Liao Yiwu: Gott ist rot. Geschichten aus dem Untergrund - Verfolgte Christen in China.
Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann.
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2014. 352 Seiten, 21,90 Euro
Unerschütterlicher Glaube
Im 18. Jahrhundert begannen westliche Priester, in China zu missionieren und trugen die christliche Botschaft bis in die entlegensten Winkel des riesigen Landes. Liao Yiwu beschreibt, was aus Chinas Christen wurde.
Man muss schon ein besonderes Interesse hegen, um sich diesem umfangreichen Buch zu widmen. Denn so vermeintlich typisch die Geschichten von Unterdrückung, Menschenverachtung und Intoleranz in China sind, so speziell ist dieses Thema. Es geht um die Historie des Christentums im Reich der Mitte, um viele Schattenseiten und hin und wieder ein wenig Licht.
Immer neue Missionswellen vor allem im 19. Jahrhundert
Auch diese Geschichte handelt von Unterdrückung, von Missachtung grundlegender Menschenrechte, von Brutalität und Grausamkeit. Aber sie handelt eben auch von einem unerschütterlichen christlichen Glauben, der sich durch immer neue Missionswellen seit 1500 Jahren in China hält, im 18. und vor allem 19. Jahrhundert von eifrigen Predigern der westlichen Welt regelrecht beflügelt wurde.
„Vor etwa 150 Jahren hat die in London gegründete China-Inland-Mission gut ein Dutzend Priester ausgeschickt, die in Shanghai zum ersten Mal chinesischen Boden betraten. Von diesem Zeitpunkt an ist der Strom der westlichen Missionare nicht mehr abgerissen; sie haben das Evangelium bis in die entlegensten Gemeinden getragen. Nicht wenige von ihnen haben das mit dem Leben bezahlt."
Christen als Opfer der Mao-Herrschaft
Zuhauf sind sie schon beschrieben worden, die Grausamkeiten, die Menschen jeglicher Glaubens-, Volks- und Klassenzugehörigkeit während und nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 erfuhren, die sie während der Kulturrevolution ertragen mussten und nur zum Teil überlebten und die ihnen auch heute noch widerfahren. Die Geschichte der Christen reiht sich hier nahtlos ein.
„Mit Mao Zedong kam der Atheismus, die feste Ordnung der Gemeinden wurde zerstört, zwei bis vier Millionen gebildete Land-Intellektuelle wurden ermordet, umerzogen oder ins Gefängnis geworfen, darunter auch solche, die an Gott glaubten."
Dabei passt der Glaube an einen transzendenten Gott überhaupt nicht in den großen Kontext der chinesischen Geistesgeschichte. Auch das bewegt an diesem Buch.
Auf der Suche nach den Wurzeln des Christentums in China
Liao Yiwu also begibt sich auf die Suche nach den Wurzeln des Christentums in China, seinen verstorbenen und noch lebenden Protagonisten. Er tut das anhand von fünfzehn Begegnungen, in denen er die Familien- und Lebensgeschichten seiner Gesprächspartner in Interview-Form äußert detailliert dokumentiert.
Immer wieder bettet er diese Begegnungen ein, beschreibt nicht nur seine zum Teil abenteuerlichen Reisen in die entlegenen Orte des Hochlands von Yunnan, Chinas südöstlichster Provinz, sondern auch seine eigene Reaktion auf das, was er, der Nicht-Christ, in Erfahrung bringt.
Zum Beispiel beim Besuch des Priesters Zhang Mao'en, dessen Familie als eine der ersten in ganz Yunnan den Glauben annahm und praktizierte.
"Der alte Zhang tippt mir auf die Schulter und gibt mir zu verstehen, ich solle ebenfalls schweigen, deutet mit dem Zeigefinger in die Leere, dann wieder auf sein Ohr. Und dann flüstert er verständnisvoll: 'Der Urenkel des Gemeindeältesten liest aus der Bibel'.
Ich kenne die Bibel nicht gut, ich habe keine Ahnung, welcher Abschnitt aus welchem Kapitel da an mein Ohr schlägt, aber dieser Augenblick bewegt mich doch tief."
Ich kenne die Bibel nicht gut, ich habe keine Ahnung, welcher Abschnitt aus welchem Kapitel da an mein Ohr schlägt, aber dieser Augenblick bewegt mich doch tief."
"China hat viele Märtyrer hervorgebracht"
Man erfährt viel über China: über die Missionsarbeit, die Mitte des 19. Jahrhunderts einem neuen Höhepunkt entgegenstrebte, als Europäer und Amerikaner begannen, irgendwo im chinesischen Niemandsland die frohe Botschaft zu verkünden, auch über den brutalen Umgang mit Minderheiten und über die Stärke tief gläubiger Menschen, die bereit sind, sich für ihre Unbeugsamkeit einsperren, foltern und sogar töten zu lassen. China hat viele Märtyrer hervorgebracht.
Verstehen kann man die derart akribische Spurensuche am besten vor dem Hintergrund von Liaos Biografie. Er ist heute ein bekannter Schriftsteller und Dichter, der international durch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten" Aufsehen erregte. Aufgrund seiner unerschrocken kritischen Haltung gegenüber der chinesischen Regierung wurde er verfolgt, verhaftet, gefoltert und eingesperrt, bis ihm die Flucht nach Deutschland gelang.
Mundtot machen ließ er sich in all den Jahren nie. In Deutschland wurden ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2012) und der Geschwister-Scholl-Preis (2011) zugesprochen.
Einblicke auch in die dunkle Seite der Mission
Die Lektüre dieses Buches ist ungemein lohnend, auch weil sie nachdenklich stimmt. Vom Rande der Gesellschaft berichtend mahnt Liao, hinter den Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaft, hinter den glitzernden Fassaden der Mega-Cities die dunkle Seite der neuen Großmacht nicht zu vergessen: die tiefe Armut in den entlegeneren Gebieten, die wachsenden Klassenunterschiede, die rigide Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die Verfolgung Andersdenkender.
Außerdem gewährt er noch einen Einblick in die dunkle Seite der christlichen Mission selbst, die ihrerseits von Kindesmisshandlung nicht frei gewesen ist.
Was hatten westliche Missionare eigentlich in China zu suchen?
Gegen Ende des Buches drängt sich dann aber noch ein anderer, weniger aktueller Gedanke auf: Was hatten christliche Missionare aus dem Westen in China eigentlich verloren? Gab es wirklich eine religiöse Pflicht, Menschen anderer Kulturen und gänzlich anderer Sozialisation mit dem eigenen Glauben zu beglücken? Darauf gibt das Buch freilich keine Antwort.
Missionsgeschichten sind Leidensgeschichten. Liao Yiwu fügt ihnen eine Reihe weiterer hinzu.