Chinesen lassen Hunsrück boomen
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Ein chinesisch-deutsches Ehepaar hat ein altes Kasernenviertel zu einem Wohn- und Handelszentrum für Chinesen umgebaut. 1.000 Kleinunternehmer aus dem Reich der Mitte leben dort und exportieren allerlei, von Industriewerkzeug bis Kindergarten-Pädagogik.
Sich mit chinesischen Unternehmern in Hoppstädten-Weiersbach zu verabreden – schwierig: Bei der Recherche stößt man auf chinesisch-sprachige Internetseiten und chinesische Telefonnummern, Mail-Anfragen bleiben unbeantwortet, deutsche Telefonanschlüsse tot. Doch das spricht nicht gegen die Seriosität der Unternehmen. Viele Gründer können noch kein Deutsch, betreiben ihre Handelsfirmen allein und pendeln zwischen dem Hunsrück und Saarbrücken, Paris, Genua, Peking und Shenzen.
"I have a business… Ich habe hier ein Geschäft, ich handle mit elektronischen Komponenten, ich kaufe deutsche und führe sie nach China aus, zuweilen kaufe ich auch chinesische und verkaufe sie in Deutschland", sagt Michael.
Chinesische Namen im alten US-Kasernenviertel
Dass sich junge Chinesen mit englischen Vornamen vorstellen: Üblich. Sie wollen die ungelenken Sprechwerkzeuge der Deutschen nicht strapazieren. Michael ist aus einem der sanierten Gebäude im ehemaligen US-Kasernenviertel zum Parkplatz vorm Haus geeilt. Oak Garden, Eichengarten, heißt das baumreiche Quartier mit den gelb und Terrakotta-rot getünchten Blöcken an zwei Straßenzügen. Bis Mitte der 1990er Jahre schoben US-Soldaten mit Maschinenpistolen an der Zufahrt Wache, nun wird hier deutsch, europäisch und chinesisch geflaggt. Wo einst die Army-Beschäftigten wohnten, stehen chinesische Namen auf Türschildern oder losen Zetteln.
Michael Dietz, China-Kenner und Wirtschaftsförderer des Landkreises Birkenfeld, erläutert: "Unternehmen, die aufgelöst worden sind oder weggegangen sind, sind durch andere ersetzt worden. Sprich: Das System trägt sich durch dieses typische chinesische Geschäftssystem, dass für ein wegbrechendes Unternehmen ein anderes Unternehmen kommt."
Hinter manchen gardinenlosen Fenstern in Oak Garden stehen Kartonstapel. Viele Chinesen betreiben Handel von der eigenen Wohnung aus. Als Familienbetrieb oder mit ein, zwei Beschäftigten. 280 Firmen mit chinesischen Eigentümern registriert die Verbandsgemeinde Birkenfeld – Bürgermeister Bernhard Alscher kommentiert: "Wir sind natürlich froh über diese Handelsfirmen, wir merken das an den Gewerbesteuereinnahmen." Fast eine halbe Million Euro im Jahr. Der Verbandsgemeinde gehen schon die Bau-Grundstücke und Kita-Plätze aus.
Es begann mit einem chinesisch-deutschen Paar
Ein chinesisch-deutsches Ehepaar hat diesen Boom ausgelöst. 2011 begannen die Geschäftsleute Jane Hou und Andreas Scholz, die verlassene Militärsiedlung in ein ziviles Wohn- und Handelszentrum umzuwandeln. Hou stammt aus der 12-Millionen-Metropole Shenzen, Scholz aus Karlsruhe.
30 Millionen Euro trieben sie für Sanierung und Neubau bei deutschen und chinesischen Investoren auf. Geld, das im Baugewerbe der Region zwischen Trier und Kaiserslautern blieb. Parallel, so Andreas Scholz, warben sie Unternehmer in China an, "die sich eine neue Heimat oder ein neues Standbein in Deutschland ermöglichen wollten, und so ging es letztendlich voran."
Mittlerweile hat die Oak-Garden-Gruppe knapp 100 Mitarbeiter, den Großteil davon an chinesischen Standorten. Sie will expandieren, 500 neue Investoren aus China nach Hoppstädten-Weiersbach locken, dort neue Bürogebäude mit sogenannten "Showrooms" bauen für die gehandelten Kleinprodukte.
