Chinas Rolle im globalen Währungsdrama

Besprochen von Martin Zähringer · 21.07.2013
Der Yuan wird den US-Dollar als Leitwährung der globalen Wirtschaft ersetzen. Diese These vertritt der China-Kenner Frank Sieren. Er argumentiert damit, dass China der größte Gläubiger der USA ist, selbst nur geringe Auslandsschulden hat, aber nach wie vor "das höchste Wachstum aller bedeutenden Länder" aufzeigt.
Der Titel des Buches kommt ganz unaufgeregt daher: "Geldmacht China - Wie der Aufstieg des Yuan Euro und Dollar schwächt". Doch das ist ein ziemliches Understatement für den gedanklichen Fluchtpunkt, dem diese Studie dann folgt: Der Yuan wird den US-Dollar nicht nur schwächen, sondern als Leitwährung der globalen Wirtschaft ersetzen. Noch ist das Zukunftsmusik, aber für den China-Kenner Frank Sieren sind die ersten Voraussetzungen unübersehbar:

"China ist Exportweltmeister, China ist die Fabrik der Welt. Das Land verfügt über die weltweit höchsten Devisenreserven, die geringsten Auslandsschulden und das höchste Wachstum aller bedeutenden Länder und ist der größte Gläubiger der USA. Fast alles spricht dafür, dass China auf diesem ungewöhnlichen Weg die Weltmacht USA im Laufe der kommenden Dekade als größte Volkswirtschaft der Welt vom Thron stößt."

Und weil die größte Weltmacht auch die Leitwährung stellt, sei es nur eine Frage der Zeit, bis der Yuan diese Funktion für die Weltwirtschaft übernimmt. Und was genau Frank Sieren den Chinesen dann prophezeit, klingt verführerisch. Hier lohnt sich ein längeres Zitat, weil es auch den derzeitigen Status Quo einer Leitwährung mitbeschreibt:

"Hat der Yuan es schließlich zur Leitwährung geschafft, kommen die Chinesen in den Genuss all der Vorteile, die bis jetzt den Amerikanern zustanden. Stellen wir uns einmal die Yuanwelt vor, stellen wir uns vor, China regiere die Welt wie heute die USA: China könnte Waren und Dienstleistungen, aber auch Fabriken und Rohstoffe mit Papiergeld kaufen, dessen Menge sie allein und kein anderer kontrolliert. Umtauschgebühren in andere Währungen werden für chinesische Händler nicht mehr nötig sein, sie hätten kein Wechselkursrisiko. Chinas Regierung würde sich auf dem internationalen Kapitalmarkt Geld zu sehr niedrigen Zinsen leihen können, da Anlagen in Yuan als relativ wertstabil und ausfallsicher gelten werden."

Ohne Konflikte würde das zwar nicht erreicht, aber Katastrophenszenarien sind Sierens Sache nicht. Im Moment steht für ihn nur eines fest: Die prekäre Außenhandelsbeziehung zwischen USA und China wird eine Hauptrolle im globalen Währungsdrama spielen. Sieren hält sogar einen Währungskrieg für möglich und geht davon aus, dass die Chinesen hierbei länger durchhalten würden. Zwar würde China dabei einen Teilverlust der Gewinne aus seinem Exportgeschäft riskieren – doch die Amerikaner wären gleich ihres kompletten Geschäftsmodells beraubt: dem Leben auf Pump, wie es der Autor lakonisch bezeichnet. Da zieht Sieren die chinesische Lösung vor.

"Die Umstellung von Waffen auf Waren im Kampf um die Vormachtstellung in der Welt ist ein beachtlicher Fortschritt. Ein Fortschritt, in dessen Zentrum die Währungspolitik rückt."

Damit ist die chinesische Währungspolitik gemeint. In Zeiten der Globalisierung kann die natürlich nicht mehr isoliert betrachtet werden, die Zeit der Abschottung ist für das Reich der Mitte vorbei. Und so findet sich in diesem Buch, wie nebenbei, ein knapper, faszinierend präziser Abriss der amerikanischen Immobilienkrise mit ihren direkten Folgen. Hin und wieder glänzt Sieren mit echten Perlen der Wirtschaftsprosa. Nicht ganz so glänzend, aber solide und informativ, ist ein Kapitel zur Geschichte der Weltwährungen.

