Christian Petzold

"Ich hasse allegorische Filme"

Der deutsche Regisseur Christian Petzold.
Der deutsche Regisseur Christian Petzold. © picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Moderation: Susanne Burg |
Bei der Weltpremiere seines neuen Films "Phoenix" hatte Regisseur Christian Petzold Angst, vor den Augen aller einzuschlafen - warum, erzählt er im Interview. Außerdem verrät er auch, weshalb er die Geschichte über eine Holocaust-Überlebende nicht zugespitzter inszeniert hat.
Susanne Burg: Wie haben Sie sich bei der Vorführung des Films, der Weltpremiere, im Zuschauerraum gefühlt?
Christian Petzold: Na, ich mache das ganz selten, in die Premiere reingehen, weil ich zu aufgeregt bin, aber ich hatte den Film noch nie mit Publikum gesehen und wollte das diesmal machen, und das war auch... So ein Kino habe ich noch nie in meinem Leben gesehen: Das war, glaube ich, wie so ein alter Theatersaal, dann waren da über 1000 Menschen da drin, und da saß ich dazwischen und ich hatte Jetlag – ich hatte Angst, in meinem eigenen Film einzuschlafen –, aber das war dann doch eine so angespannte und großartige Atmosphäre, dass mich die vom Schlaf abgehalten hat.
Burg: Ihr letzter Film "Barbara", der hat in den USA sehr, sehr viele positive Kritiken bekommen von den Kritikern, vom National Bord of Reviews, er wurde unter anderem in die "Top 5" der besten nicht englischsprachigen Filme aufgenommen im letzten Jahr. Das MoMA hat der sogenannten Berliner Schule ja auch eine große Retrospektive gewidmet. Wie war Ihre Erfahrung: Was ist es, das Amerikaner an Ihren Filmen schätzen?
Petzold: Ich hatte ein bisschen Angst, weil ich ja eigentlich... Das amerikanische Kino ist im Grunde genommen meine Referenz. Ich liebe das amerikanische Kino, das New-Hollywood-Kino, den Film noir, den Western. Und ich habe oft so Elemente in meinen Filmen, die amerikanisch sind, und mir wurde mal gesagt, dass die Amerikaner eigentlich Filme nicht mögen aus Europa, die wie amerikanische Filme daherkommen. Aber es war eigentlich für mich immer so, dass es ein ganz fast unschuldiger und nackter Blick auf die eigenen Filme geworfen wurde, und das hat mir immer sehr, sehr gut getan. Jetzt fängt hier ein Gewitter an – das finde ich ja auch toll!
Burg: Ganz schwül!
"Größtmögliche Distanz zu Deutschland gar nicht so schlecht"
Petzold: Ja, den ganzen Tag war es hier 30 Grad und wir sind ja mit Winterkleidung aus Berlin gekommen, weil wir dachten, Kanada, da habe ich meine Jack-London-Assoziation. Und als wir am Flughafen aus dem Flugzeug stiegen heute Morgen, dachte ich für einen Moment, wir sind im falschen Flugzeug gewesen und hätten irgendwas... wären zur brasilianischen Weltmeisterschaft noch angereist.
Burg: Hätten Sie sich denn gewünscht, dass Sie lieber in Venedig aus dem Flugzeug gestiegen wären?
Petzold: Ich war ja schon mal in Venedig, schon öfter in Venedig, und hier in Toronto war ich noch nie, und deswegen habe ich mich sehr darauf gefreut. Also ich habe das einfach auch ein bisschen den Leuten überlassen, die einen Film verleihen, vertreiben und mit dem Film auch Geld machen müssen, und die sagten mir, hier ist besser – und deswegen bin ich hierher gegangen.
Burg: Hier ist besser für den amerikanischen Markt oder für den Weltvertrieb?
Petzold: Na ja, vielleicht auch ist es besser zum Beispiel... Für einen Film, wie ich den gemacht habe, über eine Auschwitz-Überlebende, die in eine Vertigo-Pygmalion-Geschichte geraten ist, ist vielleicht die größtmögliche Distanz zu Deutschland gar nicht so schlecht.