"Headquarter der Weltfabrik" nennt man sich, obwohl hier nichts produziert wird. Etikettenschwindel? Wirtschaftsförderer Dietz schüttelt den Kopf. "Weltfabrik" heißt die boomende Sonderwirtschaftszone am Perlflussdelta um Shenzen und Hongkong: "Dort wurde der Reichtum Chinas generiert. Die Reminiszenz ‚Headquarter der Weltfabrik‘ ist eine klassische chinesische Übertreibung aus unserer Sicht, für Chinesen ist das ein Anspruch auf das, was man erreichen will."
200.000 Euro Eintrittsgeld
Die Oak-Garden-Chefs Hou und Scholz vertrauen auf die anhaltende Aufbruchsstimmung und solide Kapitalausstattung ausreisewilliger Chinesen. Die müssen 200.000 Euro mitbringen und ihren Geschäftsplan von der Industrie- und Handelskammer prüfen lassen. Dann dürfen sie sich mit einem befristeten Visum in Deutschland selbständig machen – und werden nach einem Jahr erneut geprüft. All das ist kein Hindernis für aufstrebende Unternehmer aus der Volksrepublik, weiß Andreas Scholz.
"Der Deutsche ist mal eher der Bedenkenträger, der, wenn eine neue Idee aufkommt, erst mal guckt, wo könnten Probleme entstehen. Und die Chinesen machen, gehen heran, auf Kosten einer gewissen Genauigkeit. Dafür hat der Chinese die Fähigkeit, aufkommende Probleme einfach anzugehen, weniger zu hadern. Wenn du in China eine Geschäftsidee hast, musst du es sofort machen, sonst macht es ein anderer oder die Chance ist nicht mehr da."
Individuelle Investition oder großer Plan?
Auf fremdenfeindliche Reaktionen dürfte der deutsch-chinesische Wachstumskurs in der Region Birkenfeld nicht stoßen. Elke Raue putzt Geschäftsräume in Oak Garden und trägt soeben einen Eimer mit schmutzigen Wischmopps zum Waschen. Über die Chinesen sagt sie: "Also wenn die nit wäre, hätt‘ isch auch kei‘ Arbeit. Also, es ist schon ganz toll, wie die das alles so uffgebaut han und so."
Paketbotin Stefanie Schmeier stoppt ihren Elektro-Transporter mit Kartons in allen Größen. Dass die Chinesen in Oak Garden eingezogen sind: "Ist doch prima, ist doch toll, dann bleibt das alles belebt, ist doch schön."
Der Mainzer Verfassungsschutz soll sich aber schon erkundigt haben, ob die chinesischen Investitionen staatlich gelenkt seien. Oak Garden Teil des geostrategischen Investitions- und Infrastrukturprojekts "Neue Seidenstraße" der chinesischen Regierung? Gewiss nicht, wehrt Wirtschaftsförderer Dietz ab.
"Dazu sind die Menschen viel zu stark als einzelne Individuen zu erkennen, und ihre Tätigkeit hat auch nichts mit einem Plan zu tun, eine Brücke, eine Eisenbahn, einen Hafen zu bauen. Das Hauptinteresse ist, deutsche Produkte nach China zu exportieren."
Dass sich Schmuckhersteller, Winzer und andere einheimische Kleinbetriebe den neuen Großhändlern offensiver anpreisen, wünscht sich Verbandsgemeinde-Bürgermeister Alscher. Damit noch mehr vom Geschäft in der Region bleibt.
Aufwachsen ohne Dauerdrill
Jin Zhaou kam vor zwei Jahren mit ihrem Mann und der damals achtjährigen Tochter aus Shanghai in die Gegend an der rheinland-pfälzisch-saarländischen Grenze. Sie handelt mit Industriewerkzeug.
"Shanghai ist eine große, internationale Metropole, Birkenfeld hingegen ist sehr ländlich, aber die Natur ist sehr schön, die Luft ist sehr gesund, so dass die Kinder hier gut spielen und lernen können."
Vorzuführen, wie gut besonders Kleinkinder in Deutschland ohne Drill und verordnetes Pauken leben – auch daraus lässt sich in chinesischen Augen ein Geschäft machen. Maria Yu, Mitte dreißig, lebt seit vier Jahren in Hoppstädten-Weiersbach und hat soeben eine Teilzeit-Berufsausbildung in der örtlichen Kita begonnen.
