Die ersten Länder sprechen von Völkermord
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Seit Jahren wird China vorgeworfen, die Uiguren systematisch zu unterdrücken. Das niederländische Parlament spricht jetzt von „Völkermord“. Es gebe einen besseren Begriff, sagt der Sinologe Björn Alpermann und fordert gezielte Sanktionen.
Viele Regierungen tun sich schwer damit, die richtigen Worte zu finden, wenn es um die Lage der Uiguren in China geht. So deutlich wie das niederländische Parlament hat es bisher noch kein Land in Europa formuliert: Chinas Umgang mit den Uiguren sei "Völkermord". Die Mehrheit des niederländischen Parlaments hat nun eine entsprechende Resolution angenommen.
Der Grund: Rund eine Million Uiguren soll in der chinesischen Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas in Lagern festgehalten werden. Die Angehörigen der muslimischen Minderheit sind dort massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dabei geht es zum Beispiel um Zwangsarbeit und massenhafte Zwangssterilisationen uigurischer Frauen, wie die Untersuchungen des deutschen Anthropologen Adrian Senz zeigen.
Geheim gehaltene "Bildungszentren"
Die sogenannten "China Cables", eine internationale investigative Recherche, hat im November 2019 auf die von der chinesischen Regierung geheim gehaltenen Lager aufmerksam gemacht. An der Recherche waren unter anderem NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" beteiligt.
Die chinesische Regierung nennt die Lager "Bildungszentren". Und den Entschluss des niederländischen Parlaments, den Begriff "Völkermord" zu verwenden, bezeichnet die chinesische Botschaft in Den Haag als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas.
Schon am Montag hatte das kanadische Unterhaus Chinas Vorgehen gegen die Uiguren in der Region Xinjiang als Genozid eingestuft. Auch der US-Außenminister Antony Blinkon hat das Wort "Genozid" bereits gebraucht. Aber trifft es dieser Begriff genau?
"Kultureller Genozid" – der genauere Begriff?
Björn Alpermann ist Professor für Chinaforschung der Gegenwart an der Universität Würzburg und hält "Genozid" beziehungsweise "Völkermord" nicht für einen passenden Begriff. Denn der Begriff bezeichne völkerrechtlich die Vernichtung einer Menschengruppe, die ethnisch oder religiös definiert sei. "Das sehe ich im Moment in Xinjiang noch nicht belegt."
Die Zwangssterilisationenen seien zwar "grauenvoll", allerdings müsse man zum Kontext auch wissen, dass für die Mehrheit der Han-Chinesen 35 Jahre lang im Rahmen der Ein-Kind-Politik striktere Regeln gegolten haben, "die mit genau derselben Grausamkeit und Konsequenz durchgesetzt wurden", sagt Alpermann:
"Insofern halte ich es für schwierig, diese Vernichtungsabsicht in physischer Form hinreichend zu belegen. Aber ich finde es absolut belegbar, dass man von 'kulturellem Genozid' sprechen kann. Denn nach all den Berichten, die uns vorliegen, geht es darum, die Wesensmerkmale der Uigurischen ethnischen Identität auszulöschen", sie zum Beispiel vom Islam hin zu einer säkularen Gesellschaft hin zu treiben, ergänzt Alpermann – "und dann die Kultur zu überschreiben mit der Han-chinesischen Kultur".
Der Begriff "Völkermord" könnte entwertet werden
Der Begriff "Genozid" könnte zudem entwertet werden, wenn man ihn zu leichtfertig auf eine Stufe stelle mit dem Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama, den Juden und den Sinti und Roma.
Bei der Frage nach den Konsequenzen komme es darauf an, von welchen Sanktionen gegenüber China man spreche. Breite Handelsbeschränkungen hätten bisher nicht einmal die USA beschlossen. Sie seien auch in der deutschen und europäischen Politik derzeit nicht realisierbar.
"Realistischer wären gezielte Maßnahmen gegen Firmen, die zum Beispiel Überwachungstechnologie nach Xinjiang liefern", meint Alpermann. Ebenso wie Maßnahmen gegen bestimmte verantwortliche Personen und Kader.
Den Olympischen Spielen fernbleiben
"Was ich für eine relativ problemlose, aber symbolisch hochgradig wirksame Maßnahme halten würde, wäre zum Beispiel, von Regierungen anzukündigen, dass sie den Olympischen Winterspielen in Peking fernbleiben werden", sagt Alpermann.
Deutsche Unternehmen wie VW, die einen großen Absatzmarkt und eigene Werke in China haben, seien bisher nicht dafür bekannt, von sich aus China die Stirn zu bieten und zum Beispiel anzukündigen, sich zurückzuziehen, sagt Alpermann. Da müsste von anderer Seite Druck auf diese Unternehmen ausgeübt werden, ihre wirtschaftlichen Interessen zurückzustellen – zu Gunsten der Menschenrechte: "Wenn eine Firma wie VW das dann wirklich durchziehen würde, hätte das eine unglaubliche Signalwirkung."
(sed)