Christentum mehr als bisher "als eine Einheit sehen"
Der Sozialphilosoph Hans Joas findet es katastrophal, wenn die christlichen Kirchen hierzulande zankend zusammen untergingen. Er ist Erstunterzeichner des Aufrufs "Ökumene Jetzt", weil er die gelebte Einheit der gläubigen Christen stärken und den polemischen Umgang der Konfessionen zurückdrängen will.
Dieter Kassel: In Berlin wurde vor gut drei Stunden der Aufruf "Ökumene Jetzt" auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Insgesamt 23 Erstunterzeichner sprechen sich darin für ein Ende der Kirchentrennung in Deutschland aus. Es sind Menschen dabei aus den unterschiedlichsten Bereichen, aus der Politik zum Beispiel der Bundestagspräsident Norbert Lammert oder auch Annette Schavan, Günter Jauch, der Fernsehmoderator, ist dabei, der Künstler Günther Uecker, gibt auch Männer aus dem Bereich des Sports, Thomas Bach zum Beispiel, die mit unterschrieben haben, genau so wie der Sozialphilosoph Professor Hans Joas.
Er ist zurzeit Fellow beim FRIAS, das ist das Freiburg Institute of Advanced Studies, Mitglied der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften und Vizepräsident der International Sociological Association. Er ist direkt von der Pressekonferenz jetzt zu uns ins Studio gekommen. Guten Tag, Herr Professor Joas!
Hans Joas: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Einfache, aber vielleicht gar nicht so leicht zu beantwortende Frage: Warum haben Sie denn mit unterschrieben bei diesem Aufruf?
Joas: Für mich ist ein wesentlicher Grund, mitzuunterschreiben, die Angst, dass das bevorstehende Reformationsjubiläum, das ja jetzt schon über Jahre hinweg gründlich vorbereitet wird auf viele öffentliche Veranstaltungen, zu einer Neuauflage von Konfessionspolemiken in Deutschland führt, wie es sie jahrhundertelang gegeben hat, und wie es zum Beispiel im 19. Jahrhundert wirklich die ganze deutsche Gesellschaft im sogenannten Kulturkampf fast zerrissen hat. Ich glaube, in der gegenwärtigen Situation, in der die Christen beider Konfessionen zusammen tendenziell eine Minderheit in diesem Lande bilden, wäre es katastrophal – und von außen gesehen könnte man sagen lächerlich –, wenn die beiden Konfessionen zusammen gewissermaßen zankend untergehen.
Deshalb geht es darum, darüber nachzudenken, wie in unpolemischer Weise ein gemeinsames Gedenken an die Reformation stattfinden kann, und wie nun andererseits auf vielen Ebenen, die von den theologischen Fundamentalfragen gar nicht berührt sind, die Zusammenarbeit etwa der Kirchengemeinden in Deutschland intensiviert werden kann über diese Konfessionsgrenzen hinaus.
Kassel: Ist die Frage, wie weit das gehen kann. Es heißt in diesem Aufruf wörtlich: ein Gott, ein Glaube, eine Kirche. Würde das heißen, im Endeffekt soll die evangelische und die katholische Kirche aufgehen in einer deutschen christlichen Kirche?
Joas: Das wäre natürlich ganz undenkbar, auf jeden Fall aus der katholischen Perspektive undenkbar, da die katholische Kirche ja eine weltumspannende Kirche auf jeden Fall ist. Ich glaube, die entscheidende Formulierung in dem Dokument lautet: gelebte Einheit im Bewusstsein der Vielfalt. Und da kann man nun alle Bestandteile davon betonen. Also, die gelebte Einheit betonen, das habe ich gerade getan, als ich von einer verstärkten Zusammenarbeit von Kirchengemeinden etwa gesprochen habe, aber eben auch im Bewusstsein der Vielfalt. Also, in dem Bewusstsein, dass eine Einigung in bestimmten Fundamentalfragen nun nicht auf Teufel komm raus – wenn das das richtige Wort an dieser Stelle ist – hergestellt werden kann.