Nebenbei bietet sie in ihrer alten Heimat eine Dienstleistung an: "Mein Mann und ich, wir haben eine Firma. Wir organisieren ein Projekt zwischen China und Deutschland. Wir laden Erzieherinnen aus China nach Deutschland zum Gucken ein, wie der Kindergarten in Deutschland funktioniert. Das ist ganz anders als in China."
Rund hundert Kinder, davon bis zu 20 chinesische pro Kindergarten-Jahr, besuchen die Kita Neubrücke in der früheren Grundschule der US-Streitkräfte. Für Chinesen eine winzige Kita – Einrichtungen mit 1.000 Kindern sind in der Volksrepublik nichts Besonderes.
Austausch mit China über Erziehung
"In China sind die Kinder wie in der Grundschule in Klassen, zum Beispiel dreijährige Kinder zusammen in einer Gruppe, vierjährige Kinder in einer Gruppe. Aber hier ist alles frei. Die Kinder können sich frei und individuell" entscheiden, meint Yu: ob sie im Bauzimmer zu den Klötzen greifen oder im Turnraum toben, ob sie mittags schlafen oder wach bleiben wollen.
All das ist in China reglementiert. Aber das Interesse von Erziehungswissenschaftlern und –fachkräften am freieren Tagesablauf und spielerischen Lernen ist riesengroß im Reich der Mitte. Das hat einen lebendigen Austausch in Gang gebracht.
"Wir sind ja auch mehrmals in China gewesen und haben dort auf nationalen und internationalen Kongressen unsere Erzieherinnen Vorträge halten lassen. Also auch dort im Bildungsbereich versuchen die Chinesen zu kopieren", berichtet Bernhard Alscher.
"Wir sind dort gern gesehen worden, und man macht sich dort im frühkindlichen Bildungswesen wirklich Gedanken in China. Die Wissenschaftler dort, die sind sehr offen und wollen es einfach genau wissen", konstatiert der Verbandsgemeinde-Bürgermeister beim Besuch der Kita Neubrücke.
Die Kita wurde selbst zum Forschungsgegenstand, denn hier konnte die Entwicklungspsychologin Heidi Keller Erziehungs- und Bildungsziele von Chinesen in Deutschland wie im Brennglas recherchieren.
Ganz nebenbei fand die Professorin in ihrer Studie viel Interessantes über die Neuansiedler heraus: Großenteils Akademiker, kommen sie aus chinesischen Millionenstädten oft erstmals ins Ausland. Die Familien schätzen die gute Luft, das saubere Wasser und die Naturerlebnisse in der Region Hunsrück-Hochwald mit ihrem Nationalpark.
Flucht vor dem chinesischen Bildungssystem
Neben geschäftlichen Motiven, China zu verlassen, gaben befragte Frauen an, dem restriktiven chinesischen Bildungssystem entkommen und den Kindern mehr Freiheiten sichern zu wollen. Denn: "Um in die Grundschule aufgenommen zu werden, müssen sie schon viele Schriftzeichen beherrschen. Die Kinder müssen viel auswendig lernen. Politischer Unterricht ist schon für die Kleinen verpflichtend", schreibt Professorin Keller in ihrer Studie.
Weiter heißt es dort: "Drill, permanente Prüfungsorientierung und ein unflexibles Bildungssystem mit einem Fokus auf naturwissenschaftlicher und politischer Bildung wird von vielen Familien als einseitig bewertet. Der Leistungsdruck ist so groß, dass die Familien die Wochenenden meist damit verbringen, mit dem Kind zu lernen oder selbst an häuslichen Aufgaben des Kindes mit zu arbeiten, so dass das Kind am Montag die beste Arbeit präsentieren kann – das gilt bereits für den Kindergarten."
Maria Yu gehört zu den Unternehmerinnen, die sich freuen, dass ihr Kind in der deutschen Kita frei spielen durfte. In der Grundschule kommt Tochter Mia gut zurecht. Nach ihr ist die Firma der Eltern benannt.
Gemischtwarenläden sind etwas ganz Normales
Laut Branchenverzeichnis bietet das Unternehmen außer pädagogischem Austausch zwischen Deutschland und China eine unfassbare Service-Bandbreite an, nämlich: "Import und Export von Maschinen, Anlagen und deren Komponenten, von Kfz-Teilen und Metallwaren. Reiseberatung, Messeservice, Transportdienstleistungen aller Art, Lebensmittel-Großhandel, Internet-Marketing."
