Chor der Woche

Singen ohne Kehlkopf

Von Gerhard Richter |
Weil ihre Stimme für viele Menschen ungewohnt klingt, ziehen sich operierte Kehlkopfkrebspatienten oft zurück. Ganz anders die "Hohlkehlchen", der erste Chor in Deutschland, in dem nur Menschen sind, die keinen Kehlkopf mehr haben.
"Es gibt immer wieder Menschen, die frisch operiert sind, die glauben, ihr Leben wäre zu Ende, weil sie keine Stimme mehr haben. Und diesen Menschen wollen wir erst mal Mut machen."
Die meisten im Chor tragen ein dezentes Halstuch. Das verdeckt ein Loch im Hals, dort wo der Kehlkopf war. Beim Sprechen oder Singen müssen sich alle dieses Loch mit dem Finger zuhalten, erklärt Wilfried Jarchow.
"Die Luftröhre endet ja hier, wo ich den Zeigefinger hab. Und von da aus geht ein Ventil in den Rachenraum. Und wenn ich hier draufdrücke, presse ich die Atemluft durch das Ventil in den Rachen. Und damit sprechen wir."
Eine Art Rasierapparat als Sprechhilfe
Diese Art zu sprechen mussten alle mühsam lernen. Manche benutzen auch eine Art Rülpssprache, bei der sie Luft in den Magen drücken und zum Sprechen durch die Speiseröhre wieder entweichen lassen. Einer aus dem Chor – Rolf Geisler – hält sich eine Art Rasierapparat oder Vibrator an die Wange. Dessen Schwingungen erzeugen einen Ton in der Mundhöhle, den er modulieren kann:
"Ich kann laut und leise. Ich hab zwei Knöpfe. Und dann kann man die unterschiedlich laut stellen. Und wenn ich mich bemerkbar machen will."
Sie nennen sich die Kekolos, die Kehlkopflosen. Beim Singen nutzt jeder die Stimme, die er kann.
In der Mitte steht Burkhard Schäfer. Im Frühjahr 2012 bekommt der selbstständige Rohrreiniger Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und ist heiser. Die üblichen Bonbons und Tabletten helfen nicht. Im Juni 2012 bekommt er die Diagnose: Kehlkopfkrebs. Zehn Tage später wird er schon operiert. Kehlkopf und Stimmbänder werden entfernt, ein Ventil wird eingesetzt.
"Während des Krankenhausaufenthaltes konnte ich schon sprechen, und habe dann so aus Jux zu einer Schwester auf dem Flur – weil die so überrascht war, dass ich schon sprechen konnte –, da hab ich gesagt: Ja, Weihnachten möchte ich singen können."
Ein Mutmacherchor
Burkhard Schäfer, der wirklich überraschend schnell sprechen lernt, begeistert die Logopädin für seine Idee. Sie vermittelt ihm fünf andere Kehlkopflose. Zusammen lernen sie ein Lied und singen beim Stimmseminar in Olpe vor den Frischoperierten.
Und die Reaktionen, die dann kamen von den Betroffenen ... Da liefen die Tränen die Wangen runter. Dann haben wir uns angeguckt – und dann waren die Hohlkehlchen gegründet.
Seitdem sind 13 Sängerinnen und Sänger als Mutmachchor unterwegs – als überzeugendes Beispiel gegen die Isolation. Da spielt es keine Rolle, dass das Singen im rein musikalischen Sinn nur bedingt funktioniert.
Manfred Hölting: "Aufgrund unserer Situation als Kehlkopflose, haben wir das Problem, nur innerhalb eines geringen Tonumfanges singen zu können. Das heißt, dass wir innerhalb der gleichen Tonhöhe bleiben."
Außerdem haben alle ein Problem mit der Luft. Die Strophen dürfen nicht zu lang sein, zwischen den Phrasen brauchen sie lange Atempausen, und die Lieder dürfen nicht zu hoch sein.
Hölting: "Je höher wir dabei singen, umso höher müssen wir die Luft komprimieren. Das heißt, wir haben einen höheren Sauerstoffbedarf und dadurch Luftnot."
Manche fahren mehr als 100 Kilometer zu den Proben
Trotz dieser Einschränkungen sind die Hohlkehlchen sehr gefragt, vor allem in medizinischen Kreisen oder bei Betroffenen. Sie singen auf Ärztekongressen, bei Stimmseminaren. Zehn Auftritte pro Jahr bis jetzt, Tendenz steigend.
Nach zwei, drei Liedern müssen sie immer mal Pause machen, zum Durchatmen. Dann übernimmt Monika Schade – während die anderen Luft schöpfen – die Ansagen und erzählt, warum es den Chor gibt und dass es sich lohnt, zu kämpfen. Vor allem, wenn der Krebs wiederkommt.
"Wenn's kommt, muss ich wieder kämpfen, nach vorne gucken. Entweder steckt man den Kopf in den Sand, dann tut mir der Nacken weh. Also guckt man nach vorn. Und ich will Leute noch länger ärgern ..."
Die anderen applaudieren. Zusammen zu singen gibt einen unglaublichen Halt. Auch wenn es alle Kräfte fordert. Manche der 13 Sängerinnen und Sänger fahren über 100 Kilometer zu den wöchentlichen Proben nach Siegen. Andere Frischoperierte kommen hierher, obwohl sie noch kein Wort sprechen können. Nur um dabei zu sein und zuzuhören.
Die Hohlkehlchen sind mehr als ein Chor. Sie sind ein Rettungsboot, das Halt gibt und Hoffnung.
Thea Wesener: "Für uns geht's hauptsächlich drum, dass wir den Leuten zeigen, dass es geht. Dass das Leben weiter geht."
Deutschlandradio Kultur stellt jeden Freitag um 10:50 Uhr im "Profil" Laienchöre aus der ganzen Republik vor. Im "Chor der Woche" stehen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes, jeden Alters, jeder Formation und Größe oder Stilrichtung, seien sie Mitglied eines Chorverbands oder auch nicht.
Mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Chorverbands