Chinesische Heldinnen
Ihre Protagonistinnen setzen sich über gesellschaftliche Regeln hinweg und verhalten sich despektierlich gegenüber Autoritäten, erkunden neue Räume, finden zu eigenen Einsichten. Die 1952 geborene Li Ang hat die Diktatur in China noch selbst erlebt und begreift sich als dezidierte Feministin, als Tabubrecherin, wie sie sagt.
Dass Li Ang zu schockieren vermag, zumal in einer Welt, in der Frauen den Inbegriff von Zurückhaltung verkörpern sollten, leuchtet ein. Ihre Sprache kann grob und vulgär sein, drastisch und direkt, wenn sie von den männlichen Übergriffen auf Frauen schreibt, von Gewalt und Erniedrigung. Sie zeichnet Frauen als begehrende sexuelle Wesen.
Einen Roman allerdings kann man "Sichtbare Geister" kaum nennen. Das Buch besteht aus einer Aneinanderreihung von Episoden unterschiedlicher Länge, die, wie die Autorin in ihrem Nachwort schreibt, unabhängig voneinander entstanden sind.
Vermutlich finden China- oder Taiwan-Kenner bei Li Ang eine Vielzahl von Details, die einen Wiedererkennungseffekt bewirken. Wer genau liest, dem tun sich historische Dimensionen seit dem 17. Jahrhundert auf: die Spuren der europäischen Kolonialisierung etwa oder die allmähliche Zurückdrängung der Ureinwohner durch Chinesen. Für die subtilen und offensichtlichen Beherrschungsstrategien und die gezielte Ausplünderung der Insel durch das Festland findet die Autorin eindringliche Bilder. Etwa wenn eine Protagonistin im Hafen beobachtet, wie die Schiffe hoch beladen mit Fracht auslaufen, leer und höchstens mit Steinen beschwert zurückkehren. Baugeschichte, traditionelle Architektur und Stadtstrukturen lässt Li Ang lebendig werden. Ein sicherlich sinnvolles Memento in einem Land, das sich überaus rasant modernisiert hat.
Ihre Schilderungen von Schamanismus, Zauberei und rituellen Praktiken im Umgang mit Geistern wirken ebenso befremdlich wie interessant. Aspekte der japanischen Besatzung sowie das traditionelle Wertefundament der Nationalchinesen, die das Land nach der Niederlage gegen die Kommunisten übernommen haben, geraten in Li Angs Vergangenheitspanorama ebenfalls ins Visier. Und immer stehen im Zentrum dieser Betrachtungen Frauen, Opfer von barbarischen Geschlechterverhältnissen, die gewissermaßen rückwirkend zu Heldinnen gemacht werden.
Es sind Frauen, die aus ihrem vorherbestimmten Schicksal ausbrechen, sich nicht beugen und eigensinnig, experimentierfreudig und böse ihre eigenen Wege gehen, sich damit eine für sie verschlossene Welt erobern. Doch keine dieser Frauen tut dies zu Lebzeiten: Li Ang schreibt gewissermaßen Rehabilitationen nach erlittenem Leid und Unrecht. Angeregt zum Teil von Volkssagen und Erzählungen, erfindet sie diesen Toten ein neues Leben und lässt unterschiedlichste Charaktere – darunter eine übel zugerichtete Prostituierte, eine Tochter aus gutem Hause, die Selbstmord begehen musste oder eine von ihrem Mann Ermordete - als doppelgesichtige Geister weiterleben: Rache und Wut, aber auch Neugier und die Hingabe an neue, früher nicht denkbare Vorlieben prägen das zeitlose Leben in der Zwischenwelt.
