Manche Gläubige sehen in Pfingsten den eigentlichen Geburtstag der Kirche. Doch zum Feiern dürfte Christen immer weniger zumute sein, sagt der Journalist Uwe Bork – angesichts der hierzulande stetig sinkenden Zahl der Kirchenmitglieder.
Den besten Ruf dürften die Jünger Jesu damals nicht gerade gehabt haben. Damals vor rund 2000 Jahren, beim ersten Pfingstfest in Jerusalem.
Wie sonst könnte es sein, dass sie zwar plötzlich – mit dem Heiligen Geist quasi in der Rolle als erstem Simultandolmetscher – in diversen Sprachen predigen konnten, dieses Multikulti-Wunder aber bei vielen der Anwesenden nur eine sehr irdische Erklärung fand.
"Sie sind voll des süßen Weines!", hieß es und dieser Spott machte schnell die Runde: Er ging viral, wie man heute sagen würde. Wenn es doch nur bei dieser harmlosen Häme geblieben wäre!
Massive Verfehlungen der Kirche – bis heute
Ein klein wenig Alkoholmissbrauch so dann und wann, das wäre ja noch zu vertreten gewesen, da war man von den orgienerprobten Griechen und Römern schließlich ganz anderes gewohnt. Ein bisschen Schwäche zeigen, das ist doch irgendwie menschlich und hat sogar einen gewissen Charme.
Leider sollte es aber nicht bei leichten Lastern bleiben. Es kam dicker. Viel dicker.
So werden die Inquisition, die Hexenverbrennungen und die Kreuzzüge immer noch als tiefschwarze Kulissen durch die Kirchengeschichte geschoben. Heute ist es zudem – und namentlich in der katholischen Kirche – die bleibende Arroganz der Macht, die Unfähigkeit zur Veränderung und der unentschuldbare sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen und Abhängigen, die dem Christentum die Luft zum Atmen nehmen.
Das, so denken offenbar immer mehr Gläubige wie Nicht-Gläubige, das hätte nicht passieren dürfen. Nicht dieser Verrat an den eigenen Prinzipien.
Die Mitgliederzahlen schrumpfen stetig
Nicht erstaunlich also, dass die Zahl der Mitglieder beider großer Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich zurückgeht, sodass es nun sogar zu einer "Kernschmelze" unter den Frömmsten der Frommen kommen könnte.
"Wachsen gegen den Trend"', wie es die evangelische Kirche einst plante: derzeit wohl aussichtslos und allenfalls ein Traum. In Deutschland und vielen anderen Staaten Europas droht das Christentum stattdessen mittelfristig eher zu einer Randgruppe zusammenzuschmelzen.
Beide Kirchen gemeinsam könnten schon jetzt an den kommenden Festtagen noch nicht einmal jeden zweiten Deutschen in ihren Bänken begrüßen, ja, wenn er oder sie denn überhaupt käme. Prozentual bewegt sich die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher seit Langem im unteren einstelligen Bereich.
Diese Kadenz quantitativer Katastrophen könnte sich nicht zuletzt für die Kirchen selbst verheerend auswirken, denn ihnen droht ein Traditionsabbruch, dessen Folgen noch nicht abzuschätzen sind.
Haben die Eltern erst einmal ihren Austritt aus der Institution Kirche erklärt, dürfte auch – begonnen mit der Taufe – die religiöse Erziehung der Kinder unwahrscheinlich werden.
Christliches auf bleibenden Wert abklopfen
Es würden damit Generationen heranwachsen, die nicht nur, wie es der Philosoph Jürgen Habermas von sich erklärte, "religiös unmusikalisch" sind: Sie könnten religiös vollends ertauben. An ihnen ginge dann vermutlich Habermas' Aufforderung vorbei, als säkularisierte Mehrheit stets zu prüfen, was sich aus den Lehren der gläubigen Minderheit lernen ließe.
Es wäre meines Erachtens falsch, wenn unsere Gesellschaft die Beschäftigung mit dem Christentum mangels Masse für beendet erklärte. Viele unserer philosophischen Wurzeln beziehen ihre Nahrung nun einmal aus den Ideen und Idealen dieser Religion, das zu leugnen wäre geschichtsvergessen und kurzsichtig.
Sie gilt es vielmehr kritisch zu untersuchen und auf ihren bleibenden Wert zu überprüfen, umso mehr, als ein Dialog mit anderen Religionen und – ja, auch – mit dem Atheismus nur gelingen kann, wenn die eigene Herkunft und das eigene Koordinatensystem geklärt sind.
Prüft alles und behaltet das Gute, sagt die Bibel. Kein schlechter Rat scheint mir. Nicht nur zu Pfingsten.
Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion „Religion, Kirche und Gesellschaft“ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.