Ich glaube, wir müssen uns alle daran erinnern, dass etwa die mittelalterliche Kirche nicht eine hochgradig zentralistische katholische Kirche war, sondern eine in sich vielfältige Kirche war, die auch zum Beispiel durch die Ordensgründungen und so weiter viele Wohnungen im Hause des Herrn zugelassen hat. Und wir könnten doch das heutige Christentum, ohne nun die Differenzen zu leugnen, auch in dieser Hinsicht mehr zumindest als bisher als eine Einheit sehen, statt eben polemisch miteinander umzugehen.
Kassel: Herr Joas, ich habe mir am Anfang, als ich nur den Text der Initiative kannte, eher Sorgen gemacht, die wollen viel zu viel und sind unrealistisch. Jetzt mache ich mir Sorgen, die wollen vielleicht zu wenig. Weil, was Sie beschreiben, klingt mir ein bisschen nach der Ökumene, die es ja spätestens seit dem zweiten Vatikanischen Konzil – ein anderer Anlass, gerade jetzt diese Initiative zu starten, 1962 begann ja dieses Konzil – schon gibt. Ich meine, Zusammenarbeit gibt es und Katholiken und Protestanten begegnen sich in Deutschland doch nicht als Feinde!
Joas: Ja. Also, ich glaube, es gibt in Deutschland eine Diskrepanz zwischen den vielfältigen Ansätzen, da stimme ich Ihnen ja zu, in dem sozusagen gelebten Christentum miteinander zu kooperieren, und den Profilierungsbedürfnissen der Institutionen, also der Kirchen, gegeneinander. Das ist eine spürbare Diskrepanz.
Und um klar zu machen, dass sich da aber etwas Neues herausgebildet hat und diese nicht einfach der selbstverständliche Zustand ist, muss man, glaube ich, daran erinnern, dass gerade in Deutschland – auch in einigen anderen der bikonfessionellen mitteleuropäischen Gesellschaften – sich an den Konfessionsunterschied massiv Milieuunterschiede auch angefügt haben. Dass Katholiken nur Katholiken heirateten und viele Katholiken nur mit anderen Katholiken im Privatleben befreundet waren und dass sich soziale Vorteile – zum Beispiel, man konnte in Preußen nicht Professor werden im Großen und Ganzen, wenn man katholisch war, und so weiter, und in Bayern vielleicht umgekehrt, ja –, dass sich also vielerlei soziale Vorteile, Karrierevorteile, oder Nachteile daran auch geheftet haben.
Hier hat sich nun aber etwas verändert: Es gibt eine sehr große Zahl von – wie man das jetzt nennen will – konfessionsverbundenen, konfessionsverschiedenen Ehen beispielsweise. Es haben sich diese Konfessionsmilieus weitgehend aufgelöst, auf jeden Fall sind sie sehr stark geschrumpft. Damit gibt es die Milieubasis für die wechselseitige Profilierung immer weniger. Das ist nun deshalb besonders wichtig, weil viele der Unterschiede, die vom Laien für wichtige Konfessionsunterschiede gehalten werden, gar keine theologisch begründeten Konfessionsunterschiede sind, sondern Unterschiede des Habitus, die aus der Geschichte hervorgegangen sind und die keine große weitere Rolle eigentlich spielen müssten.
Kassel: Aber die es doch im Alltag immer tun werden, Herr Joas! Nehmen wir doch ein einfaches Beispiel wie die Frage, ob eine Frau Pfarrerin sein darf oder nicht. Bei der evangelischen Kirche darf sie es, bei der katholischen nicht. Und das wird doch auch immer Grenzen bei der Zusammenarbeit bedeuten, denn die können sich doch im Grunde genommen dann nicht auf Augenhöhe begegnen, der katholische Pfarrer und die evangelische Pfarrerin?
Joas: Gut, es gibt keine katholischen Pfarrerinnen und wie eben ...
Kassel: Das meine ich ja!
Joas: Ja, ja, keine Laieninitiative in Deutschland wird dies ändern können. Es wäre vollkommen vermessen ...
Kassel: Obwohl es natürlich … versucht wird seit Jahren und Jahrzehnten, also versucht wird es ja ...
