollte nicht bedeuten, dass man es nicht riskieren sollte. Und einen Vorteil hat das Projekt: Es ist ein quasi persönlicher Wunsch des Staatspräsidenten, und insofern wird natürlich alles versucht, um dieses Projekt auf die Beine zu bekommen. Allerdings gibt es einen ganz wichtigen Punkt: China muss die Länder, die auf dem Weg sind, und auch die Länder, die in Europa am Ende der Seidenstraße stehen, viel, viel stärker einbeziehen.
Welty: Es gibt eine Menge zu tun. Die chinesische Führung will eine Seidenstraße 2.0 etablieren, ein ehrgeiziges Vorhaben, über das ich mit Chinakenner Frank Sieren gesprochen habe. Herzlichen Dank dafür!
Sieren: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.