Christian Montag: „Du gehörst uns!"

Netzwerke mit toxischen Nebenwirkungen

05:40 Minuten
Du gehoerst uns von Christian Montag
© Blessing Verlag

Christian Montag

Du gehörst uns. Die psychologischen Strategien von Facebook, TikTok, Snapchat & Co – und wie wir uns vor der großen Manipulation schützenBlessing, München 2021

416 Seiten

20,00 Euro

Von Vera Linß |
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Facebook, Twitter & Co versuchen mit diversen Tricks, die Menschen möglichst lange auf ihren Plattformen zu halten, um mit ihren Daten Geld zu verdienen. Welche Tricks das sind und welche Folgen das hat, untersucht Christian Montag in „Du gehörst uns“.
Rund vier Milliarden Menschen nutzen soziale Medien – Tendenz steigend. Doch hinter den glänzenden Zahlen rumort es. So gibt es längst auch einen Gegentrend. Und der lautet: Rückzug! Ein Drittel aller Nutzer in Deutschland konnten sich Ende 2020 vorstellen, ihren Facebook-Account zu löschen. In den USA waren es 45 Prozent.
Vor allem junge Leute machen sich in den großen öffentlichen Netzwerken rar. Fakt ist: Das Bewusstsein über die toxische Nebenwirkung der Internetdienste wächst.

Ein praktischer Überblick

Zu verdanken ist dies auch der Wissenschaft, die mit ihrer Expertise die Kritik an den sozialen Netzwerken untermauert. Ob Stress, Suchtverhalten oder permanentes Abgelenkt-Sein: Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm beschreibt, welche psychologischen Voraussetzungen jemanden dafür besonders anfällig machen (können).
Und er erklärt gleichzeitig auch, mit welchen Mechanismen die Tech-Firmen die Nutzer ködern. Ein praktischer Überblick, um eigene Erfahrungen mit dem Stand der Wissenschaft abzugleichen!
Warum es jemanden überhaupt in die sozialen Medien zieht, zeigt der Psychologe etwa mithilfe der Gratifikationstheorie. Drei Arten von Belohnungen – Gratifikationen – gibt es: die hedonistische (also einfach Spaß haben), die soziale (auf andere treffen) und die utilitaristische (einen Mehrwert haben, zum Beispiel Informationen).
Wer besonders häufig ins Netz geht, erforscht außerdem die Persönlichkeitspsychologie. Und das sind eher extravertierte Menschen mit Tendenz zum Neurotizismus – so lauten erste Erkenntnisse über die Nutzerinnen und Nutzer von Facebooks Social-Media-Apps.

Nicht nur Push-Funktionen machen süchtig

Doch wann kommt es nun dazu, dass Menschen in den sozialen Medien Zeit und Raum vergessen und sie also nicht so nutzen (können), wie es ihnen guttun würde? Die Tricks der Tech-Firmen, die Christian Montag hier anführt, sind größtenteils bekannt. Jeder weiß: Vor allem das nie Endende fesselt. Wie der Newsfeed von Facebook und der Twitterstream oder die Push-Funktion, die einen immer wieder zum Smartphone ruft.
Umso spannender sind dafür die psychologischen und verhaltensökonomischen Studien, die Auskunft darüber geben, warum viele Menschen trotzdem in den Netzwerken bleiben, wenn auch mit Unwohlsein. Beispiel: Die Macht des sogenannten Besitztumeffekts, die der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein untersucht hat. Danach müsste man Nutzern über 60 Dollar zahlen, damit sie einen Monat auf Facebook verzichten würden – so wichtig ist ihnen ihr Profil. Ein anderer Grund: Die Angst, etwas zu verpassen, die sich schwer abschütteln lässt.

Forschung noch am Anfang

Christian Montag räumt zwar immer wieder ein, dass der Wissenschaft auch noch viele Daten fehlen. Könnten lange Nutzungszeiten zum Beispiel nicht auch Bewältigungsstrategien bei Alltagsproblemen sein? Wie weit reicht die manipulative Wirkung von App-Designs wirklich?
Die Kritik des Psychologen ist aber klar: Die Menschen werden bewusst in den Netzwerken gehalten, nicht zu ihrem Nutzen, sondern um mit ihren Daten Geld zu verdienen. Deshalb fordert Christian Montag mehr Forschung und eine strengere Regulierung der Plattformen.
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