Joas: Ja, völlig richtig! Also, ich persönlich bin ja auch tief davon überzeugt, dass es richtig wäre, Frauen zum Priesteramt zuzulassen, und ich wehre mich allerdings immer gegen jede Begründung, die so lautet: Weil auf der katholischen Seite ein Priestermangel herrscht, wäre das sozusagen eine günstige Kompensation für die fehlenden Priester! Sondern es gibt in sich starke Gründe. Aber ich kann das nicht ändern, Norbert Lammert und ich und Wolfgang Thierse und so weiter können das, auch wenn wir uns verbünden, nicht ändern.
Insofern denkt doch keiner von uns in Richtung einer größenwahnsinnigen Selbstüberschätzung sozusagen, wir könnten nun von Deutschland- und von Laienseite ausgehend alles, was die Konfessionen trennt, mal kurz beseitigen! Was wir sagen, ist doch etwas anderes! Wir sagen, wenn ich jetzt für die katholische Seite spreche – und das ist auch die Brücke zu dem Thema Konzil –, das Konzil hat ganz ausdrücklich gesagt: Für die Wiedervereinigung der Kirchen spielen nicht nur der Klerus und die Kirchenführungen eine große Rolle, sondern jeder Gläubige.
Und wir wollen verstärkt deutlich machen, dass wir als gläubige Christen einen solchen Beitrag leisten wollen, und wollen diesen Beitrag im Alltagsleben leisten, auch wenn wir uns gleichzeitig bewusst sind, wie eng begrenzt diese Reichweite dieses Beitrags vermutlich ist.
Kassel: Die von Ihnen Genannten, Norbert Lammert, Wolfgang Thierse und viele andere, insgesamt 23, sind Erstunterzeichner des Aufrufs "Ökumene Jetzt", der heute Vormittag in Berlin veröffentlicht wurde. Und ein weiterer dieser Unterzeichner, der Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, hat gegenüber der "Zeit" auch schon gesagt – Sie haben das vorhin so ähnlich formuliert, ich finde, er hat es fast noch schärfer gesagt –, er hat gesagt: Wir werden auf der Welt eher weniger Christen, da sollten wir institutionell zusammenstehen.
Daraus – korrigieren Sie mich, wenn ich das jetzt falsch interpretiere – höre ich auch heraus: Wir sollten einfach auch stärker sein in der Zusammenarbeit, zum Beispiel angesichts des Verlusts vieler Mitglieder, sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche. Aber ist dieser Gedanke so logisch? Wenn wir zum Beispiel uns die USA angucken, wo es eine große Vielfalt von christlichen Kirchen gibt, wesentlich größer als in Deutschland, und wo aber doch – ist mein Eindruck – Religiosität sogar eine größere Rolle spielt als bei uns?
Joas: Ja. Also, zum einen würde ich nicht formulieren, wir werden weltweit immer weniger, das Gegenteil ist empirisch wahr ...
Kassel: Nicht ganz genau formuliert, ja, das stimmt.
Joas: Also, wir befinden uns derzeit in einer der größten quantitativen Expansionsphasen des Christentums jemals in seiner Geschichte. Das bezieht sich auf Afrika und auf Asien beispielsweise. Weil Sie die USA nun nennen: Völlig richtig, die USA sind eine religiös, ganz unvergleichbar religiös vitalere Gesellschaft, als es die meisten europäischen Gesellschaften derzeit sind.
Sie haben aber in der Hinsicht, um die es hauptsächlich in unserem Gespräch und in dem Appell geht, ein durchaus ähnliches Problem. Noch in den 50er-Jahren gab es auch in den USA eine scharfe Trennung etwa von katholischen und dann auch noch in sich differenzierten protestantischen Milieus. Das ist auch in den USA immer weniger der Fall. Mehr als 50 Prozent der jetzt in den USA geschlossenen Ehen nennt man "interfaith". Also, sind auch ...
Kassel: Überkonfessionell, oder ...
