Chris Dercon

"Ich bin kein Museumsmann - ich komme vom Theater"

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Der designierte Intendant der Volksbühne Berlin Chris Dercon stellt sich am 24.04.2015 in Berlin der Presse. © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Chris Dercon im Gespräch mit Susanne Burkhardt |
Der neue Chef der Berliner Volksbühne hat sich erstmals vorgestellt: Im Roten Rathaus gab Chris Dercon bekannt, mit wem er künftig zusammen arbeiten wird. Unsere Theaterredakteurin Susanne Burkhardt sprach mit Dercon über seine Konzepte.
Susanne Burkhardt: Elisabeth Nehring über die Pläne des zukünftigen Volksbühnenchefs Chris Dercon - 2017 soll er das Haus von Frank Castorf übernehmen - ich habe ihn nach der Pressekonferenz gefragt, ob er sich denn hier in Berlin - nach all den Debatten vorab - willkommen fühlt.
Chris Dercon: Ja, absolut, aber ich kenne Berlin natürlich seit viel Längerem, und ich weiß auch, dass Berlin und die Berliner Kultur und die Debattenkultur total unterschiedlich ist von London, total unterschiedlich ist von München oder Rotterdam. Ich fühle mich sehr wohl. Ich kenne unerhört viele Architekten, die hier wohnen, ich kenne ganz viele Schriftsteller - also ich komme gern nach Berlin, und die Debatte ist, was sie ist. Ich hatte nichts anderes erwartet.
Burkhardt: Ich frage das natürlich, Sie haben es ja schon angedeutet, vor dem Hintergrund, dass so viele namhafte Regisseure sich im Vorfeld geäußert haben. Es ging gar nicht gegen Ihre Person, aber es ging immer das Wort von der Zerstörung der Volksbühne und so weiter um. Wie haben Sie das aufgefasst?
Dercon: Ich fand die Auseinandersetzung oft - ich meine, die meisten Sachen sind unerhört interessant. Sie sind nicht neu. Sie sind wirklich ganz alt. Und ich kenne mich als Theaterwissenschaftler ein bisschen aus in der Debatte über Finanzierung, über Strukturen für Theater. Nicht in Deutschland, aber in Belgien und Holland. Die Debatten sind ähnlich, und sie finden auch seit 20 Jahren statt. Und diese Debatte, die jetzt hier stattfindet, das kann man auch nachlesen bei Antje Vollmer.
Antje Vollmer hat einen sehr interessanten Text über "Deutsches Theater in Berlin" geschrieben, und dann - Fragezeichen - "Events oder Ensemble?" Das ist von 2004. Also alles, was ich hier höre in den letzten Monaten, habe ich schon gelesen bei Vollmer. Das hört man auch in Belgien, hört man auch in den Niederlanden und auch sogar in Frankreich.
"Irgendwo muss man einen Punkt setzen"
Die Debatten müssen auch geführt werden. Dass die Debatten noch immer so stringent sind, das hat mich gewundert. Und dass plötzlich diejenigen, die sich immer wieder gewundert haben über Castorf, über die Volksbühne, dass die jetzt sagen, aber bitte, das wollen wir nicht, das finde ich interessant. Man wollte Castorf, aber eigentlich wollte man es auch wieder nicht. Und das finde ich interessant. Wenn man eine Ära hat von 25 Jahren, und wenn man ein Haus aufgebaut hat wie Castorf, mit der Werkstatt, mit Bert Neumann, mit Pollesch und so weiter, und so weiter, Herbert Fritsch, dann ist natürlich - etwas kann nur kommen, wenn etwas geht. Das sagt Heiner Müller schon. Irgendwo muss man einen Punkt setzen. Das muss ich auch. In Rotterdam habe ich das gemacht, einen Punkt gesetzt, man muss auch in München einen Punkt setzen. Das gehört zu unserem Auftrag, einen Punkt setzen. Und man kann nicht ewig irgendwo bleiben, man muss wirklich nachdenken, warum ist der Punkt jetzt wichtig. Und ich bin mir sicher, dass Herr Castorf jetzt seine Arbeit auch weiter fortsetzen kann, vielleicht hoffentlich auch in die Volksbühne. Ich bin sehr gespannt.
