Christentum

Missionieren lernen in Franken

Ein Holzkreuz mit Jesusfigur steht auf dem Friedhof Hochmutting in Oberschleißheim (Bayern).
Missionare vertreten den christlichen Glauben in aller Welt. © picture alliance / dpa / Foto: Inga Kjer/dpa
Von Antje Stiebitz |
Die Missionsarbeit hat eine lange, mitunter auch zwiespältige Geschichte. Noch heute werden deutsche Kirchenvertreter in die Ferne geschickt. Protestanten werden im fränkischen Neuendettelsau auf ihren Einsatz vorbereitet.
Diese magische Formel aus Papua-Neuguinea schallt aus einem Lautsprecher, sobald man mit dem Daumen auf einen elektronischen Knopf drückt. Gleich daneben erklärt eine Texttafel, dass es sich um einen Gewitterzauber handelt. Er sei ein Beispiel dafür, wie Magie und Zauberei die Naturgewalten beeinflussen sollten. Aufgenommen wurde der Zauberspruch aus Übersee Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu hören ist er in der Missionsausstellung "einBlick" in Neuendettelsau.
Neuendettelsau liegt in Mittelfranken und zählt 7407 Einwohner. Kein Ort, in dem man papua-neuguineische Zaubersprüche vermutet. Oder gar eine Sammlung von 15.000 Büchern über Missions- und Religionswissenschaft, Afrika und den Pazifik. Und dennoch: Neuendettelsau denkt weit über den mittelfränkischen Horizont hinaus. Aus dem beschaulichen Dorf starten seit über 160 Jahren evangelische Missionare in die ganze Welt. Peter Weigand, Leiter des Neuendettelsauer Missionszentrums, erklärt, wie es dazu kam:
"In Neuendettelsau spielt die politische und wirtschaftliche Situation des 19. Jahrhunderts eine ganz große Rolle. Deutschland hatte eine große Armut, die Industrialisierung begann, die Menschen zogen in die Städte und hatten aber dort kein Auskommen, hatten kein Land mehr und sind vielfach ausgewandert. Somit ist Neuendettelsau ein Ort gewesen, wo diese Auswanderung sehr stark auch in den umliegenden Dörfern spürbar war, und der hiesige Pfarrer wurde sich gewahr, dass hier muss etwas getan werden. Ursprung war eigentlich Seelsorge an Auswanderungen."
Doch dabei blieb es nicht. Eine alte Spendenbüchse, die im Vorzimmer Peter Weigands ausgestellt ist, zeugt von der anderen Seite der Mission. Auf der Missionsbüchse steht geschrieben: "Ich war ein armer Heidensohn, nun kenn ich meinen Heiland schon, und bitte darum Jedermann, nehmt Euch der armen Heiden an." Da klingt an: Die Mission als Zwangschristianisierung. Kirche und Kolonialtruppen als mächtige Gemeinschaft, die ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen mit dem Schwert durchsetzt. Und von der Idee geleitet wurde, dass Menschen anderen Glaubens im Sinne des christlichen Menschenbildes formbar sind. Eine Zeit, in der das moderne Verständnis eines selbstbestimmten Menschen, der religiöse Fragen selbst beantwortet, keinen Platz hatte. Peter Weigand:
"Dass das Christentum politisch missbraucht wurde oder selbst sozusagen zur politischen Komponente geworden ist, sind dann natürlich auch Entwicklungen in unserer Kirchengeschichte, denen wir uns zu stellen haben und gerade auch in der Missionsgeschichte im überseeischen Bereich durchaus sagen müssen, hier sind auch Schuldbekenntnisse notwendig. Weil hier manches blauäugig und auch durchaus naiv, würde ich heute sagen, alles dem guten Zweck der Christentumsverbreitung unterstellt wurde und in Wirklichkeit andere Interessen damit Einzug erhalten haben."
Die Mission ist im 21. Jahrhundert angekommen
Auch die Mission ist im 21. Jahrhundert angekommen. Das zeigt sich etwa an der modernen Namensgebung: Das Missionswerk heißt jetzt Centrum für Partnerschaft, Entwicklung und Mission. Und inzwischen, so erklärt Peter Weigand, wolle kein Missionar die Gedankenwelt seines Gegenübers verändern oder ihm gar die Religion rauben. Die moderne Mission schreibt sich Sozialarbeit, Menschenrechtsarbeit und die Bewahrung der Umwelt auf die Fahnen. Die Tat auf dem Grassroot-Level. Peter Weigand, der selbst zehn Jahre in Brasilien und Chile verbracht hat, erklärt, worauf er sein Engagement gründet:
"Ich habe im christlichen Glauben ein Angebot kennengelernt, von dem ich glaube, dass es verbreitungswürdig und fähig ist, und dass es vor allem gelebt wird. Es ist eine Einladung, Mission ist heute Einladung. Dass heißt, mit Menschen zusammen an ihren Problemen arbeiten und zeigen, dass ich wie ein Bruder oder eine Schwester wegen der Problematik ihnen zur Seite stehe. Und wenn sie dann fragen, warum ich das tue, werde ich erzählen, dass ich das aus meiner religiösen Überzeugung heraus tue."