Joas: Sind überkonfessionell oder vielleicht sogar über die Religionsgrenzen hinaus. Die theologischen Differenzen zwischen den protestantischen Denominationen, wie man in den USA sagt – also in den einzelnen Richtungen des Protestantismus –, sind den Gläubigen fast nicht mehr bewusst. Die theologischen Differenzen zur katholischen Kirche gibt es weiterhin sehr deutlich und erkennbar, aber es stellt sich eben genau das Problem, das ich vorhin für Deutschland beschreiben wollte: Wenn in Ehen, in Freundschaftsnetzwerken und so weiter zusammengelebt wird, christlich, und das ja eben nicht eine abnehmende Bedeutung der christlichen Orientierung bedeutet, oft sogar eine Intensivierung, dann gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen dieser Konkurrenz der Institutionen und der gelebten Zusammenarbeit. Und ein Bewusstsein dafür wollen wir schaffen.
Kassel: Wir könnten noch sehr lange darüber reden, ich glaube, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten auch tun. Aber eins möchte ich heute schon wissen: Vor, wie gesagt, inzwischen knapp dreieinhalb Stunden wurde das Ganze komplett vorgestellt, morgen wird es einen Schwerpunkt dazu in der "Zeit" geben. Aber wie soll es denn – inzwischen kann auch jeder mitunterzeichnen, der das möchte, im Internet –, aber wie soll es denn nun weitergehen? Denn ich würde sagen, nach diesem Aufruf werden sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche in Deutschland sagen: Ja, aber! Was sagen Sie da?
Joas: Also, die bescheidendste Antwort auf Ihre Frage hat heute, glaube ich, Hans Maier gegeben. Der hat gesagt, wir sehen das als einen Stein, den wir ins Wasser werfen, und wir müssen jetzt schauen, welche Wellen er schlägt. Wir müssen sehen, welches Echo von den Gläubigen verschiedener Konfessionen daraufhin erfolgt. Von den Kirchenleitungen das Echo zu erwarten ist jetzt der wesentlich weniger wichtige Punkt sozusagen, da ist auch vieles vorhersehbar. Aber inwiefern das nun eine Verstärkung von Initiativen gewissermaßen von der Basis des deutschen Christentums und dann auch über Deutschland hinaus auch, also auf jeden Fall schon des deutschsprachigen Christentums, aber vielleicht sogar darüber hinaus auslöst, das müssen wir sehen.
Kassel: Das werden wir dann auch alle gemeinsam sehen. Ich danke Ihnen für heute! Professor Hans Joas war das, Sozialphilosoph und einer der 23 Erstunterzeichner des Aufrufs "Ökumene Jetzt". Inzwischen kann jeder unterzeichnen, und zwar im Internet auf der Seite www.oekumene-jetzt.de
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Wir brauchen einen "Zwischenschritt der Klärung" - Der Publizist Alexander Kissler hat Zweifel an dem direkten Erfolg der Initiative "Ökumene jetzt", (DLF, Interview)
Er ist zurzeit Fellow beim FRIAS, das ist das Freiburg Institute of Advanced Studies, Mitglied der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften und Vizepräsident der International Sociological Association. Er ist direkt von der Pressekonferenz jetzt zu uns ins Studio gekommen. Guten Tag, Herr Professor Joas!
Hans Joas: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Einfache, aber vielleicht gar nicht so leicht zu beantwortende Frage: Warum haben Sie denn mit unterschrieben bei diesem Aufruf?
Joas: Für mich ist ein wesentlicher Grund, mitzuunterschreiben, die Angst, dass das bevorstehende Reformationsjubiläum, das ja jetzt schon über Jahre hinweg gründlich vorbereitet wird auf viele öffentliche Veranstaltungen, zu einer Neuauflage von Konfessionspolemiken in Deutschland führt, wie es sie jahrhundertelang gegeben hat, und wie es zum Beispiel im 19. Jahrhundert wirklich die ganze deutsche Gesellschaft im sogenannten Kulturkampf fast zerrissen hat. Ich glaube, in der gegenwärtigen Situation, in der die Christen beider Konfessionen zusammen tendenziell eine Minderheit in diesem Lande bilden, wäre es katastrophal – und von außen gesehen könnte man sagen lächerlich –, wenn die beiden Konfessionen zusammen gewissermaßen zankend untergehen.
