Chipmangel in der Autoindustrie

Europas gefährliche Abhängigkeit

07:07 Minuten
Ein Halbleiter.
Die modernsten Halbleiter finden sich in Smartphones, Grafikkarten und Prozessoren der neuesten Generation und eben auch in Autos. © imago / Imaginechina-Tuchong
Von Alexander Budde |
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Bei Autobauern wie VW stehen derzeit viele Bänder still, weil Halbleiterchips fehlen. Der Grund: Die Hersteller in den USA und Japan können nicht genug liefern. Europa hat hier längst den Anschluss verloren.
In jedem VW-Golf, der in Wolfsburg vom Band rollt, stecken mehrere Tausend Halbleiter. Diese elektronischen Leiter sind etwa in Chips oder Sensoren verbaut, die Assistenzsysteme und Anzeigen steuern. Engpässe bei der Versorgung hat es schon früher gegeben, doch so schlimm wie derzeit war es noch nie, sagt Murat Aksel. In Wolfsburg versetzte der neue Beschaffungsvorstand der Marke Volkswagen Pkw eine eigens gegründete Arbeitsgruppe in den Krisenmodus:
"Bei der momentan 40 Mitarbeiter etwa rund um die Uhr, tagein tagaus, darum kämpfen, um die Situation letztendlich erträglich für unser Produktionsnetzwerk zu machen."


Aksel und seine Taskforce schieben die verfügbaren Bestände dorthin, wo die Bauteile am nötigsten gebraucht werden. Und müssen immer wieder auch die Bänder stoppen. Der Mutterkonzern schickte Abertausende in Kurzarbeit – im Stammwerk Wolfsburg, aber auch bei Audi in Ingolstadt und den Tochtermarken SEAT und Škoda. Konzernweit konnten mindestens 100.000 Fahrzeuge deswegen nicht produziert werden. Autokäufer müssen sich seit Monaten in Geduld üben.
Das Verständnis dafür ist dem VW-Manager Aksel längst vergangen: "Zusagen, die Sie gestern noch hatten, werden morgen wieder über den Haufen geworfen. Und das ist natürlich für uns alle eine neue Dimension, weil wir nicht mehr in unserer eigenen Industrie letztendlich die Hebel haben, sondern mit der gesamten Industrie konkurrieren."

Hiobsbotschaften für Chiphersteller

Zuletzt gab es für die Chiphersteller gleich mehrere Hiobsbotschaften: In den USA sorgte die unterbrochene Stromversorgung einiger Fertigungsstätten nach massiven Unwettern für Ausfälle. In Japan bedrohten Erdbeben und Feuer die staubreinen Labore.
Hauptgrund für die Lieferkrise ist allerdings die Corona-Pandemie. Weil Autohäuser geschlossen waren und Hersteller wie VW die Produktion im Frühjahr vergangenen Jahres zurückfuhren, waren die Chiphersteller auf Abnehmer wie Apple und Sony umgeschwenkt.
Kein Wunder, erläutert Wolfgang Weber. Er ist Vorsitzender des Branchenverbands ZVEI: "Die Investition in Kapazitäten zur Chipherstellung ist extrem kostenintensiv", sagt er. "Sie müssen ihre Kapazitäten weitgehend vollständig auslasten, um wirtschaftlich die entsprechenden Anlagen betreiben zu können. Und so haben die Chiphersteller damals geschaut, wie konnten sie die Kapazitäten anderweitig einsetzen. Und kamen da relativ schnell auf den gesamten Bereich der Unterhaltungselektronik. Denn zeitgleich, wie es beim Automobil runter ging, ging es dann, stark auch durch Homeoffice, in diesen Bereichen nach oben."