Burg: Bevor wir in den Film einsteigen noch eine Frage zur Rezeption: Das "Screen Magazin", also eine der großen Branchenzeitschriften hier, hat eine Titelgeschichte über "Phoenix" heute, und die stellen den Film wieder in den Kontext der Berliner Schule. Wie ist das für Sie, nach all den Jahren noch immer in diesen Kontext gestellt zu werden?
Petzold: Das macht mir wirklich nichts aus. Ich war froh, als der Kontext aufkam, weil man plötzlich nicht mehr alleine war und nicht mehr so einzelne Filme machte, sondern ich gehöre gerne einer Gruppe an. Und da jetzt die Berliner Schule so weitläufig ist und eigentlich die Schule verlassen hat,... Und ich habe das ja heute gemerkt in der Vorführung, wie wenig Filmmusik da drin ist, wie lange manchmal die Einstellungen sind, dass da immer noch Restelemente der sogenannten Berliner Schule drin sind.
"Das fand alles im deutschen Kino nicht statt"
Burg: Der Filmkritiker in seinem eigenen Film. Nun haben Sie also einen Film gemacht, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielt. Es geht darum, wie das Leben nach dem Holocaust eigentlich weitergehen kann für die KZ-Überlebende Nelly, die nach Hause kommt, ihren Mann sucht, aber eigentlich auch für diejenigen, die nicht im KZ waren, sondern vielleicht Täter waren, oder auch nur mit dem Überleben beschäftigt waren.
Nun würde man meinen, es ist einfacher, die Zeit danach in Bilder, in eine Geschichte zu fassen als den Holocaust selber, also diesen ja unbeschreiblichen Horror. War es so? Was waren die Herausforderungen?
Petzold: Das hat mich immer gewundert, mich als Filmkritiker, sage ich mal, nicht nur meiner selbst, mich hat das immer gewundert, dass ... (es donnert) Ist ja toll! Das Gewitter ist großartig! Eigentlich ist ja das Nach-Hause-Kommen-Thema ein großes Erzählthema in Romanen wie in Filmen, und in Filmen wie "Deer Hunter" geht es um aus Vietnam nach Hause kommen, in der Odyssee muss Odysseus nach Hause kommen. Mich hat das immer gewundert, dass das Nach-Hause-Kommen-Thema nach dem Zweiten Weltkrieg vielleicht noch bei Wolfgang Borchert "Draußen vor der Tür", als Stück, dann noch in zwei, drei Filmen bis zu Peter Lorre "Der Verlorene" noch behandelt worden ist, aber dann wurde das Nach-Hause-Kommen-Thema völlig verschwiegen.
Aber eigentlich ist es das große Thema – riesige Flüchtlingsströme in Deutschland, Rückkehrer, Gespenster, die kein Heim mehr haben, Kinder, die ihre Eltern verloren haben, und das fand alles im deutschen Kino nicht statt.
Burg: Und nun spielt es ja auch noch wirklich in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Nelly kommt direkt aus dem KZ nach Hause. Ich habe gelesen, dass Sie in Vorbereitung auf den Film auch viele Berichte der Überlebenden, die in den Frankfurter Prozessen ausgesagt haben, gelesen haben und dass die keine Sprache für das fanden, was sie erlebt haben. Im Film gibt es ja nun neben der Sprache auch noch den Körper. Wie wirken sich Ihrer Meinung nach solche Erfahrungen auf das Körpergefühl von Menschen aus?
"Es gibt da keine Sprache für"
Petzold: Ja, das ist eigentlich auch eine gute Frage an Nina Hoss, die ja diese Figur vorbereiten musste und durchdenken und durchfühlen musste. Es gibt eine Szene in dem Film, wo sie versucht, eine Lagererfahrung mitzuteilen und die Sprache versagt ihr, und ich glaube, das ist eigentlich das Entscheidende, dass man für alle furchtbaren Menschheitsverbrechen – ob das nun Erschießungen sind, ob das Genozide sind –, da hat sich immer irgendein Bild gefunden, eine Ballade gefunden, ein Roman gefunden.
