Zeichen der eigenen Identität
Sie sind Inbegriff der chinesischen Kultur – die Schriftzeichen. Auch Gegenwartskünstler beschäftigen sich mit ihnen. Die Ausstellung "Secret Signs" in der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg zeigt Arbeiten aus den vergangenen 30 Jahren.
Man steht in einer fremden Welt. Auf vier Stockwerken sieht man erst einmal nichts als chinesische Schriftzeichen: Mal grob gemalt oder fein getuscht. Mal auf riesigen Formaten oder auf ganz kleinem. Mal bestehen sie aus einem zerbrochenen Bambusrohr, oder tauchen in einem Video auf als ironische Anleitung zu meditativer Kalligraphie.
Luckow: "Es ist schon eine harte Nuss, das würde ich auch sagen. Also wenn man jetzt das Ganze so ausschließlich an der Schrift aufhängt ..."
Bekennt Kurator Dirk Luckow - um gleich anzufügen:
"Andererseits spielt ja das Bildnerische eine irrsinnige Rolle. Das Historische ist auch immer mit erklärt. Und gleichzeitig ist eine ungeheure Experimentierfreudigkeit hier unter den Künstlern. ... Es ist eher so, dass diese Ausstellung Lust macht, einmal dieses geheimnisvolle Schriftuniversum zu entdecken."
Damit hat eine Museumsausstellung über chinesische Gegenwartskunst endlich einmal den Mut, sperrig zu sein und fremd zu bleiben, und auf eigens für den Westen entstandene bunte Mao-Figuren oder platt regimekritische Installationen zu verzichten. Das Erstaunliche daran ist: Die Leihgaben stammen von eben dem Sammler, der in Europa die Vorstellung von einer bunt-poppigen chinesischen Gegenwartskunst maßgeblich durchsetzte: dem Schweizer Uli Sigg. Und der betont:
Sigg: "Die Ausstellungen, die Teile meiner Sammlung zeigen, und die Sammlung selbst, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Sammlung war immer da. Ich hab sie als eine Fülle von Material gesehen, aus der man beliebige Ausstellungen konstruieren kann - eigentlich nur begrenzt durch das Vorstellungsvermögen der Kuratoren."
Dirk Luckow nutzte die Chance und sorgt nun für eine wohltuend „harte Nuss": Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler greifen die Schrift auf, um mit ihr in Zeichnungen, Malerei, Installationen, Fotografien und Videos gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme zu thematisieren. Oft geschieht das ironisch: Eine Rauminstallation mit blühenden Plastik-Kirschbäumen und einer Holzbrücke etwa persifliert eine Idylle, die es längst nicht mehr gibt, die aber immer noch in einer Flut auf Rollbildern und in Gedichten beschworen wird - und die nun als zerknülltes Papier unter der Brücke hervorquillt.
Luckow: "Sie blicken auf ihre eigene Kultur zurück. Und das markiert eine Wende in der Gegenwartskunst Chinas. Und das finde ich interessant, dass sie auch unter dem Eindruck der Dynamisierung und Globalisierung Chinas, und dass China auch im Begriff ist, gewisse kulturelle Wurzeln zu verlieren in diesem Prozess, die Künstler jetzt doch wieder auf das blicken, woher sie kommen, und womit ihre eigene Identität zu tun hat."
Eigenen künstlerischen Wurzeln der Yangjiang Group
Eine Videoarbeit zerlegt einen Actionfilm in derartig langsame Einstellungen, dass die Kämpfer sich in kaligrafische Linien verwandeln, die elegant über drei riesige Leinwände gleiten. Andere entlarven bereits Mitte der 80er-Jahre Parteiparolen als leere Floskeln. Und Feng Mengbo versammelt auf einer langen Papierbahn Tausende Schriftzeichen in Schwarz- und Grautönen, die nur dank einer Geheimtinte sichtbar sind.
Luckow: "Der macht eine Art Verzeichnis von solchen Schriftzeichen, die durch die Computerisierung aus dem System herausgefallen sind, die es nicht mehr gibt. Ursprünglich hatte das chinesische Schriftzeichen-Universum ... 87.000 einzelne Zeichen. Das ist ein unglaublicher Reichtum, der dahinter steht. Und durch die Computerisierung ist es jetzt auf etwa 6.000 Zeichen reduziert. Und das spüren die Künstler, wenn etwas von der Vielfalt und der Kreativität und dem Vorstellungsraum .... - es wird als Verlust wahrgenommen."
So ermöglicht die ungewöhnliche Ausstellung erstmals in großem Umfang einen Blick auf chinesische Gegenwartskünstler, die sich nicht nach westlichen Kunstmoden richten, sondern sich auf ihre eigenen künstlerischen Wurzeln besinnen und daraus Neues entwickeln. Wie die jungen Künstler der Yangjiang Group, die angesichts der Entfremdung in einer kapitalistisch agierenden Gesellschaft nicht mehr an Kalligraphie als einer meditativen Einheit von Geist und Körper glauben, und deshalb eine betont grobe, fast punkig wirkende Streetart-Kalligraphie entwickeln.
Luckow: "Die wollen wirklich eine zeitgemäße Form der Kalligraphie wieder aufleben lassen, treffen sich immer, essen, besaufen sich, um Geist und Körper zu trennen. Und wenn der dann getrennt ist, dann legen die los. ... Sie rücken total davon ab, dass bedeutende historische Ereignisse damit beschreiben werden, wie es üblich war in der Geschichte. Sondern es geht um den Alltag. Also: Kalligraphie runter gebrochen auf das, was in den Zeitungen steht, was in der Straße passiert."
Was genau auf ihren Arbeiten steht? Dafür - und für alle weiteren Fragen - stehen in der Ausstellung Sinologie-Studenten zur Verfügung.