Deshalb geht es darum, darüber nachzudenken, wie in unpolemischer Weise ein gemeinsames Gedenken an die Reformation stattfinden kann, und wie nun andererseits auf vielen Ebenen, die von den theologischen Fundamentalfragen gar nicht berührt sind, die Zusammenarbeit etwa der Kirchengemeinden in Deutschland intensiviert werden kann über diese Konfessionsgrenzen hinaus.
Kassel: Ist die Frage, wie weit das gehen kann. Es heißt in diesem Aufruf wörtlich: ein Gott, ein Glaube, eine Kirche. Würde das heißen, im Endeffekt soll die evangelische und die katholische Kirche aufgehen in einer deutschen christlichen Kirche?
Joas: Das wäre natürlich ganz undenkbar, auf jeden Fall aus der katholischen Perspektive undenkbar, da die katholische Kirche ja eine weltumspannende Kirche auf jeden Fall ist. Ich glaube, die entscheidende Formulierung in dem Dokument lautet: gelebte Einheit im Bewusstsein der Vielfalt. Und da kann man nun alle Bestandteile davon betonen. Also, die gelebte Einheit betonen, das habe ich gerade getan, als ich von einer verstärkten Zusammenarbeit von Kirchengemeinden etwa gesprochen habe, aber eben auch im Bewusstsein der Vielfalt. Also, in dem Bewusstsein, dass eine Einigung in bestimmten Fundamentalfragen nun nicht auf Teufel komm raus – wenn das das richtige Wort an dieser Stelle ist – hergestellt werden kann.
Ich glaube, wir müssen uns alle daran erinnern, dass etwa die mittelalterliche Kirche nicht eine hochgradig zentralistische katholische Kirche war, sondern eine in sich vielfältige Kirche war, die auch zum Beispiel durch die Ordensgründungen und so weiter viele Wohnungen im Hause des Herrn zugelassen hat. Und wir könnten doch das heutige Christentum, ohne nun die Differenzen zu leugnen, auch in dieser Hinsicht mehr zumindest als bisher als eine Einheit sehen, statt eben polemisch miteinander umzugehen.
Kassel: Herr Joas, ich habe mir am Anfang, als ich nur den Text der Initiative kannte, eher Sorgen gemacht, die wollen viel zu viel und sind unrealistisch. Jetzt mache ich mir Sorgen, die wollen vielleicht zu wenig. Weil, was Sie beschreiben, klingt mir ein bisschen nach der Ökumene, die es ja spätestens seit dem zweiten Vatikanischen Konzil – ein anderer Anlass, gerade jetzt diese Initiative zu starten, 1962 begann ja dieses Konzil – schon gibt. Ich meine, Zusammenarbeit gibt es und Katholiken und Protestanten begegnen sich in Deutschland doch nicht als Feinde!
Joas: Ja. Also, ich glaube, es gibt in Deutschland eine Diskrepanz zwischen den vielfältigen Ansätzen, da stimme ich Ihnen ja zu, in dem sozusagen gelebten Christentum miteinander zu kooperieren, und den Profilierungsbedürfnissen der Institutionen, also der Kirchen, gegeneinander. Das ist eine spürbare Diskrepanz.
Und um klar zu machen, dass sich da aber etwas Neues herausgebildet hat und diese nicht einfach der selbstverständliche Zustand ist, muss man, glaube ich, daran erinnern, dass gerade in Deutschland – auch in einigen anderen der bikonfessionellen mitteleuropäischen Gesellschaften – sich an den Konfessionsunterschied massiv Milieuunterschiede auch angefügt haben. Dass Katholiken nur Katholiken heirateten und viele Katholiken nur mit anderen Katholiken im Privatleben befreundet waren und dass sich soziale Vorteile – zum Beispiel, man konnte in Preußen nicht Professor werden im Großen und Ganzen, wenn man katholisch war, und so weiter, und in Bayern vielleicht umgekehrt, ja –, dass sich also vielerlei soziale Vorteile, Karrierevorteile, oder Nachteile daran auch geheftet haben.