Burkhardt: Sie werden jetzt diesen Punkt setzen ab 2017. Sie sind Theaterwissenschaftler, das haben Sie gerade gesagt, aber Sie sind ein professioneller Museumsmann. Wie stellen Sie sich eine Theaterintendanz vor?
"Ich arbeite gerne mit Kollektiven"
Dercon: Ich bin sehr, sehr gut, um mit Leuten umzugehen, ich bin sehr gut, um mit Leuten umzugehen, die sich in den Künsten auskennen, ich kann auch Leute zueinander bringen. Und ich bin ziemlich gut im Zuhören und Zusehen, darin bin ich im Trend. Und seit 30 Jahren kümmere ich mich auch ums Theater und um Tanz. So habe ich angefangen. Und es ist innerhalb eines sehr kleinen, aber sehr experimentellen und wichtigen Tanzfestivals in Leuwen, wo alle angefangen haben, Anna Frese de Keersmaeker, wo alle getanzt haben, Merce Cunningham, wo alle Musik gemacht haben, John Cage, dass ich angefangen habe, mit eine Ausstellung zu machen. Und jetzt ist es andersherum, jetzt gehe ich wieder zurück zum Theater. Und das finde ich absolut wichtig, um in meiner Karriere diese Stufe zu durchlaufen und zu sagen, ich habe angefangen mit Theater und Tanz, dann bildende Kunst - ich habe auch Filmproduktionen gemacht - jetzt habe ich eine Chance, um wieder zum Theater zu gehen. Und das bedeutet nicht, dass ich zum Theater als Museumsmann komme, ich komme zum Theater als jemand, der gern Kunst produziert und gerne mit Menschen arbeitet, die Kunst machen. Und ich arbeite gerne mit Kollektiven und mit Teams. Um einen Film zu drehen, muss man wenigstens drei sein oder zwei sein. Und dann gibt es noch den Buchhalter und den Produzenten und so weiter. Und das interessiert mich.
Ich will nicht allein arbeiten. Ich bin gerne jemand, der mit anderen Menschen, die was können, arbeitet. Und das Handwerk vom Theater, ob es jetzt Schauspiel ist oder Dramaturgie, oder dass es jetzt die Werkstätten sind, das ist etwas, was mich unglaublich anzieht. Ich mache gerne Sachen mit anderen Menschen, ich arbeite gerne mit anderen Menschen, und ich sehr ganz gern, wenn Menschen zu vielen etwas zusammen machen.
Burkhardt: Sie haben vorhin gesagt, dass nicht das Theater gerettet oder geheilt werden muss, sondern die Bildende Kunst. Was meinten Sie damit? Und dass das Theater dabei helfen könnte.
Die Gesellschaft braucht das Theater
Dercon: Ich komme von der bildenden Kunst, aber das bedeutet nicht, dass ich das Theater retten kann, mit dem Geld von der bildenden Kunst, mit was weiß ich von der bildenden Kunst. Das Theater braucht keine Rettung, das Theater ist ur-stark. Die bildende Kunst guckt die darstellende Kunst ganz eifersüchtig an. Und die darstellende Kunst käme auch wieder ganz gerne ins Museum. Es gibt diese Wechselsache immer wieder.
Aber heutzutage ist die bildende Kunst natürlich völlig und völlig und völlig übertrieben, durchökonomisiert, und das stört sich. Ich meine, ich arbeite gerne mit Sachen, die man nicht sofort besitzen kann, die nicht exklusiv sind. Und was ich ganz wichtig finde, das Theater ist eine offene Situation von und durch Menschen und kann noch mehr öffentlich gemacht werden, kann noch mehr offen gemacht werden. Und was mich sehr interessiert, das Theater ist einer der letzten Räume, der gleichermaßen real ist und symbolisch, ist ein Raum der Begegnung. Und das interessiert mich.
Das ist auch ganz wichtig für das politische Denken von heute, wie man sich in der Gesellschaft fühlt, was die Gesellschaft spiegelt. Und das Theater spiegelt nicht nur die Gesellschaft. Ich glaube, dass die Gesellschaft mittlerweile auch das Theater braucht, um ihre eigenen politischen Dramen und so weiter zu verstehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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