Christenverfolgung

Von Knut Berner · 10.01.2011
Terrorismus hat viele Gesichter und Ursachen. Eines seiner Hauptmotive besteht in der Intoleranz gegenüber nicht akzeptierten Moralvorstellungen, Staats- und Kulturformen oder religiösen Überzeugungen, die nicht die eigenen sind. Welche Konsequenzen gerade religiöser Fanatismus haben kann, zeigen die Angriffe auf Christen im Irak, in Ägypten und anderswo.
So berechtigt das Entsetzen angesichts dieser Anschläge ist, so gewiss darf darüber nicht vergessen werden, dass auch die europäischen Staaten eine lange Geschichte blutiger Religionskriege zu verzeichnen haben. Daraus sollte man nicht die voreilige These ableiten, eine Welt ohne Religion wäre prinzipiell friedfertiger. Denn wer vermag den Beitrag der Glaubensgemeinschaften zur Versöhnungs- und Konfliktregulierung abzuschätzen – im privaten Leben und im Verhältnis der Staaten zueinander? Dennoch: Die Verfolgung und Vernichtung Andersgläubiger ist ein fester Bestandteil der Religionsgeschichte.

Diese bittere Einsicht verweist auf ein Grunddilemma der Religionen: Einerseits dürfen sie ihren Wahrheitsanspruch nicht ermäßigen und müssen präzise Aussagen darüber machen, was Menschen im Leben und im Sterben weiterhilft. Mit vagen Gottesbildern oder unklaren Heilsaussagen wird niemand in seinem Orientierungsbedürfnis befriedigt. Andererseits kennen die monotheistischen Religionen aber das Bilderverbot. Es zielt darauf ab, eine Verwechselung der eigenen religiösen Wunschvorstellungen und Gottesbilder mit Gott selber zu vermeiden. Das Bilderverbot markiert einen Vorbehalt gegenüber der Verabsolutierung eigener Überzeugungen. Denn diese werden nicht nur Gottes Freiheit zur Selbstoffenbarung nicht gerecht, sondern sie bieten ein vorzügliches Motiv zur Bekämpfung Andersgläubiger, in letzter Konsequenz ein Motiv für ihre Vernichtung.

Welche Lehren kann man daraus ziehen? Sicherlich die, dass es nicht weiterführt, wenn in Europa religiöse Intoleranz zunehmend durch das Prinzip der Indifferenz ersetzt wird. Probate Behauptungen wie die, auf inhaltliche Feinheiten käme es nicht an, alle würden sowieso an den gleichen Gott glauben oder es reiche aus, Sinn und Geschmack für das Unendliche zu haben, erzeugen eine Beliebigkeit, die intellektuell anspruchslos und existentiell unzulänglich ist.

Wen wundert es, dass wir entsetzt und zugleich fasziniert sind angesichts der brutalen Vehemenz, mit der religiöser Fanatismus sich Aufmerksamkeit verschafft, wo wir es doch bei der Beschwörung des christlichen Abendlandes belassen möchten und Glaubensinhalte zu Wertegeplänkel verdünnt haben? Und gleichzeitig sehr wohl auf dieser Ebene an Intoleranzen festhalten, denn Scharia und Schächten kommen natürlich nicht in unsere kulturelle Tüte. Ansonsten aber soll jeder nach seiner Façon selig werden.

Hier ist eine Wurzelbehandlung nötig, die nach den tatsächlichen Glaubensinhalten der Religionen fragt und den produktiven, unblutigen Streit darüber nicht scheut, anstatt alles für gleichgültig zu halten. Denn solche Indifferenz provoziert religiösen Terrorismus. Und dieser ist eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie. So hat der 11. September 2001 ein steigendes Interesse am Islam bewirkt, in Deutschland kann man mittlerweile das Gefühl haben, er sei zur einzig interessanten Religion avanciert. Was christlich oder jüdisch ist, gilt als ausgemacht, auch wenn kaum ein Schulkind die elementarsten Grundlagen mehr kennt.

Schließlich ist es eine wichtige Einsicht, dass eine eigene Glaubensüberzeugung die Gelassenheit vermitteln kann, die Konkurrenz anderer Ansichten angstfrei auszuhalten. Das Bilderverbot befreit auch vom Terror der urmenschlichen Phantasie, man müsse Gott plausibel machen und seine Wahrheit Anderen eintrichtern, notfalls eben mit Gewalt. Wer um Überzeugungen streitet, ohne seine Wahrheit mit Gottes Wahrheit zu verwechseln, der braucht nicht zu töten, sondern kann es mit argumentativen Gefechten gut sein lassen. Terroristen sind dafür nicht offen. Aber vielleicht können intensivere Religionsdialoge dazu beitragen, dem Terrorismus Nährboden zu entziehen.

Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg, Vikariat (Ausbildung zum Pfarrer) in Wuppertal, Promotion und Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum, seit 1996 Studienleiter im Evangelischen Studienwerk e.V. Villigst mit Zuständigkeit für das Auswahlverfahren in der Grundförderung und den Promotionsschwerpunkt "Macht-Religion-Moral". Außerdem seit 2003 Privatdozent für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
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