Für die chinesische Seite lässt sich der Autor etwas Besonders einfallen: Er beschreibt den Lernprozess der Chinesen selbst, die sich strategisch, mit langem Atem, aus ihrer weltpolitischen Zurückhaltung lösen. Den aus seiner Sicht entscheidenden Akt hat Frank Sieren auf dem Parteitag im Jahr 2012 selbst erlebt. Er zitiert den damaligen Staats- und Parteichef Hu Jintao:

"Es gilt, die Reformen des Finanzwesens zu vertiefen, ein modernes Finanzsystem zu entwickeln, das die makroökonische Stabilität fördert und der Entwicklung der Realwirtschaft nützt, einen vielschichtigen Kapitalmarkt zu entwickeln, marktorientierte Reformen des Zinssatzes und des Wechselkurses festen Schrittes voranzutreiben und die Konvertierbarkeit des Renminbi schrittweise zu verwirklichen."

Für Frank Sieren ist das eine währungsgeschichtliche Revolution. Falls und wenn diese Worte zu Taten werden, dann wird der Yuan seine neue Rolle von allein finden: in weiten Teilen der Erde akzeptiert, von vielen Ländern zum Handeln genutzt, Basis für die internationalen Rohstoffpreise, etwa für Öl oder Sojabohnen. Der Yuan läge dann in den Zentralbanken der Staaten und wäre die neue Reservewährung der Welt.

"Weltwährung im Aufbau" heißt deshalb auch ein entscheidendes Kapitel. Hier erklärt der Autor, wie der Yuan zur Internationalisierung gezwungen wird. Denn wenn China in der Weltwirtschaft konkurrenzfähig bleiben wolle, so Sieren, dann müsse es danach streben, den Yuan zur Handelswährung, zur Reservewährung und zur Kreditwährung zu machen. Zumal der Bedeutungsverfall des US-Dollars durch die Schuldenpolitik der Amerikaner unübersehbar geworden sei. Und das gelte jetzt auch für den Euro, der durch das innereuropäische Schuldenmanagement an Vertrauen einbüßt.

Insoweit wäre die vertiefte chinesische Finanzreform durchaus eine Chance – wenn sie kein Papiertiger ist. Sieren beschreibt die finanz- und wirtschaftspolitischen Operationen der Chinesen einmal mehr genau und mit profunder Einsicht. Er ist den makroökonomischen Konzepten dicht auf der Spur, bringt aber etwas zu viel finanzkapitalistische Logik in die Interpretation. Und an unauffälliger Stelle konstatiert er dann selbst:

"Eines zeichnet sich ab: Der große Wurf, nämlich die Öffnung und Modernisierung der Finanzmärkte in China selbst, die bis jetzt durch zahlreiche Schranken vom Finanzplatz Hongkong und der übrigen Außenwelt abgeschirmt ist, wird wohl zunächst ausbleiben."

Aber Sieren glaubt, die Richtung stimmt. So sei vor drei Jahren nicht einmal ein Prozent des chinesischen Außenhandels in Yuan abgerechnet worden, vor zwei Jahren waren es schon mehr als zehn Prozent. Und im Jahr 2015 werden es 50 Prozent sein. Das ist zwar lediglich eine Schätzung, eine Vermutung. Aber Vermutungen sind unverzichtbar im Genre des Wirtschaftssachbuchs, denn die Wege der Weltwirtschaft sind oft unberechenbar. Und deshalb bleibt es verzeihlich, dass Sieren uns eine Frage nicht beantworten mag: Wie und wo genau der Yuan den Dollar und den Euro schwächt.

Frank Sieren "Geldmacht China"
Frank Sieren "Geldmacht China"© Promo
Frank Sieren: Geldmacht China - Wie der Aufstieg des Yuan Euro und Dollar schwächt
Hanser Verlag, München 2013
286 Seiten, 19,90 Euro