Millionen Stückzahlen bei immensen Produktionskosten

Die modernsten Halbleiter finden sich in Smartphones, Grafikkarten und Prozessoren der neuesten Generation. Hier werden die Millionen Stückzahlen verkauft, die es braucht, um die immensen Produktionskosten wieder reinzufahren. Ein Beispiel: TSMC, größter Auftragsfertiger aus Taiwan rechnet für seine nächste Fertigungsstätte mit 20 Milliarden US-Dollar an Investitionen.
So komplex wie die Produktion der winzigen Silizium-Bauteile ist die globale Wertschöpfungskette. Im südostasiatischen Raum ballt sich die Fertigung, das Chipdesign in den USA.
"Wir waren bislang immer sehr überzeugt von einer globalen Arbeitsteilung." Bundesregierung und EU-Kommission wollen die europäische Chipindustrie mit Milliarden an Fördergeldern unterstützen, um wieder zur Weltspitze aufzuschließen. ZVEI-Chef Weber begrüßt die ambitionierten Ziele: "Um auch in globalem Kontext ein Schwergewicht reinzubringen, wenn es darum geht, welche Region, was anderen anbieten kann. Dort eine gemeinsame gegenseitige Verflechtung von Abhängigkeiten aufzubauen, und trotzdem global arbeitsteilig aktiv zu bleiben, ist eigentlich volkswirtschaftlich das Beste."

Hierzulande fehlen die Abnehmer

Doch derzeit hinkt Europa weit hinterher. Auch weil sich viele Unternehmen aus der Produktion von Endgeräten wie Handys zurückgezogen haben. Damit fehlen hierzulande die Abnehmer für hochleistungsfähige Speicherchips und Prozessoren, gibt Jan-Peter Kleinhans zu bedenken. Der Halbleiterexperte forscht bei der Stiftung Neue Verantwortung (SNV), eine Berliner Denkfabrik.
"Sicherlich hat Europa in einigen Bereichen den Zug verpasst und viele Dinge verschlafen. Interessanterweise ist das bei Automotive-Halbleitern aber genau nicht der Fall. Genauso wie zum Beispiel Leistungselektronik, also die Halbleiter, die nötig sind, um ein Auto oder die Batterie von einem Handy aufzuladen", sagt er.
Allerdings fragt sich der Beobachter, wie viel Geld am Ende aller bürokratischen Prozesse bei den Unternehmen tatsächlich ankommen wird. Wettbewerber sind agiler. Jüngst wurde etwa der deutsche Chipzulieferer Siltronic von GlobalWafers aus Taiwan geschluckt.
Grundsätzlich verfolgen die Europäer den falschen Ansatz, findet Kleinhans."Wenn ich moderne Fertigung in Europa möchte, brauche ich erst mal modernes Chipdesign in Europa. Ich muss erst mal die Kunden erschaffen, die später bei einem Auftragsfertiger die Chipfertigung in Auftrag geben."

Bedarf an Halbleitern wird zunehmen

Tatsache ist, mit zunehmender Vernetzung von Fahrzeugen und Produktionsanlagen wird der Bedarf an Halbleitern in Zukunft rapide zunehmen.
VW-Chef Herbert Diess bemüht sich deshalb schon länger um mehr Know-how im eigenen Haus. Die Möglichkeiten der Halbleiter-Bausteine zu verstehen sei für die Aufholjagd auf den Konkurrenten Tesla unverzichtbar.
"Wir sehen schon, dass insbesondere beim autonomen Fahren das Design der Rechner einen großen Einfluss hat. Wir sind da nicht außen vor. Wir haben immer schon auch mitgesprochen, bei der nächsten Generation der Bildverarbeitungschips, seien sie von Mobile Eye oder Nvidia, aber wahrscheinlich müssen wir unsere Definitionskompetenz an der Stelle verbessern."
Die großen Zulieferer dürften auf absehbare Zeit weiter auf dem Trockenen sitzen. Markig kündigt Diess an, nun den direkten Draht zu Halbleiterproduzenten suchen zu wollen. "Das hatten wir bisher sehr stark den Boschs, Contis dieser Welt überlassen – das werden wir ändern!"
Unterdessen investieren Chiphersteller und Zulieferer in neue Fertigungsstätten, laut jüngsten Ankündigungen werden die Produktionskapazitäten für die begehrten Halbleiter drastisch erhöht. VW rechnet allerdings frühestens im zweiten Halbjahr mit einer spürbaren Entspannung der Staulage. Einen Teil der Produktionsausfälle will der Konzern dann in Sonderschichten nachholen.
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