Chor der Woche

Mit den Händen singen

Eine Gebärden-Sängerin bei der Probe.
Eine Gebärden-Sängerin bei der Probe. © picture alliance / dpa
Von Gerhard Richter |
Seit 2002 gelten Gebärden offiziell als eigene Sprache. In Berlin haben sich Gehörlose zusammengeschlossen, um darin zu singen - lautlos und doch ausdrucksstark.
Drei Finger zum Himmel gereckt heißt: Gott. Dann: Mit zwei Fingern etwas in die Brusttasche des Hemdes legen, ans Herz also. Etwas Kleines - eine Pflanze, einen Samen. Gott legt den Samen der Hoffnung in unser Herz. So könnte man übersetzen, was Andreas Schulz in dem Lied mit Gebärden erzählt. Er ist einer der drei Gehörlosen, die heute zur Probe gekommen sind.
"Ich mache wirklich gerne mit. Weil mir das sehr am Herzen liegt, dass der Chor möglichst lange Fortbestand hat."
Andreas Schulz ist gehörlos geboren. Hier im Gebärdenchor fühlt sich der 30jährige wohl und geborgen. Hier kann er das tun, was sonst nur Hörende können: Gemeinsam Lieder vortragen.
"Als ich noch klein war, hab ich gesehen, wie Hörende zusammen singen im Chor. Später hab ich gehört, dass es hier eine Kirche gibt, und hab mir die Gemeinde angeguckt und hab gesehen, oh, da gibt’s einen Gebärden-Chor, das fand ich spannend. Das waren tolle Gebärden. Da wollt ich mitmachen, auch zusammen mit denen auftreten, und das macht einfach Spass."
Seit acht Jahren kommt Andreas Schulz alle zwei Wochen zu den Proben in die Berliner St. Lukas Gemeinde. Manchmal treffen sich hier zehn Leute, zur Zeit sind es aber nur eine Handvoll. Trotzdem: Zu den wichtigen Festen wie Ostern, Konfirmation oder Weihnachten begleiten sie die speziellen Gottesdienste der Gehörlosen mit den Liedern in Gebärdensprache.
"Es ist heiß – eine Wüste, die Sonne brennt von oben - ein Korn im Boden. Es droht zu vertrocknen. Aber nein. Es keimt, es wächst, es treibt Blätter, eine Blüte geht auf. Die Pflanze wiegt sich im Wind."
Mit weit ausgestreckten Armen und einem Lächeln wiegt sich Andreas Schulz hin und her - als wäre er die Pflanze. Aber seine Bewegungen und Gebärden waren nicht ganz synchron zu denen der anderen, also proben sie das Lied nochmal. Dass vom Turm nebenan laut die Glocken läuten, stört sie nicht. Sie konzentrieren sich auf den Rhythmus und den Fluss der Bewegungen.
Als der Chor gegründet wurde, war die Gebärdensprache teilweise noch geächtet und so etwas wie Gebärdenpoesie völlig unbekannt, erzählt Roland Krusche. Er ist Pfarrer der Gehörlosengemeinde und hält die Gottesdienste in Gebärdensprache ab.
"Als ich meine Ausbildung machte hier in der Gemeinde, da war Chorarbeit ganz schlichte Abfolge von einfachsten Gebärden, ohne wirkliche gebärdensprachliche Poesie. Die reimten sich oft, diese Lieder, was ja für Gehörlose überhaupt kein Effekt ist. Die waren von Hörenden für Hörende gedacht, aber eben in Gebärden übersetzt."
Ein Dutzend Gebärdenchöre in Deutschland
Mittlerweile haben die Gebärdenchöre – es gibt etwa ein Dutzend in Deutschland – die Schönheit ihrer Sprache erkannt. In Workshops werden neue Lieder erarbeitet und ausgetauscht. Es gibt Kanons, Mitmachlieder, oder wellenförmige Choreografien. Einige sind zum Klassiker geworden, wie das Händelied des Frankfurter Gebärdenchores:
"Und da werden immer drei Begriffe gezeigt, was man mit Händen machen kann, immer mit derselben Handform. Unterschiedliche Bewegungen, aber die Handform bleibt gleich. Immer drei positive, drei negative, so wechselt sich das Lied ab. Das war so das erste, jedenfalls was ich kenne, wo man gesagt hat, wir nehmen die Ideen der Gebärdensprache auf und setzen die poetisch um."
Gerade die Kirchen mit ihren Gemeinden nur für Gehörlose fördern die Chöre, veranstalten Workshops für die Mitglieder, sammeln Literatur. Es gibt einen Ordner mit 50 Gebärdenliedern. Der Chor der evangelischen Gehörlosen-Gemeinde Berlin hat 30 davon im Repertoire. Früher trat der Chor in schlichtem schwarz auf, seit kurzem tragen sie ganz selbstbewusst glänzende lila Hemden für ihre stillen Auftritte.
"Wir sind schon bei Kirchentagen aufgetreten, in Altersheimen, bei der Landesgartenschau oder beim Gebärdensprachfestival."
Gebärdet Wolfgang Mescher, der Chorleiter und zeigt stolz einen Pokal. Dritter Platz beim Gebärdensprachfestival. Der Tischler leitet den Chor und kreiert auch mal eigene Lieder. Die Ballade vom Holzfäller und vom Bauern zum Beispiel:
"Jeder lebt auf einer Seite eines Grabens. Der Bauer und der Holzfäller. Mal tauschen sie Holz und Essen, mal streiten sich darum. Mal bauen sie eine Brücke über den Graben, mal reißen sie sie wieder ein. Erst in Notzeiten vertragen sie sich wieder."
Eine ausufernde Geschichte, aus purer Lust am Erzählen. Alles in Gebärden und Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Gehörlosen, findet Roland Krusche:
"Die haben ja erst vor ein paar Jahren entdeckt, was sie sind, mit ihrer Sprache. Mit einem mal wurde klar: Wir sind gar nicht minderbemittelt und können gar nicht richtig sprechen. Wir können sprechen!"
Und haben sogar eine wunderschöne Sprache: Eine ästhetische Sprache, ne tolle, eindrucksvolle, starke Sprache, die auch Ausdrucksmöglichkeiten hat, die unsere Lautsprache nicht so hat. Ja!
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