Hier hat sich nun aber etwas verändert: Es gibt eine sehr große Zahl von – wie man das jetzt nennen will – konfessionsverbundenen, konfessionsverschiedenen Ehen beispielsweise. Es haben sich diese Konfessionsmilieus weitgehend aufgelöst, auf jeden Fall sind sie sehr stark geschrumpft. Damit gibt es die Milieubasis für die wechselseitige Profilierung immer weniger. Das ist nun deshalb besonders wichtig, weil viele der Unterschiede, die vom Laien für wichtige Konfessionsunterschiede gehalten werden, gar keine theologisch begründeten Konfessionsunterschiede sind, sondern Unterschiede des Habitus, die aus der Geschichte hervorgegangen sind und die keine große weitere Rolle eigentlich spielen müssten.
Kassel: Aber die es doch im Alltag immer tun werden, Herr Joas! Nehmen wir doch ein einfaches Beispiel wie die Frage, ob eine Frau Pfarrerin sein darf oder nicht. Bei der evangelischen Kirche darf sie es, bei der katholischen nicht. Und das wird doch auch immer Grenzen bei der Zusammenarbeit bedeuten, denn die können sich doch im Grunde genommen dann nicht auf Augenhöhe begegnen, der katholische Pfarrer und die evangelische Pfarrerin?
Joas: Gut, es gibt keine katholischen Pfarrerinnen und wie eben ...
Kassel: Das meine ich ja!
Joas: Ja, ja, keine Laieninitiative in Deutschland wird dies ändern können. Es wäre vollkommen vermessen ...
Kassel: Obwohl es natürlich … versucht wird seit Jahren und Jahrzehnten, also versucht wird es ja ...
Joas: Ja, völlig richtig! Also, ich persönlich bin ja auch tief davon überzeugt, dass es richtig wäre, Frauen zum Priesteramt zuzulassen, und ich wehre mich allerdings immer gegen jede Begründung, die so lautet: Weil auf der katholischen Seite ein Priestermangel herrscht, wäre das sozusagen eine günstige Kompensation für die fehlenden Priester! Sondern es gibt in sich starke Gründe. Aber ich kann das nicht ändern, Norbert Lammert und ich und Wolfgang Thierse und so weiter können das, auch wenn wir uns verbünden, nicht ändern.
Insofern denkt doch keiner von uns in Richtung einer größenwahnsinnigen Selbstüberschätzung sozusagen, wir könnten nun von Deutschland- und von Laienseite ausgehend alles, was die Konfessionen trennt, mal kurz beseitigen! Was wir sagen, ist doch etwas anderes! Wir sagen, wenn ich jetzt für die katholische Seite spreche – und das ist auch die Brücke zu dem Thema Konzil –, das Konzil hat ganz ausdrücklich gesagt: Für die Wiedervereinigung der Kirchen spielen nicht nur der Klerus und die Kirchenführungen eine große Rolle, sondern jeder Gläubige.
Und wir wollen verstärkt deutlich machen, dass wir als gläubige Christen einen solchen Beitrag leisten wollen, und wollen diesen Beitrag im Alltagsleben leisten, auch wenn wir uns gleichzeitig bewusst sind, wie eng begrenzt diese Reichweite dieses Beitrags vermutlich ist.
Kassel: Die von Ihnen Genannten, Norbert Lammert, Wolfgang Thierse und viele andere, insgesamt 23, sind Erstunterzeichner des Aufrufs "Ökumene Jetzt", der heute Vormittag in Berlin veröffentlicht wurde. Und ein weiterer dieser Unterzeichner, der Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, hat gegenüber der "Zeit" auch schon gesagt – Sie haben das vorhin so ähnlich formuliert, ich finde, er hat es fast noch schärfer gesagt –, er hat gesagt: Wir werden auf der Welt eher weniger Christen, da sollten wir institutionell zusammenstehen.
Daraus – korrigieren Sie mich, wenn ich das jetzt falsch interpretiere – höre ich auch heraus: Wir sollten einfach auch stärker sein in der Zusammenarbeit, zum Beispiel angesichts des Verlusts vieler Mitglieder, sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche. Aber ist dieser Gedanke so logisch? Wenn wir zum Beispiel uns die USA angucken, wo es eine große Vielfalt von christlichen Kirchen gibt, wesentlich größer als in Deutschland, und wo aber doch – ist mein Eindruck – Religiosität sogar eine größere Rolle spielt als bei uns?
