Der Bariton mit der berührenden Stimme
Christian Gerhaher wurde vor wenigen Tagen als Opernsänger des Jahres ausgezeichnet. Er gilt als der vielseitigste Bariton unserer Tage, ist weltweit gefragt für Lied und Oper. Dabei wollte er erst Arzt werden.
Er gilt als der vielseitigste Bariton unserer Tage, ist weltweit gefragt für Lied und Oper. Christian Gerhaher hat eine steile Karriere hinter sich, spätestens seit er 2002 den Echo-Preis für Franz Schuberts Liederzyklus "Die Winterreise" erhielt. Ein besonderes Faible hat Gerhaher für Volkslieder.
"Und das ist eines meiner Credos, dass Volkslieder natürlich was ganz Wichtiges sind. Allerdings auch etwas, und das ist ja ein Definitionsmerkmal dieses Begriffs, was immer sich weiterentwickeln muss: Das Umsingen werden des neu gesungen und dadurch erweitert werden. Das ist etwas, was zu diesem Begriff gehört, und meiner Ansicht nach ist dieses immer wieder Umsingen oder Erweitern oder Verändern etwas ist, was einen Fortschrittsgedanken in sich birgt."
Vorbild Robert Schumann
Am meisten verehrt Gerhaher den Komponisten Robert Schumann. Der sei in seinen Augen einer der ersten "Konzeptkünstler", und wenn er einmal jemandem im Jenseits begegnen dürfe, dann solle es Schumann sein.
Gerhaher hat erst Medizin studiert und mit einer Promotion in Handchirurgie abgeschlossen. Sein Gesangsstudium absolvierte er zunächst nebenher als Gast an der Musikhochschule München.
"Das war ein echtes Identitätsproblem, also vor allem so ein junger Mensch, der sich irgendwo natürlich als Künstler betätigen und sehen möchte, neigt dazu, seine Inhalte auch durch Identifikation erst mal für sich zu begreifen und dann auch zu vermitteln. Ich glaube, das ist fast etwas Normales in einer gewissen Zeit des Lebens."
Und obwohl er sich inzwischen vor weltweiten Engagements kaum retten kann, plagen ihn immer noch Zweifel und Ängste. Vielleicht gehört das zum Geheimnis seiner zutiefst berührenden Stimme. Dabei versucht er sich beim Singen mit seinem ganz persönlichen Empfinden zurückzuhalten.
"Emotion und Intensität kann ich so viel hineinlegen, wie ich möchte. Was ich versuche, nicht hineinzulegen, ist mein eigenes Erleben und Empfinden mit diesen Liedern interpretatorisch zu verbinden. Das ist etwas, was ich vermeiden möchte. Denn dann entsteht die Gefahr der Sentimentalität, und das ist etwas, was einer Emotionalität einfach entgegensteht."
Eines ist ihm bei seinen unzähligen Auftritten besonders wichtig – er hütet sich, in die Routine abzugleiten:
"Der Darsteller oder der nachschöpfende Musiker hat die Pflicht oder die Aufgabe, bei einer Serie von Auftritten oder Konzerten, einmal Begriffenes jeden Abend wieder neu zu begreifen und zwar vorher. Man muss dieses Gebäude der halbwegs Zufriedenheit am nächsten Konzerttag wieder einreißen."
In den nächsten Tagen ist er, begleitet von den Philharmonikern mit Gustav Mahlers "Lied von der Erde" in Berlin zu hören. Vor wenigen Tagen wurde er für seine Rolle in der Oper "Wozzek" als Opernsänger des Jahres ausgezeichnet.