Die Neuendettelsauer Mission beschäftigt rund 100 Personen rund um den Globus. Dabei handelt es sich um junge Menschen, die ein freiwilliges Jahr absolvieren genauso wie um Berufsfachleute, wie Ärzte, Agraringenieure und Theologen. Diese bleiben vier bis sieben Jahre im Ausland. Das Haus Neuendettelsau bereitet sie durch Vorgespräche, Sprachkurse und Hintergrundseminare auf den Auslandsdienst vor. Die Länge und Art der Vorbereitung ist individuell und hängt von der Region ab, in die der Ausreisende möchte. Bis in die 80er-Jahre gab es in Neuendettelsau sogenannte Missions- und Diasporaseminare. Doch diese klassische Ausbildung wurde für die Kirche zu teuer. Trotzdem: Neuendettelsau ist noch immer ein Knotenpunkt in einem weltweiten Netzwerk und bietet geballte Expertise. In Länderreferaten für Lateinamerika, Afrika und Pazifik-Ostasien sitzen Fachleute, die in den Ländern gelebt und gearbeitet haben. Und genauestens über die regionalen Bedingungen und aktuelle Entwicklungen informieren können.
Schon als Student hat Peter Weigand gelernt, wie man das Muschelhorn aus Papua-Neuguinea bläst. In der Missions-Ausstellung kann der Besucher gleich mehrere Exemplare der imposanten Südseeschnecke bewundern. Papua-Neuguinea ist in Neuendettelsau ein traditioneller Schwerpunkt. Wer genaueres über den drittgrößten Inselstaat der Welt erfahren möchte, muss nur wenige Treppen bis in die Pazifik-Informationsstelle laufen und trifft dort Julia Ratzmann. Groß, blonder Igelkopf, freundlich. Die Ethnologin leitet seit knapp 15 Jahren die Pazifik-Informationsstelle und bereitet die Auslandsreisenden nach der ersten Bewerbungsphase inhaltlich vor.Häufig hätten die Anwärter typische Südseeklischees von weißen Stränden und Kokosnüssen im Kopf. Da leistet sie Aufklärungsarbeit:
"Die Bewerber haben sich meist schon informiert und wissen, dass es natürlich nicht das Bild ist, was sie erwarten dürfen. Aber sie können sich nicht unbedingt vorstellen, wie dann die Realität ist. Nämlich so, dass man in einem Land ankommt, wo es nicht zuverlässig Strom gibt, wo es nicht zuverlässig sauberes Trinkwasser gibt, meistens auch kein richtiges Wasser, um die Wäsche zu waschen, wo es keine Waschmaschine gibt, auch keine Mikrowelle, wo man also den Alltag ganz anders organisieren muss."
Vorbereitung auf den Kulturschock
Der Wissenstransfer findet zu großen Anteilen in persönlichen Gesprächen statt. Beispielsweise erklärt Julia Ratzmann, welche einheimischen Produkte es auf dem Markt zu kaufen gibt. "Kennen Sie Pitpit oder Kasawa? Und wissen Sie, ob man es kocht, backt oder roh isst?", fragt sie lachend. Sie berichtet von schlecht isolierten Wellblechhäusern und dem ewigen Kampf gegen Kakerlaken und anderes Ungeziefer. Wer betreut die Kinder? Gibt es vor Ort Hygieneprodukte oder Babynahrung zu kaufen? Wie sieht es mit einem Kinobesuch aus? Was packe ich für einen solch langen Zeitraum in meinen Koffer? Für Julia Ratzmann gibt es keine banalen Fragen. Sie bereitet die Ausreisenden auf fremde Gerüche, fremde Menschen und die fremde Umgebung vor. Auf den Kulturschock. Doch sie machte in den letzten Jahren eine erstaunliche Beobachtung:
"Dieser Kulturschock ist meiner Erfahrung nach bei der Einreise gar nicht mal so groß wie bei der Rückkehr. Wenn man sich nämlich daran gewöhnt hat drei Jahre, vier Jahre oder noch länger, seinen Alltag unter diesen Umständen zu organisieren und kommt dann zurück in unser Land und erlebt plötzlich, dass man den Hahn aufdrehen kann und da kommt warmes Wasser und kaltes Wasser, und das kann man sogar trinken. Und man geht in einen Supermarkt und sieht, es gibt 25 verschiedene Zahnpastasorten, wobei man im Pazifik nur eine kennengelernt hat. Dann hat man gerade in den ersten Wochen der Rückkehr nach Deutschland ein Gefühl von völliger Fremdheit in der doch eigentlichen Ursprungskultur."
Was treibt einen Menschen an, seine Bewerbungsunterlagen an Mission Eine Welt zu senden und in Neuendettelsau für einen Auslandsaufenthalt vorzusprechen? Die Antworten sind sehr unterschiedlich: Die Begeisterung für das Fremde, der christliche Glaube. Oder: Das Interesse an globalen Fragen. Die Faszination des übersättigten Europas für chaotische Lebensbedingungen. Und die Sinnstiftung der Entwicklungshilfe für das eigene Leben.
Das Centrum für Partnerschaft, Entwicklung und Mission in Neuendettelsau kämpft nach über eineinhalb Jahrhunderten seiner Gründung mit einer bemerkenswerten Tatsache: Es hat Schwierigkeiten damit, Theologen und Pfarrer für die Mission zu gewinnen. Peter Weigand erklärt:
"Der deutsche Pfarrer ist kirchenverbeamtet hat seine Gemeinde hier. Und der Ehemann oder die Ehefrau hat auch eine berufliche Karriere hier. Die Kinder müssen in die Schule. Früher sind viele Studenten oder auch andere junge Leute ins Ausland gegangen. Durch die Verschulung unseres Studiums, die Modularität und die Nicht-Anerkennung ausländischer Studiengänge oder Erfahrungsfelder hat sich auch das verringert. Es sind unsere Strukturen vor Ort, die das verhindern, nicht das mangelnde Interesse."
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