"Den Körper in den Kampf werfen"
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Das Ballett dürfe am Theater nicht das fünfte Rad am Wagen sein, fordert der Choreograf Johann Kresnik. Mit seinen Inszenierungen verfolgte der 68-er von Anfang an eine politische Mission. Bekannt ist sein Hang zu Drastik und Kunstblut.
Der Österreicher Johann Kresnik ist als junger Mann vom Werkzeugmachen zum Tanz gekommen und dort geblieben. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er es zum Solotänzer am Kölner Theater. Das versetzte seine Umgebung in Staunen. "Ich habe mit Leuten vom Bolschoi-Theater gesprochen, die damals in Köln gastierten und die sagten, das ist für sie unvorstellbar, wir studieren acht bis zehn Jahre und sind nicht an dem Punkt angekommen wie du."
Eine Kindheit in den Bergen
Er vermutet, dass das mit seiner Kindheit in den Bergen zu tun hat. "Ich musste ja als Kind viel arbeiten und die ganzen Schulwege, vielleicht war das körperlich eine Voraussetzung." Seine ersten Lebensjahre hat Johann Kresnik in schönster Erinnerung. "In meinem Kopf ist die Kindheit in den Bergen ganz toll." Dabei waren die Verhältnisse, in denen er aufwuchs, sehr einfach. "Es gab keinen Strom, es gab keine Heizung. Das musste alles selbst gemacht werden. Im Winter wurde der Bauernhof zugeschneit. Zu Fuß in die Schule habe ich drei Stunden gebraucht, zurück vier Stunden und im Winter bin ich gar nicht in die Schule gegangen."
Allerdings musste er als Junge auch ein zutiefst traumatisches Erlebnis verarbeiten: Sein Vater, ein Kommunist, wurde im Krieg von Partisanen erschossen.
Auf den großen Bühnen der Welt
Johann Kresnik, der zunächst als Solotänzer auf den großen Bühnen der Welt zu sehen war, wechselte schließlich ins Choreografie-Fach. Mit seinen Inszenierungen verfolgte der 68-er und überzeugte Linke von Anfang an eine politische Mission: "Mir ging's um die Inhalte und wenn man die Straßenbewegungen damals der Studentenbewegung 67/68 sah, da habe ich gesehen, wie diese jungen Leute, die politisch denken und eine Veränderung haben wollen, auch ihren Körper in den Kampf hauen und schmeißen. Wenn ich die Reden von Rudi Dutschke und sowas höre, da habe ich gemerkt, was für Impulse in jungen Körpern losgehen." Ihm sei klar geworden, dass "Ballett kämpfen muss, kämpfen um die Position im Theater und nicht das fünfte Rad sein darf und da fiel das Stichwort 'den Körper in den Kampf werfen'."
Seine politisch engagierten und meist sehr intensiv bis blutrünstig vorgetragenen Stücke haben den Erfinder des "choreografischen Theaters" weltweit bekannt gemacht. Kaum jemand hat so viele Uraufführungen inszeniert wie Kresnik und wohl kaum ein Choreograf hat sich mit so vielen Intendanten angelegt wie er. Am längsten arbeitete der heute 79-Jährige an den Stadttheatern in Bremen und Heidelberg*), an die er bis heute immer wieder als Gastregisseur eingeladen wird. Zur Zeit kann man in Linz eine Neuauflage seiner "Macbeth"-Inszenierung von 1988 sehen.
*) Anmerkung: Wir haben den Namen der Stadt korrigiert.