Joas: Ja. Also, zum einen würde ich nicht formulieren, wir werden weltweit immer weniger, das Gegenteil ist empirisch wahr ...
Kassel: Nicht ganz genau formuliert, ja, das stimmt.
Joas: Also, wir befinden uns derzeit in einer der größten quantitativen Expansionsphasen des Christentums jemals in seiner Geschichte. Das bezieht sich auf Afrika und auf Asien beispielsweise. Weil Sie die USA nun nennen: Völlig richtig, die USA sind eine religiös, ganz unvergleichbar religiös vitalere Gesellschaft, als es die meisten europäischen Gesellschaften derzeit sind.
Sie haben aber in der Hinsicht, um die es hauptsächlich in unserem Gespräch und in dem Appell geht, ein durchaus ähnliches Problem. Noch in den 50er-Jahren gab es auch in den USA eine scharfe Trennung etwa von katholischen und dann auch noch in sich differenzierten protestantischen Milieus. Das ist auch in den USA immer weniger der Fall. Mehr als 50 Prozent der jetzt in den USA geschlossenen Ehen nennt man "interfaith". Also, sind auch ...
Kassel: Überkonfessionell, oder ...
Joas: Sind überkonfessionell oder vielleicht sogar über die Religionsgrenzen hinaus. Die theologischen Differenzen zwischen den protestantischen Denominationen, wie man in den USA sagt – also in den einzelnen Richtungen des Protestantismus –, sind den Gläubigen fast nicht mehr bewusst. Die theologischen Differenzen zur katholischen Kirche gibt es weiterhin sehr deutlich und erkennbar, aber es stellt sich eben genau das Problem, das ich vorhin für Deutschland beschreiben wollte: Wenn in Ehen, in Freundschaftsnetzwerken und so weiter zusammengelebt wird, christlich, und das ja eben nicht eine abnehmende Bedeutung der christlichen Orientierung bedeutet, oft sogar eine Intensivierung, dann gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen dieser Konkurrenz der Institutionen und der gelebten Zusammenarbeit. Und ein Bewusstsein dafür wollen wir schaffen.
Kassel: Wir könnten noch sehr lange darüber reden, ich glaube, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten auch tun. Aber eins möchte ich heute schon wissen: Vor, wie gesagt, inzwischen knapp dreieinhalb Stunden wurde das Ganze komplett vorgestellt, morgen wird es einen Schwerpunkt dazu in der "Zeit" geben. Aber wie soll es denn – inzwischen kann auch jeder mitunterzeichnen, der das möchte, im Internet –, aber wie soll es denn nun weitergehen? Denn ich würde sagen, nach diesem Aufruf werden sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche in Deutschland sagen: Ja, aber! Was sagen Sie da?
Joas: Also, die bescheidendste Antwort auf Ihre Frage hat heute, glaube ich, Hans Maier gegeben. Der hat gesagt, wir sehen das als einen Stein, den wir ins Wasser werfen, und wir müssen jetzt schauen, welche Wellen er schlägt. Wir müssen sehen, welches Echo von den Gläubigen verschiedener Konfessionen daraufhin erfolgt. Von den Kirchenleitungen das Echo zu erwarten ist jetzt der wesentlich weniger wichtige Punkt sozusagen, da ist auch vieles vorhersehbar. Aber inwiefern das nun eine Verstärkung von Initiativen gewissermaßen von der Basis des deutschen Christentums und dann auch über Deutschland hinaus auch, also auf jeden Fall schon des deutschsprachigen Christentums, aber vielleicht sogar darüber hinaus auslöst, das müssen wir sehen.
Kassel: Das werden wir dann auch alle gemeinsam sehen. Ich danke Ihnen für heute! Professor Hans Joas war das, Sozialphilosoph und einer der 23 Erstunterzeichner des Aufrufs "Ökumene Jetzt". Inzwischen kann jeder unterzeichnen, und zwar im Internet auf der Seite www.oekumene-jetzt.de
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Wir brauchen einen "Zwischenschritt der Klärung" - Der Publizist Alexander Kissler hat Zweifel an dem direkten Erfolg der Initiative "Ökumene jetzt", (DLF, Interview)