Verschenkt haben Übersetzerin und Verlag jedoch, die literarischen Qualitäten des Buches für ein westliches Publikum nachvollziehbar werden zu lassen. Die im ostasiatischen Kulturraum üblichen Wiederholungen mögen im Original "schön gesagt" und den üblichen Anforderungen ans Erzählen geschuldet sein. Im Deutschen wirken sie redundant und ebenso unelegant wie die häufig recht krude Satzstellung. Der Literatur aus Taiwan ist mit diesem Mangel an Sorgfalt im Lektorat leider kein Gefallen getan, da jegliche erzählerische Finesse auf der Strecke bleibt.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Li Ang: Sichtbare Geister
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
Horlemann Verlag, Bad Honnef 2007
320 Seiten, 19, 90 Euro
Einen Roman allerdings kann man "Sichtbare Geister" kaum nennen. Das Buch besteht aus einer Aneinanderreihung von Episoden unterschiedlicher Länge, die, wie die Autorin in ihrem Nachwort schreibt, unabhängig voneinander entstanden sind.
Vermutlich finden China- oder Taiwan-Kenner bei Li Ang eine Vielzahl von Details, die einen Wiedererkennungseffekt bewirken. Wer genau liest, dem tun sich historische Dimensionen seit dem 17. Jahrhundert auf: die Spuren der europäischen Kolonialisierung etwa oder die allmähliche Zurückdrängung der Ureinwohner durch Chinesen. Für die subtilen und offensichtlichen Beherrschungsstrategien und die gezielte Ausplünderung der Insel durch das Festland findet die Autorin eindringliche Bilder. Etwa wenn eine Protagonistin im Hafen beobachtet, wie die Schiffe hoch beladen mit Fracht auslaufen, leer und höchstens mit Steinen beschwert zurückkehren. Baugeschichte, traditionelle Architektur und Stadtstrukturen lässt Li Ang lebendig werden. Ein sicherlich sinnvolles Memento in einem Land, das sich überaus rasant modernisiert hat.
Ihre Schilderungen von Schamanismus, Zauberei und rituellen Praktiken im Umgang mit Geistern wirken ebenso befremdlich wie interessant. Aspekte der japanischen Besatzung sowie das traditionelle Wertefundament der Nationalchinesen, die das Land nach der Niederlage gegen die Kommunisten übernommen haben, geraten in Li Angs Vergangenheitspanorama ebenfalls ins Visier. Und immer stehen im Zentrum dieser Betrachtungen Frauen, Opfer von barbarischen Geschlechterverhältnissen, die gewissermaßen rückwirkend zu Heldinnen gemacht werden.
Es sind Frauen, die aus ihrem vorherbestimmten Schicksal ausbrechen, sich nicht beugen und eigensinnig, experimentierfreudig und böse ihre eigenen Wege gehen, sich damit eine für sie verschlossene Welt erobern. Doch keine dieser Frauen tut dies zu Lebzeiten: Li Ang schreibt gewissermaßen Rehabilitationen nach erlittenem Leid und Unrecht. Angeregt zum Teil von Volkssagen und Erzählungen, erfindet sie diesen Toten ein neues Leben und lässt unterschiedlichste Charaktere – darunter eine übel zugerichtete Prostituierte, eine Tochter aus gutem Hause, die Selbstmord begehen musste oder eine von ihrem Mann Ermordete - als doppelgesichtige Geister weiterleben: Rache und Wut, aber auch Neugier und die Hingabe an neue, früher nicht denkbare Vorlieben prägen das zeitlose Leben in der Zwischenwelt.
Verschenkt haben Übersetzerin und Verlag jedoch, die literarischen Qualitäten des Buches für ein westliches Publikum nachvollziehbar werden zu lassen. Die im ostasiatischen Kulturraum üblichen Wiederholungen mögen im Original "schön gesagt" und den üblichen Anforderungen ans Erzählen geschuldet sein. Im Deutschen wirken sie redundant und ebenso unelegant wie die häufig recht krude Satzstellung. Der Literatur aus Taiwan ist mit diesem Mangel an Sorgfalt im Lektorat leider kein Gefallen getan, da jegliche erzählerische Finesse auf der Strecke bleibt.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Li Ang: Sichtbare Geister
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
Horlemann Verlag, Bad Honnef 2007
320 Seiten, 19, 90 Euro