Für den Holocaust gibt es das nicht. Es gibt da keine Sprache für, weil das, wie Hannah Arendt sagt, ... Es war zu viel. Das ist nicht wieder gutzumachen. Von Hannah Arendt, fand ich immer einen ganz großartigen Satz von ihr: "Auschwitz, das werden sie uns Juden immer vorwerfen." Und jetzt haben sie keine Geschichten mehr dafür.
Burg: Es sind ja auch die anderen Menschen da, die so tun, als würde das Leben jetzt ganz normal weitergehen. Es herrscht Alltag auf der Straße, die Menschen gehen in Clubs abends. Sie zeigen auch im Film, wie ein Mann eine Frau vor dem Club im Grunde genommen vergewaltigt. Also diese Verrohung der Gesellschaft durch den Krieg, die geht im Alltag eigentlich weiter. Wie schwer war es, das in einen Film zu überführen?
Petzold: Ich hatte von Wolfgang Neuss, diese Autobiografie von ihm gelesen, "Ein faltenreiches Kind", weil es ist eine fantastische Figur. Er kommt aus dem Krieg wieder, er hatte sich ja verstümmelt, Wolfgang Neuss, um nicht in den Krieg zu müssen, aber das wurde ihm angelastet, er musste also trotzdem an die Front. Er kam also Mai 45 nach Berlin zurück und sagte, innerhalb von kürzester Zeit gab es überall Clubs, es gab Anträge auf Gewerbescheine für Kabarett.
Es hat also im Grunde genommen ein Versuch stattgefunden, das, was in den 20er-, Anfang der 30er-Jahre in Berlin da war, da wieder anzuschließen, also wieder zu tanzen, Musik zu machen. Nur es war nicht mehr genau so. Es ließ sich nicht mehr anschließen an diese Zeit. Und diese Vergewaltigungsszene, von der Sie sprechen, erzählt ein wenig davon, dass aus dieser Leichtigkeit und der Überschwänglichkeit, sage ich mal, des Kabaretts der 20er- und 30er-Jahre, dass das nicht wiederherzustellen ist und dass Kriegsheimkehrer, Söldner, Milizionäre, verrohte Menschen dort diese Clubatmosphäre immer wieder durchkreuzten.
"Eine wahnsinnig kleine Geschichte, die immer komplizierter wurde"
Burg: Nelly selber, die kommt ja mit einem zerstörten Gesicht aus dem KZ, es wird rekonstruiert, und es macht ja eigentlich das noch viel schwieriger, ein Gefühl für sich selbst zu finden, wer sie eigentlich ist. Ihr Mann, den sie wiederfindet, der erkennt sie nicht, er denkt, Nelly ist tot. Das alles wirkt wie eine große Allegorie auf die Schwierigkeit, nach diesem Unfassbaren ein Gefühl für sich selbst zu bekommen, einen Platz zu finden. Sie inszenieren es aber nicht als Allegorie, sondern als, na ja, relativ reale Geschichte. Warum haben Sie sich dafür entschieden, das so zu machen und nicht noch zugespitzter es zu inszenieren?
Petzold: Ich hasse ja allegorische Filme. Ich hasse Filme, wo man Menschen sieht, die repräsentativ für irgendwas ... Ein Schwein muss ein Schwein spielen, und der, der das Schwein spielt, ist dann der, was weiß ich, der Kapitalist oder der Faschist oder so, und dann hat der aber eine jüdische Freundin, die steht für also die zerstörte Bildungskultur der 20er-Jahre oder so. Und diese Art von Filmen, wo Figuren nur Repräsentanten sind, hasse ich.
Bei uns war es eher umgekehrt: Wir hatten eine wahnsinnig kleine Geschichte, die immer komplizierter wurde, je näher wir sie betrachteten, je mehr wir mit ihr arbeiteten und merkten, dass an jeder der Figuren gleichnishafte, fast allegorische Zusammenhänge kleben, aber wir haben uns immer darum bemüht, die Figuren und die Personen in ihrer Komplexität und ihrer fast auch Schlichtheit, die sie haben, zu bewahren und sie nicht zu belasten mit diesem ganzen Schrott.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.