Damit ist die Mia Gu GmbH keine Ausnahme. Hierzulande wirkt solch ein Gemischtwarenladen wenig seriös. In Asien wegen besserer Absatzchancen: Völlig normal, weiß China-Kenner und Wirtschaftsförderer Michael Dietz. "Sie stehen eigentlich nie einer Branche gegenüber. Sie stehen einem Geschäftskunden gegenüber, der ihnen Schrauben verkauft, der aber auch medizinische Produkte hat, und gegebenenfalls Mineralwasser oder Bier anbieten kann."
Oak Garden ist ein junges Geschäftsviertel. Den Anschluss an die Zukunft sichern außerdem die Kontakte zum Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier mit den chinesischen Studierenden dort. Der Campus liegt direkt neben dem Oak Garden. Eric hat sich das Deutsche in Rekordzeit angeeignet:
"Als ich in China war, habe ich schon ein Jahr gelernt, und ich habe auch in Deutschland ein Jahr gelernt."
Als sogenannter Freshman erwarb der 20-Jährige am Umwelt-Campus durch Zusatzkurse unter anderem in Technik, Physik und Mathe seine Studienzugangsberechtigung, das chinesische Abitur allein reicht nämlich nicht.
"Ich studiere angewandte Informatik am Campus. Das läuft sehr gut und das gefällt mir sehr. Ich mag Programmierung, deswegen habe ich angewandte Informatik ausgewählt."
Neugier auf den Westen
Nebenbei hat der Bachelor-Student einen Minijob beim International Congress Center Neubrücke. Das ICCN gehört zur Oak Garden-Gruppe, die das anderthalbjährige sogenannte Freshmen-Programm organisiert und Anfang des Jahres auch ein Studenten-Wohnheim fertigstellte. Erics Aufgaben:
"Ich arbeite gerade zu übersetzen und ich helfe den Freshmen-Studenten, ihr Freshmen-Programm zu erledigen, ich bin einfach Unterstützer."
Fremdsprachen und moderne deutsche Technik mag Eric, aber als wichtigsten Grund fürs Auslandsstudium nennt der angehende Informatiker aus der Inneren Mongolei: "Ich mich möchte mit eigenen Augen die Welt angucken, nicht nur in China im Fernsehen oder in den Zeitungen die westliche Welt sehen, deswegen komme ich nach Deutschland."
Junge Chinesen, die als Studierende oder Geschäftsleute vorurteilsfrei die westliche Welt erkunden – der eigentliche Schatz von Oak Garden. Der Umwelt-Campus Birkenfeld beteiligt sich daran, ihn zu heben. Geplant ist, einen Doppel-Bachelor-Studiengang gemeinsam mit einer chinesischen Uni aufzulegen, so Peter Heck vom Institut für angewandtes Stoffstrommanagement IfaS.
Zusammenarbeit als Versprechen auf die Zukunft
Über die chinesischen Studierenden, die schon da sind und mehr werden sollen, sagt der Professor für Umweltwirtschaft und IfaS-Chef: "Wir können mit ihnen Bildung machen, wir können mit ihnen aber auch über Projekte in China sprechen, den gesamten südostasiatischen Raum sprechen. Und das ist wie ein Geschenk, mit dem wir sehr sorgfältig umgehen müssen."
Michael Knaus reist regelmäßig nach China, um dort Studierende für den Umwelt-Campus anzuwerben. Welche Projekte dabei künftig im Vordergrund stehen könnten, beschreibt der Dozent so: "In Wind-, in Solar- und in Wasserkraft sind chinesische Hersteller die Weltmarktführer. Das heißt, China an sich ist auch ein gigantischer Nachfragemarkt nach Umwelttechnik und unternimmt immer, immer mehr - braucht aber auch geeignetes Personal in Provinzen, in Führungen, in Unternehmen, die diese Politikvorgaben auch umsetzen können. Und dafür ist es auch spannend, dass wir unseren Blick nach China richten, wenn wir hier junge Menschen in Umweltpolitik ausbilden, weil wir dann den Export von Umwelt-Technologie made in Germany mit Bildung kombinieren können."