Chinesische Geschichte, aus allernächster Nachbarschaft
Der "Wang-lun" galt bis zum Erscheinen von "Berlin Alexanderplatz" als größte literarische Leistung Alfred Döblins. Wegen seiner explosiven Sprache und der faszinierenden Flut von Bildern und Motiven wurde der Roman bald nach seinem Erscheinen 1915 als bahnbrechendes Werk der Moderne eingestuft. Zum 50. Todestag des Schriftstellers ist jetzt eine neue Werkausgabe erschienen.
Alfred Döblin galt nicht nur Bertold Brecht, sondern einer beträchtlichen Anzahl von literarischen Zeitgenossen als Fundgrube fürs eigene Schreiben. Angesichts von Rang und Vielfalt des 1878 in Stettin geborenen und nach Jahrzehnten des Exils 1957 im baden-württembergischen Emmendingen verstorbenen Erzählers, Kritikers und Essayisten mag es verwundern, dass sich für viele heute nur noch ein Buch mit dem Namen Döblins verbindet: Der Roman "Berlin Alexanderplatz", 1929 erschienen, ein Klassiker der Moderne mit Millionenauflage.
Zum 50. Todestag des Schriftstellers (und lange Jahre in Berlin praktizierenden Nervenarztes) würdigen die Verlage Patmos und dtv das Schaffen Döblins mit einer neuen Werkausgabe. Im Deutschen Taschenbuch Verlag sind nun "Die drei Sprünge des Wang-lun" nach neuer kritischer Durchsicht von Handschriften und gedruckten Textversionen erschienen.
Dieser Roman, später in Vergessenheit geraten, galt bis zum Erscheinen von "Berlin Alexanderplatz" als die größte literarische Leistung des Autors. Wegen seiner explosiven, als expressionistisch klassifizierten Sprache und wegen seiner faszinierenden Flut von Bildern und Motiven wurde der "Wang-lun" bald nach seinem Erscheinen im Weltkriegsjahr 1915 als bahnbrechendes Werk der Moderne eingestuft und sicherte dem Autor Ruhm und Auflagen.
Dazu kam, dass sich Döblin mit seinem Buch, das er angeblich in nur zehn Monaten und überall, "auf der Hochbahn, in der Unfallstation zwischen zwei Nachtwachen", geschrieben hatte, einer im frühen 20. Jahrhundert grassierenden literarischen China-Mode anschloss.
Wang-lun, eine historisch verbürgte Figur, soll im späten 18. Jahrhundert einen Aufstand gegen den mächtigen Mandschu-Kaiser Kien-lung angezettelt haben und ihm schließlich selbst zum Opfer gefallen sein. Mit ebenso eindrucksvollen wie widersprüchlichen Botschaften, anknüpfend an die altchinesische Philosphie vom Wu-Wei, einer Lehre vom "Nicht-Widerstreben" gegen das Schicksal, lässt Döblin seinen Helden Macht über die Menschen gewinnen.
Es ist allemal erstaunlich, wie tief der Autor, der das Wissen zu "Wang-lun" in Bibliotheken erworben hatte, in die Geschichte Chinas einzudringen vermochte, den Roman zugleich aber immer wieder wie eine Geschichte aus allernächster Nachbarschaft zu erzählen verstand.
Doch nicht allein das macht den Reiz der Lektüre aus. Die bleibende Wirkung dürfte ebenso in einem genialen Studium des Phänomens der Masse bestehen, der komplexen Wirkungszusammenhänge von Philosophie und Revolution, der Manipulierbarkeit der Menschen und der Unberechenbarkeit ihrer Führer. "Die drei Sprünge des Wang-lun" sind auch 50 Jahre nach dem Tod ihres Autors von überraschender Aktualität.
Rezensiert von Martin Sander
Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-lun. Chinesischer Roman
Neue kritische Ausgabe von Gabriele Sander.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007, 670 Seiten, 15 Euro
Zum 50. Todestag des Schriftstellers (und lange Jahre in Berlin praktizierenden Nervenarztes) würdigen die Verlage Patmos und dtv das Schaffen Döblins mit einer neuen Werkausgabe. Im Deutschen Taschenbuch Verlag sind nun "Die drei Sprünge des Wang-lun" nach neuer kritischer Durchsicht von Handschriften und gedruckten Textversionen erschienen.
Dieser Roman, später in Vergessenheit geraten, galt bis zum Erscheinen von "Berlin Alexanderplatz" als die größte literarische Leistung des Autors. Wegen seiner explosiven, als expressionistisch klassifizierten Sprache und wegen seiner faszinierenden Flut von Bildern und Motiven wurde der "Wang-lun" bald nach seinem Erscheinen im Weltkriegsjahr 1915 als bahnbrechendes Werk der Moderne eingestuft und sicherte dem Autor Ruhm und Auflagen.
Dazu kam, dass sich Döblin mit seinem Buch, das er angeblich in nur zehn Monaten und überall, "auf der Hochbahn, in der Unfallstation zwischen zwei Nachtwachen", geschrieben hatte, einer im frühen 20. Jahrhundert grassierenden literarischen China-Mode anschloss.
Wang-lun, eine historisch verbürgte Figur, soll im späten 18. Jahrhundert einen Aufstand gegen den mächtigen Mandschu-Kaiser Kien-lung angezettelt haben und ihm schließlich selbst zum Opfer gefallen sein. Mit ebenso eindrucksvollen wie widersprüchlichen Botschaften, anknüpfend an die altchinesische Philosphie vom Wu-Wei, einer Lehre vom "Nicht-Widerstreben" gegen das Schicksal, lässt Döblin seinen Helden Macht über die Menschen gewinnen.
Es ist allemal erstaunlich, wie tief der Autor, der das Wissen zu "Wang-lun" in Bibliotheken erworben hatte, in die Geschichte Chinas einzudringen vermochte, den Roman zugleich aber immer wieder wie eine Geschichte aus allernächster Nachbarschaft zu erzählen verstand.
Doch nicht allein das macht den Reiz der Lektüre aus. Die bleibende Wirkung dürfte ebenso in einem genialen Studium des Phänomens der Masse bestehen, der komplexen Wirkungszusammenhänge von Philosophie und Revolution, der Manipulierbarkeit der Menschen und der Unberechenbarkeit ihrer Führer. "Die drei Sprünge des Wang-lun" sind auch 50 Jahre nach dem Tod ihres Autors von überraschender Aktualität.
Rezensiert von Martin Sander
Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-lun. Chinesischer Roman
Neue kritische Ausgabe von Gabriele Sander.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007, 670 Seiten, 15 Euro