Choräle oder doch lieber neue geistliche Lieder?

Von Ita Niehaus |
Die Erfahrungen mit dem Gesang im Gottesdienst sind sehr unterschiedlich. Die einen sagen, alles wunderbar. Die anderen klagen, dass sich in ihrer Gemeinde immer weniger Gläubige trauen, in den Gesang der Kirchenlieder einzusteigen. Die liturgische Konferenz der EKD hat nun eine empirische Studie zum Thema "Singen im Gottesdienst" an der Universität Paderborn in Auftrag gegeben.
Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke: "Wir waren überrascht über so viele Menschen, die sich daran beteiligten und dass das, was wir alle schon geahnt haben, durch diese Studie auch bestätigt wurde: Die Ausdifferenzierung. Jeder hat einen eigenen Musikgeschmack und möchte den auch irgendwie im Gottesdienst wiedererkennen, nicht hundertprozentig , aber ein bisschen davon muss da sein."

Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke von der Universität Paderborn untersuchte gemeinsam mit Professor Heiner Gembris den Gemeindegesang im evangelischen Gottesdienst. Rund 4600 Gottesdienstbesucher machten mit bei der nicht repräsentativen Studie. Es gibt große Unterschiede zwischen den Generationen, stellten die Wissenschaftler fest. Die Älteren bevorzugen traditionelle Kirchenlieder und Choräle, die Jüngeren neue geistliche Lieder - Rock, Pop und Gospel.

Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke: "Der 13-Jährige will, dass seine Musik im Gottesdienst auch eine Rolle spielt, findet das mit den Chorälen aber gar nicht so doof. Die 70-Jährigen haben wie alle anderen auch die Atmosphäre, den Klang als oberste Kategorie. Ja und die 44-Jährigen, bei denen liegen alle drei Musikstile, die Klassik, der Pop, aber auch das fremdsprachige Lied, der Jazz sozusagen gleich auf. Und es wird sehr spannend sein, zu überlegen, was mit dieser Generation passiert. Also wenn ich mal 80 bin, wird sich mein Musikgeschmack nicht geändert haben, aber das bedeutet eine Revolution für die Kirchenmusik."

Das heißt, wer als Dreissigjähriger mit Sakro-Rock und -Pop sozialisiert ist, mag solche Töne auch mit 80 im Kirchenschiff. Auch überraschend: Die Motivation im Gottesdienst zu singen, ist höher als erwartet. Die große Mehrheit der Kirchgänger singt immer mit im Gottesdienst. Für Harald Schroeter-Wittke kein Widerspruch zu den Klagen über die Qualität des Gemeindegesangs.

Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke: "Das liegt vor allem daran, welche Menschen uns geantwortet haben. Ich habe selber einen Adventsgottesdienst in Bottrop besucht, und da ist deutlich geworden, dass die Menschen, die in der Kirche engagiert sind, denen es am Herzen liegt, dass ein Gottesdienst gut gestaltet wird, dass diese Menschen Interesse daran haben, an dieser Umfrage teilzunehmen."

Brigitte Rauscher: "Wir haben sehr aktiv mitgemacht, ich schätze so 350 Bögen geschickt, um einfach zu zeigen, dass gesungen wird und dass gerne gesungen wird und dass vielfältig gesungen wird."

Rahel Aude: "Man reflektiert über die eigene Musikalität, über das eigene Verhältnis zum Singen, während man so einen Fragebogen ausfüllt. Dass ich sehr gerne singe, wusste ich schon vorher. Aber ich habe erfahren, dass es doch relativ wenig gibt, was mich davon abhält, beispielsweise im Gottesdienst mitzusingen."

Gottesdienstbesucher, die wie Brigitte Rauscher und Rahel Aude von ihren stimmlichen Fähigkeiten überzeugt sind, beteiligen sich häufiger am Gemeindegesang. Eine gute Atmosphäre wirkt sich ebenfalls positiv aus. Auch das sind Ergebnisse der Studie, die von der Liturgischen Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland in Auftrag gegeben wurde. Klaus Danzeglocke, Vorsitzender des Musikausschusses der Liturgischen Konferenz:

"Mich hat gefreut, dass Musik und Klang, Melodie und auf der anderen Seite der Text, gleichwertige Partner sind im Singen. In der normalen kirchlichen Praxis ist es ja so, dass Lieder ausgesucht werden nach ihrem Text, passend zur Predigt, zum Kirchenjahr usw. Ich habe mich früher immer gefragt, warum singen die Leute immer so gerne an Weihnachten 'Stille Nacht, heilige Nacht?' Inzwischen ist mir klar, das liegt gar nicht an dem Text und dem holden Knaben, sondern an dieser herrlichen Siciliano Melodie.

Also, da tut sich doch etwas auf an Emotionalität, an Freude am Singen - das haben wir bisher geahnt, aber jetzt haben wir es schwarz auf weiß."

Klaus Danzeglocke hat jetzt verlässliche Daten als Diskussionsgrundlage. Denn: Es gibt Diskussionsbedarf, weil eine Generation heranwächst, die keine konventionelle musikalische Orientierung hat.

Klaus Danzeglocke: "Die musikalische Gestaltung des Gottesdienstes muss so pluralistisch sein, wie die Menschen unterschiedlich sind, die da hin kommen. Es kann kein Monopol mehr geben in der Kirchenmusik und nicht im Gottesdienst, sondern Vielfältigkeit ist angesagt."
Brigitte Rauscher: "Es ist nicht nur die Frage, dass die Vielfalt in der Ausbildung der Kirchenmusiker berücksichtigt werden muss, es ist auch zu berücksichtigen, dass der Beruf des Kirchenmusikers noch selbstverständlicher werden muss. Wir haben ja oft die Diskussion der Stellenkürzung, und wir stellen fest, singen, musikalische Aktivität in Kirchen schafft Leben und da müssen wir investieren."

Klaus Danzeglocke: "Ich empfehle, die Förderung des Singens nicht nur auf den Gottesdienst zu beschränken, sondern Singen im Gemeindeleben einen neuen Stellenwert zu geben. Kinder im Kindergarten singen auch gerne mal einen Paul Gerhard Lied, wie umgekehrt der Seniorenclub gerne ein neues geistliches Lied singt. Das ist völlig selbstverständlich und sollte dort, wo es noch nicht ist, selbstverständlich werden."